f September 2017 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Dienstag, 26. September 2017

Ziviler Luftschutz - auf dem Dorf - Ende 1944



Mit dem Fortschreiten des Zweiten Weltkrieges kam es ab 1943 auch verstärkt zu Luftangriffen auf kleinere Städte und Dörfer. Es waren meist Tieffliegerangriffe, die durch Begleitflugzeuge der Alliierten Luftstreitkräfte geflogen wurden. 

So sind auch im Raum Celle mehrere Fälle überliefert in denen - meistens US-Jagdflugzeuge - Zivilisten angriffen. Da die britischen Bombergeschwader ausschließlich Nachts angriffen, die meisten Tieffliegerangriffe jedoch tagsüber erfolgten, wenn nur die US-Bomber flogen, ist die Zuordnung relativ einfach. 

Dabei setzte die US-Air Force ihre Begleitflugzeuge offenbar nicht planmäßig gegen zivile Ziele ein. Zunächst sollten diese die Bomberstaffeln sicher in die Zielgebiete eskortieren.  Dabei kam es in den ersten Kriegsjahren immer wieder zu größeren Luftgefechten mit deutschen Jagdfliegern. Als im fortschreitenden Kriegsverlauf die deutsche Luftwaffe jedoch kaum noch über einsatzfähige Maschinen, Treibstoff und Piloten verfügte, wurden die Begleitflugzeuge mehr und mehr überflüssig. 

Um die Einsätze rechtfertigen zu können erweiterte man die Kompetenzen der Kampfflieger und stellte ihnen in einigen Situationen die Feuerhoheit vollkommen frei. Die Piloten konnten somit im Einzelfall selber entscheiden welche Ziele sie angriffen. Dabei kam es immer wieder zum Beschuss unbeteiligter Zivilisten. In den letzten Kriegsmonaten kam es auch zu Angriffen auf Güter- und Personenzüge - so beispielsweise bei Wienhausen (Tieffliegerangriff auf einen Personenzug - Click). 

Während man in den, von alliierten Bombenangriffen betroffenen, Großstädten durch den Bau von Luftschutzanlagen recht schnell wirksame Maßnahmen ergriff, musste sich die Bevölkerung in kleineren Städten und Dörfern selber zu helfen wissen. So hatten die meisten sich bis Kriegsende provisorische Schutzräume und Erdbunker angelegt, in denen bei Luftangriffen zumindest gegen umherfliegende Splitter Schutz gesucht werden konnte. 

Damit jedoch noch nicht genug - am 18.10.1944 erging hierzu ein Schreiben des Reichsverteidigungskommissars des Reichsverteidigungsbezirks Osthannover an die Bürgermeister des Regierungsbezirks Lüneburg. Darin wurde unter anderem die Anlage von Deckungsgräben gegen Tiefflieger- und Bombenangriffe gefordert. Das Schreiben enthielt eine detaillierte Skizze zur Anlage mustermäßiger Deckungsgräben. 

Bild: Musterskizze für die Anlage von Deckungsgräben. Quelle: Schreiben des Reichsverteidigungskommissars Herrmann v. 18.10.1944. 


Im Abstand von 100m sollten die rechtwinklig angelegten Deckungslöcher an allen Land- und Kreisstraßen angelegt werden. Mit einer Breite von 80cm und einer Tiefe von mindestens 2m sollten die Deckungsgräben zumindest einen einfachen Schutz bieten. 

Der Celler Landrat Heinichen, der die Anordnung am 19.10.1944 an die Bürgermeister des Kreisgebietes weiterleitete, bestand auf die unbedingte und zeitnahe Umsetzung dieser Maßnahmen. Insbesondere ordnete Heinichen an, für die Arbeiten "die Ausländer einzusetzen" und diese Arbeit "in erster Linie zusätzlich an Sonntagen auszuführen". Bis zum 12.11.1944 sollte dem Landrat Heinichen gemeldet werden, welche Gräben bereits fertiggestellt seien und welche noch zu errichten wären. 

Grundsätzlich sollte die Anlage der Deckungsgräben an allen wichtigen Straßen, aber auch an Bahnhöfen und Brücken, erfolgen. 

In Offensen wurden die Anordnungen zumindest entlang der Dorfstraße umgesetzt. Schon im Winter des Jahres 1944 waren entsprechende deckungsgroben vorbereitet. 

Bild: Dorfstraße Offensen heute. Quelle: Hendrik Altmann. 


Auch in vielen anderen Dörfern wurden entsprechende Deckungsgräben gegen ende 1944 errichtet. Als Quellennachweise hierfür dienen unter anderem die Hannah Fuß Berichte. 

Ob diese Art des Zivilschutzes tatsächlich die Sicherheit bei Luftangriffen erhöhte konnte bisher nicht belegt werden. Vor dem Hintergrund des nahenden Kriegsendes erscheint eine anderweitige Intention hinter der Maßnahme des Reichsverteidigungskommissars plausibel. Vielleicht ging es weniger um die Errichtung von Schutzbauwerken für die Zivilbevölkerung, als um erste Vorbereitungen für die Verteidigung des Reiches. 

Ein Satz im vorliegenden Schreiben des Reichsverteidigungskommissars vom 18.10.1944 legt diesen Schluss nahe. Es ginge bei der Anlage der Deckungsgräben insbesondere um Vorbereitungen für eine "etwaige Rückführung der Bevölkerung im Nordteil des Gaues". 

Scheinbar sollten die vorbereiteten Deckungsgräben also höchstens zeitweise der Zivilbevölkerung nutzen. Im Rahmen der Reichsverteidigung hätten die vorbereiteten Stellungen durchaus einen großen Nutzen gehabt...

