f April 2022 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Donnerstag, 21. April 2022

Der Scharfschießplatz am Haußelberg



Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde in Unterlüß eine Minenwerferschule eingerichtet. Auf den Flächen rund um den Ort entstanden Übungsgelände, um den Umgang mit den neuen Waffen zu trainieren. Historische Relikte aus dieser Zeit sind bis heute zu erkennen.

Eine unscheinbare Landkarte - auf Leinenstoff geklebt und auf ein praktisches Taschenformat gefaltet – zeigt die Südheide im Maßstab 1:100.000. Nordwestlich von Eschede – in der Nähe von Rebberlah – und nördlich von Lutterloh – circa am Haußelberg – sind große Flächen in der Karte markiert. Diese trägt die handschriftliche Bezeichnung „Übungsplatz Rebberlah“. Einen solchen trifft man heutzutage vor Ort nicht mehr an – die historischen Zusammenhänge werden im Folgenden dargestellt.

Bild: Rückseite der Landkarte "Übungsplatz Rebberlah Oldendorf". Quelle: Archiv Altmann. 

Als die Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik Actiengesellschaft am 1. September 1899 ein 1.040 Hektar großes Areal bei Unterlüß gepachtet und rund drei Monate später den regelmäßigen Schießbetrieb aufgenommen hatte, wurde der Grundstein für die Bedeutung dies hiesigen Rüstungsstandortes gelegt.[1] Der Kriegseintritt des Deutschen Kaiserreiches am 1. August 1914 ebnete den Weg in einen, in seinen Ausmaßen bis dahin unvorstellbaren Konflikt, der uns heute als Erster Weltkrieg bekannt ist. 

Als zunächst rasch gewinnbar eingeschätzt, entwickelte er sich zu einem zermürbenden Abnutzungs- und Verschleißkrieg. Bereits rund einen Monat nach Kriegsbeginn wurde die Vorstellung von einem schnellen Sieg an der Westfront von der militärischen Realität eingeholt. Die Schlacht an der Marne im September 1914 markierte eine entscheidende Wendung für den deutschen Vormarsch im Westen. Zunehmend verfestigten sich die Frontlinien – es entwickelte sich ein aufzehrender Stellungskampf.

In der verfahrenen Situation erboten sich militärtechnische Innovationen als mögliche Lösungsansätze. Während die großkalibrige Artillerie zwar in der Lage war, weite Bereiche unter Beschuss zu nehmen, so waren ihre Feuerüberfälle mitunter schwerfällig und es mangelte am nötigen Überraschungsmoment für rasche infanteristische Durchstöße. Neuartige Minenwerfer ermöglichten es diese Nachteile für schnelle Überfälle auszugleichen.
 
Bild: Deutscher mittlerer Minenwerfer, Kaliber 17 cm
Quelle: Wikipedia, Janmad, CC-Lizenz, no changes.
Es handelte sich dabei um Steilfeuergeschütze mit einem  gezogenen kurzen Rohr, die je nach Kaliber, verschiedenartige Geschosse verschießen konnten. Aufgrund ihrer kompakten Abmessungen eigneten sich Minenwerfer insbesondere für den Einsatz aus kleineren Feuerstellungen. Bei Kriegsbeginn verfügte das deutsche Heer lediglich über 70 schwere und 116 mittlere Minenwerfer.[2] Bis Anfang 1918 steigerten sich die Bestände auf 13.329 leichte, 2.476 mittlere und 1.322 schwere Minenwerfer.[3] 

Neben der Produktion der Werfer als solche und der Herstellung der nötigen Munition musste darüberhinaus auch die Truppe im Umgang mit den Werfern geschult werden. Um die Ausbildungssituation zu verbessern, wurde in Unterlüß eine Minenwerferschule eingerichtet.

Bild: Barackenlager der Minenwerferschule Unterlüß, Eingang. Quelle: Postkarte, Archiv Altmann. 

Bild: Barackenlager der Minenwerferschule Unterlüß, Eingang. Quelle: Postkarte, Archiv Altmann. 

