
Die Celler Burgkaserne ist längst aus dem Stadtbild verschwunden. Ein interessantes Detail blieb in der lokalen Geschichtsschreibung bisher unerwähnt. Aktuelle Aktenfunde belegen, dass in der alten Kaserne im Dritten Reich ursprünglich eine Führerschule der SA eingerichtet werden sollte. Es kam allerdings anders als geplant...
In der am 04.08.2018
erschienenen Ausgabe des Sachsenspiegels berichtete Florian Friedrich ausführlich
über die Geschichte der Celler Burgkaserne. Bei der umfangreichen Recherche
Friedrichs musste ein Bestand, der sich im Niedersächsischen Landesarchiv in
Hannover befindet, außer Acht bleiben, da dieser bei einer gezielten Suche nach
der Burgkaserne unmöglich aufzufinden war. Obwohl der Bestand digital erfasst
wurde, deutete jedoch keiner der hinterlegten Suchbegriffe auf eine inhaltliche
Verbindung zur Celler Burgkaserne hin. Durch anderweitige Recherchen kamen die
Unterlagen nun ans Tageslicht – ihr Inhalt soll dem interessierten Leser in
Ergänzung zum Beitrag Friedrichs nachfolgend vorgestellt werden.
Die alte Burgkaserne befand
sich einst am heutigen Standort des Schulzentrums Burgstraße und wurde im
Rahmen einer Feuerwehrübung am 05.08.1935 niedergebrannt. Seit der Errichtung
befand sich das Kasernengebäude im Eigentum der jüdischen Unternehmerfamilie
Rheinhold, die es zunächst an die Militärverwaltung vermietete.[1] Nach
dem Ersten Weltkrieg wurde die Kaserne als zivile Unterkunft genutzt und überwiegend
an sozialschwache Familien vermietet. Auf Drängen der Nationalsozialisten
verkaufte Otto Rheinhold die ehemalige Burgkaserne am 15.03.1934 unter Wert an
die Stadt Celle. Im weiteren Verlauf erfolgte die Umsiedlung der Bewohner und letztlich
der „warme Abriss“ der maroden Gebäude.

Bild: ehem. Burgkaserne, Postkarte. Quelle: Archiv Altmann.
Es stellt sich die Frage,
warum die Stadt das Gebäude niederbrennen ließ, statt dieses selber zu nutzen.
Die von Florian Friedrich ausgewerteten Verwaltungsberichte und
zeitgenössischen Pressemitteilungen lassen darauf schließen, dass „durch diese
Maßnahme der Stadtverwaltung (...) einer der unwürdigsten unsozialen Zustände
im Sinne der (damaligen) Zeit beseitigt (wurde)“.[1] Allerdings
hatte die Celler Stadtverwaltung offenbar ursprünglich völlig andere Pläne mit
der alten Burgkaserne verfolgt, wie eingangs erwähnte Bestände des
Niedersächsischen Landesarchivs bestätigen.
Die ausgewerteten Unterlagen belegen,
dass der Celler Oberbürgermeister Ernst Meyer bereits am 07.03.1934 einen schriftlichen
Antrag auf Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 200.000 Reichsmark für die
Einrichtung einer SA-Führerschule in der ehemaligen Kaserne unterzeichnete.[2] Das
Antragsschreiben war an die „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG“
in Berlin gerichtet und umfasste zunächst eine allgemeine wirtschafts- und
gesellschaftspolitische Beschreibung der Stadt Celle. Insbesondere wird darin
die kulturelle Bedeutung Celles - aber auch die wichtige Rolle der Stadt als Behörden-,
Industrie- und Militärstandort angepriesen. Letztgenanntes ist vor allem
deswegen interessant, da sich Celle in dieser Zeit zu einem aufstrebenden
Militär- und Rüstungsstandort entwickelte.[3]
Als „außerordentlich
einschneidend“ wird gemäß des Antrags die Einrichtung einer SA-Sport- und -Führerschule
bezeichnet, die im Frühjahr des Jahres (1934) erfolgen sollte und die für die
Ausbildung von 800 bis 1.200 SA-Leuten in regelmäßigen Lehrgängen vorgesehen werden
sollte.[4] Ursprünglich
war die Sturmabteilung (SA) eine Kampforganisation der NSADP, die bereits in
Zeiten der Weimarer Republik den politischen Aufstieg der Nationalsozialisten
unterstützte, als innerpolitische Kampftruppe auftrat und als Ausbildungs- und
Erziehungsinstrument der Partei eingesetzt wurde.[5] Die Celler
SA hatte Anfang der Dreißigerjahre zwar noch so wenige Mitglieder, dass bei
Aufmärschen SA-Abteilungen von außerhalb nach Celle geholt wurden[6] -
allerdings stiegen die Mitgliederzahlen bis 1933 an und die Nähe zur kommunalen
Verwaltung intensivierte sich.[7]
[1] CZ vom 07.08.1935.