H. Altmann


Anhang: Schreiben des Reichsverteidigungskommissars vom 18.10.1944







Dienstag, 19. September 2017

Bisher erschienene Beiträge





Die nachfolgende Auflistung umfasst alle seit Gründung des Blogs erstellten Beitrage chronologisch:


2012

Richtweg bei Lachendorf

Kriegsende in Schwachhausen - 12.04.1945 




Die Ringe (im Flotwedel) - Ringfunde auf Feldflächen 2012

Fundreinigung neuzeitlicher Kupfermünzen...

Das alte Rittergut zu Schwachhausen



2013

Funde des Monats Dezember


Flüchtlinge, Vertriebene und Zivilisten...

Flurnamen in Offensen und Schwachhausen

Kopie von der Kopie - ein Original? 

Das Osterfeuer 1935 - und heute

Environs de Zelle - 1732. Und was hat das mit den Franzosen zu tun?

Der Siebenjährige Krieg in Celle - 1757: die Lage aus alliierter Sicht

Interpretation von Luftbildern

Damals und heute II - Offensen

Hanseatische Truppen in Wienhausen - 1615

Die Welt gibt Frankreich verloren - 15. Juni 1940

Historische Landkarten (Sammlung)

Found: ein altes Feld - mitten im Wald (Langlingen)

Einblicke ins Celler Garnison-Museum

Die Weiße Frau aus der Sprache (Legende)

Celle am 14. Juli 1944

Gewalt, Zerstörung und Straßenschlachten in Celle - 18./19. Juli 1866 (I)

Gewalt, Zerstörung und Straßenschlachten in Celle - 18./19. Juli 1866 (II)

Neue Hauptwache am Celler Schlossplatz

Als Operation "Clarion" Celle traf - 22. Februar 1945

Celler CD-Kaserne vor fast 100 Jahren

Fund Petschaft - 31. Juli 2013

Die Schwedenschanze bei Rebberlah

"Zum süßen Turme" und die Hofkrämerbude zu Celle

Erdölbohrungen bei Wienhausen 1934 bis 1945

Celle am 24. August 1942

Die Sage vom Werwolf bei Lachendorf

Wienhäuser Gutshof - Das "Gourmet & Garden Missverständnis"

Der Gutshof Hostel und der Spuk des Junkers

Da war doch was - Gestern vor 627 Jahren...

Römö - Teil II 


Die Sage von der Auswanderung über die Aller bei Offensen

Der Einsatzhafen Hustedt, Geschichte, Lage, Personen und heutige Ansichten

Die Blutstraße in Celle 1936

9. November 1938 in Celle - "Reichskristallnacht"

Die alten Wege um Celle - Teil I 

Der Fasanengarten - Artenvielfalt in Celle

28. November 1938 in Celle - Ein Jahr vor Kriegsbeginn

Die Geschichte des vergessenen Friedhofs bei Celle

Metallsuche im Dienste der Wissenschaft



2014
Der verräterische Hahn von Höfer (Sage)


Die vergessene Mondlandschaft bei Nienhagen

Der Ort des Werwolfs (Löns)

Das weiße Kind von Scheuen (Sage)

Der graue Page - ein vergessener Grenzstein aus alter Zeit

Die Fosen - ein germanischer Volksstamm, der vor rund 2000 Jahren im heutigen Landkreis Celle siedelte? 

Das Franzosengrab bei Lachendorf

Das Klageweib in der Heide (Sage)

Celles wichtige Heimatforscher-/innen 

Schanze im Wald bei Lachendorf

Eine kleine Fabrikgeschichte - die Celler Bürstenfabrik

17. Februar 1943 - Zwischen Ohnmacht und Selbsterkenntnis

Barbaren, Raubgräber und das, worüber die Medien nicht berichten

Feldbegehung im Finkenherd und Prospektion an der Gertrudenkirche in Altencelle

Kampf der Riesen zwischen Osterloh und Oppershausen (Sage)

Die Mundburg - Analyse und Auswertung von Einflussfaktoren auf den möglichen Standort

In Altencelle geht es weiter...!

Ausgrabungen in Altencelle am 26.03.2014

KLEKS - das Kulturlandschaftswiki

Ausgrabungen in Altencelle am 28.03.2014

Das verlassene Korpsdepot 168 bei Höfer

Die Petersburg in Celle - Naherholung vor über 100 Jahren

Ausgrabungen in Altencelle am 03.04.2014

Ein neues Luftbild vom Bombenangriff am 8. April 1945

Fundstelle 20mm bei Celle

Zerstörter Jagdpanther am ehemaligen Bahnhof Hainholz in Hannover

Ein vergessener Weg zwischen Beedenbostel und Luttern

Die Luftmunitionsanstalt am Aschenberg (Höfer)

Verschwundene Bahnstrecke zwischen Beedenbostel und Höfer

Pest in Wiehausen: Elendswiese und Schwarzer Hamm

CZ am 6. Mai 1943

Verschwundene Oberallertalbahn: Celle - Gifhorn

Das ehemalige Korpsdepot 171 zwischen Winsen und Walle

Die Welt und Celle - am 29. Mai 1940

Wienhäuser Relikt in Stand gesetzt

Kartenlayer in Google Earth II

Schellenhorst - der vergessene Hof zwischen Bröckel und Uetze

Der Silberschatz bei Garßen

Wurde der Altenceller Hafen gefunden? 

Der unterirdische Gang zwischen Wienhausen und Celle

Vergessene Schienen...

Das ehemalige Landerziehungsheim der Stadt Berlin bei Scheuen

Ehemaliges Trafohaus bei Nienhagen


Neues Altes von der Brunnenburg in Altencelle

Verlassene Militärgarage bei Scheuen

Heeresmunitionsanstalt Scheuen. 