Bereits im Oktober 1914 traf ein kleineres Kommando aus ca. 60 Offizieren und Unteroffizieren des Hannoverschen Pionier-Bataillon Nr. 10 aus Minden in Unterlüß ein.[4] In ihrer Anfangszeit waren die Minenwerfer der Pioniertruppe unterstellt – erst unter dem Oberkommando von Generalfeldmarschall von Hindenburg wurden die leichten Minenwerfer der Infanterie zugeordnet.[5] 

Neben der Minenwerferschule in Unterlüß existierte eine weitere bei Markendorf in der Nähe von Jüterbog. Diese Einrichtungen dienten vor allem der besonderen Ausbildung der Minenwerfereinheiten, die später dann noch gezielt in der Heeres-Minenwerferschule vervollständigt wurde.[6] Im Jahr 1915 erhielten ebenfalls Soldaten des württembergischen Pionier-Bataillons Nr. 13 eine entsprechende Ausbildung in Unterlüß.[7] Sehr wahrscheinlich hielten sich viele weitere Truppenteile zeitweise für Ausbildungszwecke in Unterlüß auf. Da die Ausbildungszeit an den Minenwerfern zunächst nur rund 10 Tage betrug, herrschte ein ständiger Wechsel der Einheiten.

Bild: Offiziersbaracke der Minenwerferschule Unterlüß. Quelle: Postkarte, Gemeindearchiv Unterlüß, Foto Nr. 605. 

Bild: Offizier-Speiseanstalt der Minenwerferschule Unterlüß. Quelle: Postkarte, Gemeindearchiv Unterlüß, Foto Nr. 606. 

Bild: Gartenanlagen in der Minenwerferschule Unterlüß. Quelle: Postkarte, Gemeindearchiv Unterlüß, Foto Nr. 599. 

Die Offiziere wurden in Unterlüß anfänglich im Kurhotel untergebracht – die Unteroffiziere fanden Platz in Hubachs Hotel und in einzelnen privaten Quartieren.[8] Mit dem Ausbau der Minenwerfertruppe steigerte sich der Bedarf der Unterbringungsmöglichkeiten. Bereits im Dezember 1914 mussten Mannschaften ebenfalls in Schmarbeck und Eschede untergebracht werden.[9] Als bei Rebberlah ein Übungsplatz für die Infanterie eingerichtet wurde, mussten die Minenwerfersoldaten in andere Quartiere ausweichen.

Bild: Landkarte "Übungsplatz Rebberlah Oldendorf" - südlicher Teil: Übungsplatz der Infanterie bei Rebberlah. Quelle: Archiv Altmann. 

Im Frühjahr 1915 wurde mit der Errichtung von Holzbaracken westlich der Neuensothriether Straße in Unterlüß begonnen. Ab Frühsommer 1915 wurden diese durch die Soldaten der Minenwerferschule bezogen. Das Lager bot zunächst in zwei größeren Mannschaftsbaracken Platz für etwa 400 Mannschaften.[10] Eine zusätzliche Baracke war für die Offiziere vorgesehen. Darüber hinaus gab es eine Küche. Alle Gebäude waren mit elektrischem Licht sowie Telefonverbindungen ausgestattet.

Bild: Gartenanlagen in der Minenwerferschule Unterlüß. Quelle: Postkarte, Gemeindearchiv Unterlüß, Foto Nr. 604. 

Allerdings reichten die Baracken an der Neuensothriether Straße mit Blick auf den Personalzuwachs der Minenwerferschule offenbar nicht aus. Auf historischen Fotos und Postkartenmotiven sind aufgebaute Mannschaftszelte zu erkennen, die neben den Baracken aufgebaut worden waren. Dass einige dieser Motive aus dem Jahr 1915 stammen, könnte dafür sprechen, dass der gesteigerte Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten vor allem während der ersten Kriegsjahre aufgetreten sein .

Bild: Barackenlager der Minenwerferschule Unterlüß, Eingang. Rechts im Bild: Zelt. Quelle: Postkarte, gelaufen am 30.11.1915, Archiv Altmann. 

Bild: Mannschaftszelt in der Minenwerferschule Unterlüß. Quelle: Postkarte, Gemeindearchiv Unterlüß, Foto Nr. 600. 

Ab Herbst 1916 war der Standort mit dem eigenständigen Minenwerfer-Ersatzbataillon Nr. 5 belegt, das den ausgebildeten Ersatz für verschiedene andere Truppenteile stellte. Das Barackenlager wurde auf der östlichen Seite der Neuensothriether Straße um weitere Gebäude ergänzt, sodass es bis zu 3.000 Personen aufnehmen konnte.[11] Untergebracht waren offenbar ebenfalls eine feste Garnisonskompanie und Einheiten, die speziell für den Nahkampf ausgebildet wurden.

Bild: Mannschaften einer schweren Minenwerfereinheit in Unterlüß. Quelle: Gemeindearchiv Unterlüß, Foto Nr. 603.