[2]
Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[3] Wienecke, Besondere Vorkommnisse
nicht bekannt, S. 46.
[5] Organisationsbuch der NSDAP, 3.
Aufl. 1937, S. 358.
[6] Rohde / Wegener, Celle im
Nationalsozialismus – Ein zeitgeschichtlicher Stadtführer, S. 17.
[7] Ebd. S. 19.

Bild: SA Gruppe Niedersachsen, Zigarettenbilder. Quelle: Deutsche Uniformen, Album SA, SS, HJ, Sturm Zigarettenfabrik Dresden-A, 1933.
Im Antrag vom 07.03.1934 wurde
die Burgkaserne als „Elendsviertel“ beschrieben. „Fast keine der Wohnungen ist
ordnungsmäßig in sich abgeschlossen; vielmehr sind die ehemals als
Mannschaftsstuben benutzen Räume durch Bretterwände unterteilt (...).[1]
Weiter noch: es sei deshalb kein Wunder, dass die (...) Burgkaserne eine
Brutstätte „asozialer Gesinnung“ und
„kommunistischer Bestrebungen“ sei. „Eine restlose Räumung der Burgkaserne ist
deshalb mit größter Beschleunigung durchzuführen.“[2] Zur
Untermauerung dieser Aussagen wurde dem Antrag eine statistische Übersicht der
Ortspolizeibehörde beigefügt, die für die Jahre 1932 und 1933 alleine 52
Strafsachen belegt, „für welche als Täter Bewohner der Burgkaserne in Frage
kamen (...).“[3]
21 Fälle erfüllten danach den Tatbestand von Hoch- bzw. Landesverrat.
Vor diesem Hintergrund wurde
Seitens der Stadtverwaltung der Umbau der ehemaligen Burgkaserne zu einer
SA-Führerschule angestrebt. Derartige Institutionen – später auch als
Reichsführerschulen (RFS) bezeichnet – dienten als Schulungsstätten der
verschiedenen NS-Kampfverbände und sollten den Nachwuchs der einzelnen
Organisationen ausbilden.
Aus der Antragsbegründung vom
07.03.1934 gehen insbesondere die Vorteile hervor, die sich die Stadt durch die
Einrichtung der SA-Führerschule versprach. Unter anderem rechnete man mit dem
Zuzug von rund 40 neuer „konsumfähiger“ und „zahlungskräftiger“ Familien. „Sehr
bedeutsam (sei) ferner zu werten, daß die Umgebung der Burgkaserne durch die
Säuberung von asozialen Elementen in erheblichem Umfange an Wert steigen wird“,
heißt es in der Antragsbegründung weiter. „Nach Amortisation der für den Ankauf
und Umbau der Burgkaserne aufgewendeten Mittel wird schließlich die Stadt ein
überaus wertvolles Grundstück und Gebäude ihr Eigen nennen können (...)“[4]
Dem
Antragsschreiben wurden detaillierte Baupläne sowie ein Kostenüberschlag des
Oberregierungs- und Baurats vom 13.03.1934 beigefügt.[5]
Darin wurden die Kosten für Instandsetzungsarbeiten, Neuanlagen, Einrichtung
und sonstige Positionen mit insgesamt 450.000 Reichsmark veranschlagt. Die
Ausstattungskosten für eine Belegung mit 800 Mann wurden in Summe mit 96.000
Reichsmark kalkuliert – hierbei waren unter anderem bereits Kosten für
Trinkbecher (0,30 RM), Handtücher (2 x 0,56 RM), Bettlaken (2,78 RM) und
anteilige Tischkosten (2,50 RM) berücksichtigt.[6]
Mit
Schreiben vom 09.03.1934 bestätigte der Präsident des Landesarbeitsamtes, dass
er den Antrag der Stadtgemeinde Celle auf Bewilligung des Darlehens für die
Einrichtung einer SA-Führerschule befürwortete.[7]
Laut Schreiben war die Maßnahme dem sogenannten „Reinhardtprogramm“ zugeordnet,
d.h. einer Maßnahme im Rahmen der Arbeitsbeschaffung, die maßgeblich auf dem am
01.06.1933 in Kraft getretenen Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit
fußte.[8]

Bild: Lage der ehem. Burgkaserne. Quelle: Katasterkarte, 1925; Kartenlayer Google Earth; Repro Altmann.