Das schwarze Holz - Altencelle

Hahnenhorn - Moor, Brennnesselanbau, Provinzialgut, Heilanstalt, eigenständige gemeinde

Massaker von Tamines - 100 Jahre danach

Ortsverzeichnis für den Landkreis Altencelle

Adelheidsdorf 

Fund Petschaft

Ahnsbeck

Scheinflugplatz, BGS-Übungsplatz und Waldbrand - Geschichte des Schnittsumpfes seit 1939

Altensalzkoth

Fundausstellung der Sondengänger-Gemeinschaft-Allertal

Altenhagen

Marinesperrzeugamt II

Fundausstellung

Bunker bei Höfer

Der Schatz bei Einklinken

Toter Wanderer bei Garßen (Sage)

Alvern


Praxiskurs für Sondengänger am 15. November 2014

Bennebostel

Einsatzhafen und Standort Dedelstorf

Gab es eine Bunkenburg?

Celle vor 103 Jahren - 7.12.1911

Heiliger Berg bei Sandlingen

Ein kleiner Fund mit großer Historie

Weihnachten im / nach dem ersten Weltkrieg



2015

Saxhorst bei Langlingen - Hinweis auf eine alte Burganlage?

Legende um den Silbersee (Garßen)

Wochenendgebiet zwischen Nordburg und Schwachhausen

Celle - Stadtentwicklung seit 1732 in nur einer Minute

Tieffliegerangriff bei Wienhausen am 19. Februar 1945

Marinesperrzeugamt III

Die Lehren aus dem Barbarenschatz-Urteil

Umbenennung der Werner von Fritsch Straße (Scheuen)

Heeresmunitionsanstalt Hänigsen II

Wie das Land platt wurde

Das ehemalige Jagdschloss in Wienhausen

Die alte Oppershäuser Schleuse

Attraktionen früher...

Die falschen Funktürme bei Eicklingen

LGLN stellt historische Karten zum Download bereit

Das Aus in Altencelle

Der letzte Husar - Generalfeldmarschall von Mackensen

Woher das Heideeck seinen Namen hat

Wie kam die Munition nach Ahnsbeck?

Woher die Sprache ihren Namen hat?

Clemens Cassel

Dorfbewohner früher (Berufe)

Johann Heinrich Steffens

Eierberg bei Lachtehausen

Hausruine bei Oberohe

Der Harkeknecht unter der Allerbrücke

Einmarsch der Amerikaner in den Raum Celle - Teil I 

Die Arten des bäuerlichen Besitzes

Der ehemalige herrschaftliche Sitz in Schwachhausen

Die Wienhäuser Allerbrücke



2016

Der Vogelherd / Finkenheerd bei Celle


Die Riesenburg bei Lachendorf

Das verschwundene Dorf bei Langlingen 

Achtung Überfall - Geschichte des Schützenfestes Offensen-Schwachhausen

Der Hexenbusch bei Schelploh

Der falsche Ringwall bei Lachendorf

Panzerwracks bei Müden

B-17 Bomber stürzte zwischen Langlingen und Hohnebostel ab

Geschichtliches zur Mühlenmasch in Celle

Vergessene Gebäude an der Zufahrt zum ehemaligen Marinesperrzeugamt

Was geschah im Tiefental?

Altes Wegstück der Straße von Celle nach Braunschweig

Bilderserie aus den Celler Kasernen

Die 10 schaurigsten Orte im Landkreis Celle

Die alte Celler Ratsziegelei

Geheimer Bunker



2017

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus


Das vergessene Flugfeld bei Zahrenholz

Der geheimnisvolle Königsplatz bei Lachtehausen

Der geheime Scheinflugplatz bei Bokel

Der Flugplatz der kaiserlichen Marine bei Scheuen

Die alte Straße von Celle nach Hamburg

Der alte Obstgarten bei Vorwerk

Weiße Geister an der Straße von Celle nach Rebberlah

Pferderennen in Celle

Das Kriegsende - die letzten Tage vor dem Zusammenbruch - Teil I

Das Kriegsende - die letzten Tage vor dem Zusammenbruch - Teil II

Der Klosterhof in Nienhagen

Der Herzogbrunnen bei Ummern

Gedenktafel bei Wienhausen zerstört

Bunker und Splitterschutzgräben bei Vorwerk - Celle

Habighorst und Höfer - Recherchen für Buchprojekt

Auf der Fährte des letzten Panzers

Der alte Lachendorfer Bahnhof

Die Bürokratie vergisst nicht...

Hügelgräber zwischen Lachendorf und Gockenholz

Historischer Oderverlauf im Flotwedel















2018


Die Allerheide bei Lachendorf
















2019



Der Luftschutzbunker in Klein Hehlen (Celle)









Sonntag, 17. September 2017

Sandwüste bei Celle - Suche nach „Abbenburen“ (Hambühren)




Die einstige Sandwüste westlich von Celle und die Suche nach dem alten Dorf „Abbenburen“ (Hambühren)

Im Raum Celle gibt es einige Geschichten um "vergessene Dörfer", sogenannte "wüste Orte" oder, wie sie fachsprachlich bezeichnet werden: Ortswüstungen. Im nachfolgenden Beitrag wird die Überlieferung um einen altes, heute nicht mehr vorhandenes Dorf bei Hambühren untersucht. Dieses soll angeblich unter den großen Sandmassen einer Wanderdüne verschüttet worden sein... 

Unweit des heutigen Dorfes Hambühren befindet sich ein Platz der den Flurnamen „Im alten Dorfe“ trägt. Der Platz liegt etwa 2,0 Km östlich von Hambühren und somit in etwa auf halber Strecke in Richtung Celle.