Mit Voranschreiten des Krieges und der zunehmenden Vergrößerung der Minenwerfertruppe wuchs in Unterlüß neben Unterkünften auch der Bedarf an geeigneten Übungsarealen. Diese befanden sich zunächst in unmittelbarer Ortsnähe. Als diese Übungsplätze nicht mehr ausreichten, um den „scharfen Schuss“ zu trainieren, wurde noch im Jahr 1918 im Bereich des Haußelbergs ein ca. 2.070 Hektar großer „Scharfschießplatz“ angelegt. 

Bild: Landkarte "Übungsplatz Rebberlah Oldendorf" - nördlicher Teil: Scharfschießlatz am Haußelberg. Quelle: Archiv Altmann. 

Die Schmalspurbahn, die bis dahin die Übungsplätze westlich von Unterlüß mit dem Barackenlager der Minenwerferschule an der Neuensothriether Straße verband, wurde verlängert und bis an das neue Gelände am Haußelberg herangeführt. Die eingleisige Bahn hatte eine Spurweite vom 60 cm – ihr Endpunkt lag südlich des Haußelbergs an einer kleinen Rampe. Relikte der Bahnstrecke sind im Gelände bei genauem Hinsehen noch heute zu erkennen.

Bild: Landkarte "Übungsplatz Rebberlah Oldendorf" - nördlicher Teil: Scharfschießlatz am Haußelberg. Quelle: Archiv Altmann. 

Die angestrebte Nutzung des Scharfschießplatzes am Haußelberg wurde jedoch von der weltpolitischen Realität eingeholt. Als am 11. November 1918 der Waffenstillstand von Compiègne in Kraft trat, war der Schießplatz offenbar noch nicht vollständig fertiggestellt. Anders als geplant, musste der Platz nun abgewickelt werden – die weitere Verwendung und der Rückbau der Schmalspurbahn waren zu klären.[12] Dies erfolgte erst nach einer aufwändigen Auseinandersetzung der beteiligten Eigentümer gegen Anfang der 1920er Jahre.

Obwohl das Übungsgelände am Haußelberg wohl nicht mehr für seinen eigentlichen Bestimmungszweck – das Scharfschießen mit Minenwerfern – zum Einsatz kam, scheint das Areal dennoch militärisch genutzt worden zu sein. Rund einen Kilometer westlich der Kieselguranlagen bei Wiechel sind im Gelände bis heute aufwändig angelegte Stellungssysteme erhalten geblieben. 

Bild: Teile des Stellungssystems am Haußelberg. Quelle: Altmann, 2022. 

Genau genommen handelt es sich um zwei einander gegenüber angelegte Systeme aus Lauf- und Verbindungsgräben – teilweise versehen mit Schützengräben und rückwärtigen Stellungen. Auf alliierten Luftbildern, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges aufgenommen worden sind, lassen sich die Stellungssysteme am Haußelberg eindeutig erkennen.

Bild: Übersichtskarte der Stellungssysteme am Haußelberg. Quelle: Archiv Altmann; Google Earth, 2022. 

Es dürfte sich dabei sehr wahrscheinlich um Anlagen handeln, die im Ersten Weltkrieg zu Übungszwecken angelegt worden sind. Möglicherweise um einerseits den Stellungsbau zu trainieren und andererseits, um darüber hinaus die Erstürmung und den Nahkampf zu üben. Die Stellungssysteme am Haußelberg sind lehrbuchartig angelegt – aus ihrer Beschaffenheit lassen sich Hinweise zum historischen Hintergrund ableiten.

Bild: Aufbau und Verwendung von Stellungen. Quelle: Dienstvorschrift Nr. 275, Feld-Pionierdienst aller Waffen, 1911

In ihrer vordersten Linie weisen die Stellungssysteme Schützengrabenlinien auf. Diese waren im Regelfall mindestens 1,40 Meter tief und an ihrer tiefsten Stelle ca. 0,60 Meter breit. Die Schützengräben verfügten entsprechend der Dienstvorschrift im Abstand von jeweils 6,00 Metern über sogenannte Schulterwehren. Im Kampf sollten diese gegen Schräg- und Längsfeuer schützen und die seitliche Wirkung von Artilleriegeschossen und Handgranaten einschränken, die in- oder nahe der Deckung explodieren.[13] 

Damit schützen sie den Soldaten in seinen Flanken, währen die sogenannten Brust- und Rückenwehren diese Aufgabe an Vorder- und Rückseite des Schützengrabens übernahmen. In den Räumen zwischen zwei Schulterwehren konnten zusätzliche Unterschlupfe eingerichtet werden.

Bild: Schulterwehren im Schützengraben. Quelle: Dienstvorschrift Nr. 275, Feld-Pionierdienst aller Waffen, 1911. 