Der Überlieferung nach stand an dieser Stelle einst das alte (ursprüngliche) Dorf Hambühren. Den Erzählungen nach soll der Ort zunehmend von Wanderdünen verschüttet worden sein, sodass sich seine Bewohner veranlasst sahen, den ursprünglichen Dorfplatz aufzugeben und weiter westlich ein neues Dorf „Hambühren“ zu gründen.[1] Bis heute sind vor Ort auffällige Dünenberge erkennbar. Darüber hinaus ist ein entsprechender Flurname überliefert, der in offiziellen Karten geführt wird.

Quelle: Region Celle Navigator / LGLN.

Neben der Überlieferung eines wüst gefallenen Dorfes wird in diesem Zusammenhang von einer Legende berichtet. Dieser zufolge soll es bei Hambühren einen „Schatz im Geldloch“ geben:

Zwischen der Schäferei bei Celle und Hambühren liegt eine Gruppe ansehnlicher Sandhügel, die der Wind zusammengeweht hat. Die Celler Spaziergänger nennen sie „die sieben Berge“ oder wohl gar „die Hambührener Schweiz“. Hier lag in alten Zeiten das Dorf Hambühren mit seinen Hofen und Gärten. Aber der Westwind blies jahraus, jahrein den leichten fliegenden Sand aus dem Allertale gegen das Dorf, also dass die Äcker und Gärten versandeten, wie es in einem alten Liede heißt:

„De Wind, de weiht,
De Hahn, de kreiht,
De Sand fängt an to weihen.“

Schon war zu sehen, dass mit der Zeit auch die Gebäude zustürmen würden.

„De Wind, de weiht,
De Hahn, de kreiht,
Bald ligt dat Dörp in’n Sarge.“

Da blieb den Bauern nichts anderes übrig, als ihre alten Wohnplätze zu verlassen. Sie brachen die Höfe ab und bauten sie eine Strecke weiter nach Westen wieder auf. Die Stelle, wo vormals die alten Höfe lagen, heißt heute noch immer „im alten Dorf“, obgleich wohl mehr als ein halbes Jahrtausend vergangen ist, seit die Dünen von dem Gelände Besitz genommen haben. 

Bild: traditionelle Dorfansicht. Quelle: König, in: Lüneburger Heimatbuch Bd. 2. 

Man erzählt sich in Hambühren, dass im „alten Dorf“ an einer Stelle, die „das Geldloch“ heißt, ein Schatz vergraben liege. Nur beherzten Männern werde es gelingen, ihn zu heben, wenn sie in der Geisterstunde von 12 bis 1 Uhr nachts nachgraben, ohne dabei auch nur ein einziges Wort zu sprechen. Einen pechschwarzen Hund müssten sie zur Stelle haben, der schließlich den Schatz aus dem Boden herauskratzen werde.

Vor langen Jahren sollen einige unerschrockene Männer es unternommen haben, dern Schatz zu gewinnen. Sie kamen bei Nacht und Nebel mit einem schwarzen Hunde zum „Geldloch“ und schaufelten eine tiefe Grube in den Sand. Endlich stieß einer der Männer mit seinem Spaten an einen harten Gegenstand, dass es klang. „Da ist er!“ rief er heftig aus, aber in demselben Augenblick versank der Schatz viele Klafter tiefer in den Boden und alle Arbeit war vergebens, weil der Schatzgräber seine Zunge nicht im Zaume gehalten hatte.[2] 

Es gibt auch geringfügige Abwandlungen zu dieser Version der legende, wonach der Schatz aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stammen soll.[3] Im Ergebnis bleibt es jedoch bei der Überlieferung eines durch Wanderdünen versandeten und daher wüst gefallenen Dorfes. Die Legende vom Schatz ist allerdings getrennt von der Überlieferung eines wüsten Dorfes zu untersuchen, denn die Schatz-Legende knüpft an die Existenz der Ortswüstung an und nicht umgekehrt.

Bild: Dünenhügel bei Hambühren im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Der handfeste Beweis für das Vorhandensein eines verlassenen Dorfplatzes – und damit einer alten Ortswüstung – kann vermutlich nur durch archäologische Untersuchungen abschließend erbracht werden. Dennoch sollen nachfolgend die örtlichen Gegebenheiten und Umstände untersucht werden. Diese können Ausgangspunkt für weitere Analysen sein.

Zunächst stellt sich die Frage aus welcher Zeit die Ortswüstung des „altes Dorfes“ stammen könnte. Erstmals urkundlich erwähnt wird der Ort Hambühren am 31.12.1320, als Herzog Otto von Braunschweig und Lüneburg dem Ritter Gebhard Schlepegrell dem Älteren Leibeigene aus Hambühren überlässt.

Quelle: v. Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch Bd. 15, Celle 1859, Urk. Nr. 118.

Spätere Erwähnung fand der Ort Abbenburen insbesondere im Vogtei-Schatzregister von 1372 sowie im Schatzregister der Großvogtei von 1438.[4] Letzterem zufolge war der Ort in „dat kerspel to Winsen“ (Das Kirchspiel zu Winsen) eingepfarrt. In den Schatz- und Zinsregistern findet sich jedoch kein Hinweis auf die Lage des Ortes bzw. auf eine Verlagerung. Es fehlt somit ein historischer Quellennachweis dafür, dass der Ort Abbenburen bzw. Hambühren sich einst an anderer Stelle als heute befunden hat. Denkbar wäre allerdings, dass lediglich die genaue Beschreibung des ursprünglichen Standorts fehlt sowie der Hinweis, dass der Ort umsiedelte.

Der erste zuverlässige kartografische Nachweis des Ortes Hambühren stammt aus der Zeit um das Jahr 1600, als der Kartograph Johannes Mellinger (1538 – 1603) seinen Atlas des Fürstentums Lüneburg veröffentlichte.[5] In seiner Kartenmappe zeigte Mellinger den Ort Hambühren leicht südwestlich von Boye und deutlich innerhalb der Winsener Vogtei-Grenze.

Quelle: Johannes Mellinger – Atlas des Fürstentums Lüneburg um 1600.

Es gibt aufgrund dieser Darstellung zunächst keinen Zweifel daran, dass Mellinger um 1600 bereits von der heutigen Lage des Dorfes Hambüren ausgehen konnte. Für seine Verortung diente insbesondere die Einmündung des heutigen Grobebachs, der vom Entenfang, nördlich von Boye, oberhalb des Ortes in die Aller mündete. Mellingers Karte zeigt den Verlauf des Baches, der sich im Laufe der Zeit kaum verändert hat. Hätte Mellinger den Ort Hambühren im Bereich der Flurbezeichnung „Im alten Dorf“ darstellen wollen, so wäre es ein Leichtes gewesen den Ort anhand der Bachmündung weiter östlich einzutragen.

In den kartografischen Darstellungen der folgenden Jahrhunderte wird der Ort Hambüren stets an seiner heutigen Position gezeigt. Auffällig ist indes der Verlauf der Verwaltungsgrenze zwischen Celle und Hambühren. Eben dort, wo sich die Flur „Im alten Dorf“ befindet, weist der Grenzverlauf eine auffällige Ausbuchtung auf.

Quelle: Kurhannoversche Landesaufnahme, 1780; Google Earth.

Es fehlen insofern kartografische Belege, die eindeutig für einen einstigen Standort des Ortes Hambühren weiter östlich sprechen. Damit lässt sich festhalten, dass neben der vorliegenden schriftlichen und mündlichen Überlieferungen zur Ortswüstung Hambührens keine eindeutigen Quellenbelege existieren, die den mutmaßlichen Standort zweifelsfrei bestätigen.

Es sind daher vorwiegend Indizien, die eine Existenz der Ortswüstung plausibel nahelegen. Zu diesen Indizien zählt insbesondere die Darstellung des Celler Stadtchronisten Clemens Cassel, nach der es im 15. Jahrhundert zu einer Beeinträchtigung durch Flugsand kam.[6] Cassel berichtete über die westlich der Stadt Celle gelegenen Felder wie folgt:

„Dies Ackerland war unter Flugsand begraben. Da die Gefahr bestand, dass der lose Sand durch Westwinde der Stadt näher zugetrieben und Stadtgräben und Tätze[7] zugeschüttet werden möchten, überließen die Herzöge Heinrich und Wilhelm der Jüngere um 1565 das Gelände dem Magistrate unter der Bedingung, dass der „schändliche Ort“ mit Eichen bepflanzt und mit Sandhafer besäht würde. Die Bemühungen waren erfolglos. Immer wieder und wieder legte der Wind die Wurzeln der jungen Stämme bloß, obwohl man zwischen die Eichen Besenpfriem („Brammer“), Fuhren und Eschen gesetzt hatte. 1602 waren sämtliche Pflänzlinge längst wieder eingegangen. Neue Aufforstungen erfolgten in den Jahren 1604 und 1646. Aber auch sie mißrieten. Noch im 17. Jahrhundert geben Bürgermeister und Rat den völlig ertraglos liegenden „Heisterkamp im Sande über der Tätzebrücke“ auf. Der Name des anstoßenden Forstbezirks „Sandschellen“ erinnert noch an das Vorkommnis, noch mehr jedoch die eigenartige Bodenbildung des hügligen Geländes. Um dem Weiterwandern der Sanddünen nach Süden zu wehren, scheint man zu dem Mittel der Anpflanzung von Fuhren gegriffen zu haben. Die Benennung „Fuhrenzaun“ spricht für diese Mutmaßung.“[8]

Leider bleibt Cassel einen entsprechenden Quellennachweis für diesen wichtigen historischen Hinweis schuldig. Unterstellt man die Richtigkeit seiner Angaben, müsste die Versandung der westlich von Celle gelegenen Gebiete sich bis ins 17. Jahrhundert gezogen haben, wobei der Beginn scheinbar in der Mitte des 16. Jahrhunderts verortet werden muss. In diese Zeit, nämlich in den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, legt Barenscheer einen Umbruch in der Viehhaltung.[9] Verantwortlich für eine verstärkte Beweidung war laut Barenscheer der erhöhte Bedarf nach Wollerzeugnissen in Verbindung mit dem gestiegenen Potential der Verarbeitung von Stoffen sowie dem Handel mit diesen.[10]

Historisch belegt ist dieses Phänomen in weiten Bereichen des norddeutschen Raumes.[11] Die Ursachen für die Entstehung von Weh- bzw. Flugsanden und die anschließende Dünenbildung in jüngerer Zeit knüpft an die Wirtschaftsweise der Heidebauern an.[12] Diese bestand, bis zu den richtungsweisenden Agrarreformen im 19. Jahrhundert, vorwiegend aus Plaggenwirtschaft und Schafhaltung.[13] Die Plaggenwirtschaft ist dabei als simple Form der Düngergewinnung zu begreifen. Die Nährstoffarmut der Böden erforderte eine künstliche Düngung. Da weder moderne Kunstdünger noch ausreichend Dung bzw. Mist vorhanden war, griff man auf die Methode des Plaggenhiebs zurück.[14] Dabei wurden Wald- oder Heideplaggen abgetrennt, abgefahren und auf die Felder verbracht. Auf diese weise gelangten zwar in gewissem Maße neue Nährstoffe in den beackerten Boden. Allerdings führte diese Methode auch zu einer Zerstörung der oberen Bodenschicht in weiten Regionen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts erlebte diese Wirtschaftsweise vielerorts ihren Höhepunkt, der gleichsam mit einer sprichwörtlichen „Verwüstung“ des Landes einherging.[15]