Die Schulterwehren ragten klassischerweise in den Schützengraben hinein – dieser umlief sie in einem sogenannten „Umgang“. Üblicherweise stellte man die Schulterwehren beim Ausheben der Gräben her – in der Praxis ging man jedoch dazu über die Wehren nachträglich durch Sandsäcke zu ergänzen.

Bild: Schulterwehren im Schützengraben. Quelle: Dienstvorschrift Nr. 275, Feld-Pionierdienst aller Waffen, 1911. 

Bild: Teile des Stellungssystems am Haußelberg. Zu erkennen: eine Schulterwehr (Bildmitte). Quelle: Altmann, 2022. 

Neben der vordersten Linie der Schützengräben weisen die Stellungssysteme am Haußelberg auch rückwärtige Deckungsgräben auf. Über Verbindungsgräben, die regelmäßig eine Tiefe von etwa 1,80 Meter aufwiesen, waren die Deckungen mit der vordersten Linie verbunden. Hinzu kamen üblicherweise noch grabenmäßig angelegte Stellungen für Verbandsplätze, Aborte und Fernsprechstellen. Ob diese Einrichtungen im Bereich des Stellungssystems am Haußelberg ebenfalls vorgesehen waren, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. 

Bild: Teile des Stellungssystems am Haußelberg. Quelle: Altmann, 2022. 

Bild: Teile des Stellungssystems am Haußelberg. Quelle: Altmann, 2022. 

Es ist quellenmäßig nicht überliefert welche Übungsszenarien vor Ort erprobt werden sollten – möglicherweise waren die Stellungen am Haußelberg zur Übung von Nahkampfsituationen vorgesehen. Aus einer gesonderten Stellung, die sich nördlich der beiden größeren Stellungssysteme befand, könnten die Übungen beobachtet worden sein.

In welchem funktionalen Zusammenhang die Stellungssysteme am Haußelberg stehen, konnte bislang noch nicht abschließend geklärt werden. Ihre Beschaffenheit deutet darauf hin, dass die Anlage in der Zeit des Ersten Weltkrieges entstanden sein dürfte und zu Übungszwecken diente. Eine Verbindung zu dem damals neu eingerichteten Scharfschießplatz erscheint naheliegend – allerdings kam es kriegsbedingt nicht mehr zur planmäßigen Inbetriebnahme des Übungsplatzes für die Minenwerfer. Eventuell stehen die Stellungssysteme am Haußelberg somit nicht ausschließlich mit der Minenwerferschule in Verbindung, sondern vielmehr mit den ebenfalls vor Ort stationierten Nahkampfeinheiten.

Bild: Teile des Stellungssystems am Haußelberg. Zu erkennen: eine Schulterwehr (Bildmitte). Quelle: Altmann, 2022. 

Die offenen Fragen lassen sich möglicherweise im Rahmen weitergehender Recherchen beantworten. Festzuhalten ist, dass Unterlüß im Zuge des Ersten Weltkrieges als Rüstungsstandort enorm an Bedeutung gewann. Der gesteigerte Bedarf an Rüstungsgütern und die Verfügbarkeit entsprechender Flächen trugen nachhaltig dazu bei, dass sich die Gegend als Entwicklungs-, Produktions- und Übungsstandort etablierte.

H. Altmann

______________________________________

[1] 111 Jahre Rheinmetall-Schießplatz Unterlüß, Chronik, S. 8.
[2] Biermann, Lehrbuch für Minenwerfer, S. 16.
[3] Reibert, Die Deutschen Minen- und Granatwerfer im Ersten Weltkrieg 1914 – 1918, S. 66.
[4] Gedicke, Chronik der politischen gemeinde Unterlüß, Bd. 2, S. 16.
[5] Reibert, Die Deutschen Minen- und Granatwerfer im Ersten Weltkrieg 1914 – 1918, S. 66.
[6] Schwarte, Der grosse Krieg, 1914 – 1918, Bd. 8, S. 37.
[7] Knies, Das württembergische Pionier-Bataillon Nr. 13 im Weltkrieg 1914 – 1918, S. 174.
[8] Gedicke, Chronik der politischen gemeinde Unterlüß, Bd. 2, S. 16.
[9] Gedicke, Chronik der politischen gemeinde Unterlüß, Bd. 2, S. 16.
[10] Gedicke, Chronik der politischen gemeinde Unterlüß, Bd. 2, S. 16.
[11] Gedicke, Chronik der politischen gemeinde Unterlüß, Bd. 2, S. 16.
[12] Gedicke, Chronik der politischen gemeinde Unterlüß, Bd. 2, S. 17.
[13] Dienstvorschrift Nr. 275, Feld-Pionierdienst aller Waffen, 1911, S. 125.