Wo die Wälder und Heiden fehlten, setzte eine erhebliche Vergrößerung der Flugsandflächen ein.[16]
Nach überschlägigen Berechnungen waren bei einem Hof, der ca. 170 Morgen Ackerland umfasste, rund 830 Fuder (Wagenladungen) Heidestreu und Plaggen zur Düngung pro Jahr erforderlich.[17] Mancherorts wurden daher bereits die Heideflächen knapp, denn die Äcker mussten schließlich jährlich gedüngt werden, während sich die Heiden jedoch nur in einem längeren Rhythmus regenerierten. Aus diesem Grund war die obere Bodennarbe häufig ganz abgetragen, der leichte Flugsand bot dem Wind eine Angriffsfläche und in vielen Bereichen entstanden sogenannte „Sandschellen“ (Binnendünen).[18] Die Fluren im Neustädter Holz, westlich der Stadt Celle tragen noch heute den Namen „Die Sandschellen“.[19]

Bild: Heidebauer beim Plaggenhieb. Quelle: König / Freudenthal, in: Lüneburger Heimatbuch Bd. 2, S. 390.

Zur Mitte des 18. Jahrhunderts ergaben sich vielerorts derart große Probleme durch Flugsande und Dünenbildung, dass durch Regierungsstellen Problemlösungen gesucht wurden.[20] Diese sahen letztlich verpflichtende Maßnahmen zur Befestigung der Böden vor. Unter anderem sollten Sandhafer, Abdeckungen mit Reisigzweigen sowie Gräben und angepflanzte Fuhren- bzw. Kiefernzäune das Problem der Flugsande in den Griff bekommen.

Diese Maßnahmen waren jedoch mancherorts nicht gerne gesehen, da sie einer anderen elementar wichtigen Wirtschaftsweise im Wege standen: der Schafhaltung. Diese verursachte ebenfalls immense Bodenschäden, da die Tiere in weiten Bereichen die Pflanzennarbe komplett zerstörten.[21] Mit dem ansteigenden Bedarf an Wolle, wuchsen die Ertragsaussichten der Heidebauern, die ansonsten kaum über Wirtschaftsalternativen verfügten. Überweidung und einseitige Wirtschaftsweise waren in weiten Teilen der Heidelandschaften die Folge.[22]

Bild: Dünenhügel bei Hambühren im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Diese historischen Hintergründe belegen indes noch nicht, dass es tatsächlich eine Ortswüstung Hambühren gegeben hat. Es wäre zwar durchaus möglich, dass Westwinde und Flugsande der Stadt Celle und ihrem Umland Probleme bereiteten. Damit wäre allerdings noch nicht bewiesen, dass diese auch dafür sorgten, dass die Bewohner Hambührens ihr Dorf aufgeben und anderenorts neu aufbauen mussten. Es stellt sich daher im Folgenden die Frage nach möglichen Standortfaktoren einer Siedlung im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Nur sofern hier grundsätzlich einst die erforderlichen Siedlungsfaktoren erfüllt waren, macht es Sinn hier nach den Spuren menschlicher Besiedlung zu forschen.

Die Lage von Siedlungen ist bedingt durch Standortfaktoren, die für das Überleben der Siedler entscheidend sind. Logischerweise erfolgt eine Ansiedlung dort, wo natürliche Standortfaktoren das spätere Wohnen begünstigen. Hierzu gehört neben einer vorteilhaften Bodenbeschaffenheit insbesondere die Anwesenheit von Wasser.[23] Die Erreichbarkeit der lebenswichtigen Ressourcen stellt zweifelsfrei einen entscheidenden Faktor der menschlichen Siedlungsfreudigkeit dar. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass die möglicherweise vorhandene Ortswüstung Hambührens im Zeitpunkt ihrer Gründung die grundsätzlichen Standortfaktoren besessen haben müsste. Unabdingbar wäre also insbesondere die Anwesenheit natürlicher Trinkwasserquellen gewesen. Eine Ansiedlung in Abwesenheit nutzbarer Wasserquellen erscheint indes unwahrscheinlich.

Bei der Ortsbegehung im Bereich der Flur „Im alten Dorf“ fallen zunächst die vorhandenen und gut erkennbaren Binnendünen auf. Diese erstecken sich entlang des gesamten Weges zwischen dem heutigen Ort Hambühren und der Flur „Im alten Dorf“.

Bild: Dünen entlang des Weges zwischen Hambühren und der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Zunächst scheinen damit wichtige Besiedlungsfaktoren nicht erkennbar zu sein. Weder gute Böden, noch Wasser lassen sich auf den ersten Blick im Bereich der Flur „Im alten Dorf“ vorfinden. Hinzu kommt, dass die Böden, trotz einer oberflächlich angewachsenen Humusschicht nicht in der Lage sind, Feuchtigkeit in ausreichendem Maße zu speichern. Praktisch hätte eine Bewirtschaftung der sandigen Böden in diesem Bereich nur weinig bis keinen Ertrag hervorgebracht.

Allerdings kann die Abwesenheit guter Boden eventuell vernachlässigt werden, wenn man davon ausgeht, dass die Sandüberwehungen erst in jüngerer Zeit erfolgten. In diesem Fall würden sie den Grund für die Abwesenheit fruchtbarer Böden darstellen. Entscheidender ist daher die Frage nach vorhandenen Wasserquellen bzw. Bachläufen.

Tatsächlich sind in unmittelbarer Nachbarschaft zur Flur „Im alten Dorf“ die Überreste alter Flussbetten erkennbar. Diese heben sich insbesondere durch den Bewuchs mit stämmigen Eichen von der Umgebung deutlich ab. In den Uferbereichen der einstigen Flussbetten muss eine andere Bodenbeschaffenheit vorherrschen – dies zeigt sich insbesondere im Bewuchs.

Bild: altes Flussbett im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Die alten Flussläufe zählen zum Naturschutzgebiet der Allerniederung und gehörten sehr wahrscheinlich zu einem Altarm der Aller. Dieser scheint früher vor der in nördliche Richtung verlaufenden Allerkurve abgezweigt zu sein. Anhand des auffälligen Eichenbewuchses, innerhalb des ansonsten von Kiefern bewaldeten Geländes, zeigt sich der Verlauf dieses alten Flussarmes noch heute.

Weiter nördlich der Flur „Im alten Dorf“ mündete der Altarm in einem gut erkennbaren Delta wieder zurück in die Aller. Besonders wenn die Aller viel Wasser führte – insbesondere in Hochwasserperioden – dürfte der Altarm recht viel Wasser geführt haben. Dass er zumindest zeitweise große Wassermengen aufnahm ist im Bereich seines Mündungsdeltas erkennbar. Hier hinterließ das abfließende Wasser auffällige Spuren und trug große Teile des Untergrunds ab.

Bild: altes Flussbett im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Über den Nebenarm der Aller hätte eine ehemalige Dorfstelle gut mit Wasser versorgt werden können. Das Vorhandensein des Altarms ist somit durchaus als Standortfaktor für eine mögliche Ortswüstung zu werten.

Bild: altes Flussbett im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Unbeantwortet geblieben ist bisher die Frage nach dem Alter der Dünen im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Die historische Betrachtung (s.o.) legt nahe, dass die „Verwüstung“ der Gegend – und damit auch das Auftreten von Flugsanden und Dünen – verstärkt im 18. Jahrhundert auftrat. Aus dieser Zeit finden sich verlässliche Quellenberichte, die von der Dünenproblematik berichten. Allerdings kann die mögliche Ortswüstung nicht aus dieser Zeit stammen – ansonsten lägen offizielle Quellen vor, die darüber berichten würden.

Für das Alter der Dünen östlich von Hambühren liegt bisher keine genaue Datierung vor. Nur wenige Kilometer flussabwärts der Aller befindet sich allerdings in Höhe des Ortes Südwinsen ebenfalls ein ausgeprägtes Dünengebiet. Auch hier soll es angeblich zu Umsiedlung aufgrund von Flugsanden gekommen sein.[24] Für dieses Dünengebiet liegen jedoch recht genaue Datierungen vor. So konnte insbesondere unter der Anwendung einer C-14-Datierung festgestellt werden, dass die tieferen Dünenschichten bei Südwinsen im Regelfall ein Alter von ca. 9.400 Jahren aufweisen.[25] Die mittleren Schichten wurden immerhin noch auf ein Alter von ca. 3.500 Jahren v. Chr. datiert und die oberen Schichten auf die Zeit von ca. 500 n. Chr.[26] Erst viel später – nämlich im 18. Jahrhundert setzte demzufolge eine weitere Überwehung ein.[27]

Bild: Bodenschichten und Queerschnitt im Bereich der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Inwiefern die Datierungen und Erkenntnisse auf das Dünengebiet östlich von Hambühren anwenden lassen ist unklar. Die geografische Nähe legt zumindest den Schluss nahe, dass es sich hier ähnlich verhalten haben könnte. Dann wäre eine im Mittelalter durch Sandverwehungen entstandene Ortswüstung jedoch sehr unwahrscheinlich.

Ein weiterer Umstand ist zu beachten. Im oberen Verlauf der Aller – nämlich im Raum Gifhorn – ist dasselbe Landschaftsbild vorzufinden. Auch hier prägen zahlreiche Binnendünen die Gegend entlang des ehemaligen Urstromtals der Aller. Für den Gifhorner Raum wurden die mittelalterlichen Wüstungen jedoch bereits umfassend erforscht und dokumentiert.[28] Von den rund 55 untersuchten wüst gefallenen Dörfern, Höfen oder anderweitigen Siedlungen findet sich bei keiner einzigen der Grund für das Verlassen der Siedlung im Vorhandensein von Wanderdünen. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass die Umstände im Raum Gifhorn nicht übermäßig von denen bei Celle und Hambühren abwichen. Wären Flugsande und Wanderdünen also eine geläufige Ursache für Ortswüstungen in der Region, müsste diese Ursache wahrscheinlich wenigstens für andere Orte überliefert und belegt sein.

Bild: Dünen bei Hambühren nahe der Flur „Im alten Dorf“. Quelle: Hendrik Altmann.

Möglicherweise liegt die Wahrheit aber – wie so oft – in der Mitte. Die Vorstellung, dass sich mächtige Wanderdünen ein ganzes Dorf unter sich begruben mag vielleicht nicht zutreffen. Dennoch kann die Überlieferung eines alten und verlassenen Dorfes im Bereich der Flur „Im alten Dorf“ bei Hambühren auf Tatsachen hindeuten. So führte bereits Oberbeck in seiner Wüstungsforschung für den Raum Gifhorn aus, dass schlechte Böden nachgewiesen ein Faktor für das Entstehen von Ortswüstungen gewesen waren.[29] Die schlechten Bodenverhältnisse alleine führten allerdings noch nicht zwangsläufig dazu, dass Orte wüst fielen. Oft konnten die schlechten Böden nämlich durch Stall- und Plaggendüngung künstlich mit Nährstoffen angereichert werden. Es war somit in gewissem Maße möglich schlechte Bodenqualitäten auszugleichen.

Problematisch wurden die Verhältnisse erst dann, wenn es an Dünger fehlte. Eine Vielzahl der Ortswüstungen ist daher auf die Zeit der Rodungen zurückzuführen in der es zu einer Übernutzung der Wälder und damit zum Wegfall natürlicher Düngeressourcen kam.[30] Die Orte wurden daher nicht aufgrund von Flugsanden bzw. Wanderdünen aufgegeben, sondern weil sich die Bodenverhältnisse dermaßen verschlechterten, dass die beanspruchten Böden keinen landwirtschaftlichen Ertrag mehr hergaben.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Spuren der wüstenartigen Dünenlandschaft zwischen Hambühren und Celle noch heute deutlich zu erkennen ist. Mittlerweile sind die Sandhügel durch eine geschlossene Pflanzendecke geschützt. Aus heutiger Sicht ist es somit nicht leicht sich diesen Landstrich als bewuchslose Wüste vorzustellen. Historische Quellen belegen aber genau das – noch vor 300 Jahren muss es zwischen Hambühren und Celle wirklich „wüst“ ausgesehen haben. Ursächlich hierfür war insbesondere die landwirtschaftliche Übernutzung der Flächen. Wo die haltgebende Pflanzendecke fehlte konnte der Wind den Sand forttragen.

Bis heute halten sich die Erzählungen um das verlorene Dorf bei Hambühren. Die Geschichte entfaltet nicht zuletzt deswegen einen so großen Reiz, weil sie unmittelbar das Bild eines im Sand versinkenden Dorfes hervorruft. Aus analytischer Sicht sprechen maßgebliche Faktoren gegen eine Ortswüstung „Abbenburen“ bzw. Hambühren. Trotzdem sind die näheren Umstände bis heute nicht geklärt und vor Ort gegebene Standortfaktoren könnten eine einstige Siedlung tatsächlich begünstigt haben.

Damit bleibt festzuhalten, dass den abschließenden Beweis – oder Gegenbeweis – nur archäologische Untersuchungen ergeben können. Hierbei könnte insbesondere durch den Einsatz eines Bodenradars gezeigt werden, ob es möglicherweise Siedlungsspuren unterhalb der Dünenhügel gibt. Schlussendlich scheint das letzte Wort in der Frage nach einer Ortswüstung bei Hambühren also noch nicht gesprochen zu sein...

H. Altmann




[1] Barenscheer, Wanderdünen und verschüttete Dörfer im Allertal, in: Der Sachsenspiegel, Cellesche Zeitung, 31.03.1950; Seeling, Heimatkundliche Beiträge aus der Umgebung von Celle (nv); Alpers / Barenscher, Celler Flurnamenbuch, S. 161.
[2] Alpers / Breling, Celler Sagen aus Stadt und Land, 2. Aufl. 1949, S. 37.
[3] Seeling, Heimatkundliche Beiträge aus der Umgebung von Celle (nv).
[4] Grieser, Das Schatzregister der Großvogtei Celle von 1438, Hildesheim und Leipzig 1934, S. 8.
[5] Aufegbauer / Casemir / Geller / Neizert / Ohainski / Streich, Johannes Mellinger – Atlas des Fürstentums Lüneburg um 1600, Bielefeld 2001, Anhang 10, Die Vogtey Winßen an der Aller.
[6] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, S. 349 ff.
[7] Unterlauf der Fuhse, vor der Einmündung in die Aller (Tadiesleke) – der Fluss Tätze mündete au einem See in die Aller, dieser lag einst unmittelbar westlich der Ansiedlung Westercelle; Möller, Celle-lexikon, S. 223. 
[8] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, S. 349 ff.
[9] Barenscheer, Wanderdünen und verschüttete Dörfer im Allertal, in: Der Sachsenspiegel, Cellesche Zeitung, 31.03.1950.
[10] Ebd.
[11] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 14 ff.
[12] Ebd.
[13] Peters, Die Heideflächen Norddeutschlands, S. 50f.
[14] Kremser, Niedersächsische Forstwirtschaft, Rotenburg (Wümme), 1990, S. 345
[15] Hesmer / Schröder, Waldzusammensetzung und Waldbehandlung im Niedersächsischen Tiefland westlich der Weser und in der Münsterschen Bucht bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, S. 130.
[16] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 81 ff.
[17] Peters, Die Heideflächen Norddeutschlands, S. 64.
[18] Peters, Die Heideflächen Norddeutschlands, S. 64.
[19] Alpers / Barenscher, Celler Flurnamenbuch, S. 161.
[20] Hierzu vertiefend: Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 81 ff.
[21] Dewers, Geologische Auswirkungen der früheren bäuerlichen Heidewirtschaft in Nordwestdeutschland, in: Natur und Volk, Bd. 65, S. 438-490, Frankfurt 1935.
[22] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 88 ff.
[23] Behr, Landnutzung und Kulturlandschaft, Göttingen 2013, S. 9 f.
[24] Barenscheer, Wanderdünen und verschüttete Dörfer im Allertal, in: Der Sachsenspiegel, Cellesche Zeitung, 31.03.1950;
[25] Pyritz, Binnendünen und Flugsndebenen im Niedersächsischen Tiefland, Göttingen 1972, S. 35 ff.
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Oberbeck, Die mittelalterliche Kulturlandschaft des Gebietes um Gifhorn, Bremen 1957.
[29] Ebd., S. 117.
[30] Ebd.