Bis
zum 13.03.1934 waren somit alle Voraussetzungen erfüllt – lediglich das Gebäude
befand sich noch im Eigentum des Unternehmers Otto Rheinhold. Wie Florian
Friedrich in seinem Beitrag bereits berichtet hatte, erschienen nach Aussage
von Walter Rheinhold, dem Sohn Ottos, am 14.03.1934 Vertreter der Celler
Stadtverwaltung im Büro seines Vaters.[9]
Tags darauf erfolgte der Verkauf durch Otto Rheinhold – aus der Zwangslage
heraus.
Bereits
am 25.04.1934 erreichte den Regierungspräsidenten in Lüneburg das
Bewilligungsschrieben der „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG“
aus Berlin.[10] Die
Gesellschaft erklärte sich bereit der Stadt Celle das Darlehen in Höhe von
200.000 RM für die Einrichtung einer SA-Führerschule zu gewähren.[11]
Die Auszahlung sollte entsprechend dem Baufortschritt erfolgen. Dem Beginn der
Baumaßnahmen stand somit im Frühjahr 1934 eigentlich nichts mehr im Wege. Es
kam jedoch zu einer unerwarteten Wendung.
Spätestens
mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten
Paul von Hindenburg am 30.01.1933 und der hiermit einhergehenden
Machtergreifung eskalierte die Hackordnung, die seit jeher zwischen den
einzelnen nationalsozialistischen Organisationen bestanden hatte. Die SA hatte
die NSDAP und Hitler massiv im Aufstieg unterstützt – entsprechend dankbar
zeigte sich der neue Reichskanzler gegenüber dem SA-Stabsführer Ernst Röhm.
Insbesondere Hermann Göring, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler fürchteten um
ihre eigenen Machtpositionen und dass die SA unter Ernst Röhm eine
Vormachtstellung unter den NS-Organisationen einnehmen könnte.
Es
wurden Gerüchte verbreitet, wonach Röhm mit der SA einen Aufstand plane. Um
diesem zuvor zu kommen, mobilisierte Hitler die SS sowie die Reichswehr und
stattete Röhm am Morgen des 30.06.1934 einen überfallsartigen Besuch in Bad
Wiessee ab, wo sich dieser auf einer Kur wegen eines rheumatischen Leidens
befand.[12]
In der Folge des sogenannten „Röhm-Putsches“ kam es zu Verhaftungen und
Erschießungen von SA-Leuten im gesamten Reichsgebiet. Die Ermordung Röhms am
01.07.1934 und etwa 200 seiner Gefolgsleute führte die SA in die
Bedeutungslosigkeit – ihre Machtkompetenzen wurden auf andere Bereiche
verteilt.
Der
Niedergang der SA zeigte offenbar ebenfalls Auswirkungen auf die Planungen zur
Einrichtung einer SA-Führerschule in Celle. Kurz gesagt: die Pläne waren damit
vom Tisch. Gemäß Tagesordnungspunkt Nr. 12 der Ratssitzung vom 19.06.1934 lautete
es hierzu:[13]
„Inzwischen haben sich die
Verhandlungen mit der SA dahin geklärt, dass nicht mehr die Absicht besteht,
eine SA-Führerschule in Celle zu gründen, und also die Burgkaserne als solche
nicht mehr von der SA in Anspruch genommen wird.“
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Der Präsident des
Landesarbeitsamtes Niedersachsen, Schreiben vom 09.03.1934; NLA
Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[8] RGBl. I Nr. 60, S. 323.
[10] Schreiben der Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG vom
20.04.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[11] Ebd.

Bild: ehem. Burgkaserne, Postkarte. Quelle: Archiv Altmann.
Offenbar
beabsichtigte die Stadt das Darlehen, das ja bereits bewilligt worden war,
trotzdem zum Ausbau der Burgkaserne aufzunehmen. Den entsprechenden Antrag an
den Rat der Stadt begründete Oberbürgermeister
Ernst Meyer unter anderem mit laufenden Verhandlungen mit der Reichswehr, um
die Burgkaserne nach der Instandsetzung gegebenenfalls für militärische Zwecke zu
nutzen.[1] Hierzu kam es
allerdings nicht, sodass man nun im Besitz einer völlig maroden und unrentablen
Immobilie war, deren erhoffter Nutzen selbst bei einer teuren Renovierung mehr
als fraglich blieb.
Am
05.08.1935 brannte die Burgkaserne schließlich im Rahmen einer Feuerwehrübung
nieder. Zur Einrichtung einer politischen Ausbildungseinrichtung ist es somit
nicht mehr gekommen.
Allerdings
wird aus den gesichteten Unterlagen deutlich, wie eng die
nationalsozialistischen Organisationen mit der politischen Verwaltung
kooperierten und auch umgekehrt. Andernfalls hätte die Bearbeitungszeit eines
derartigen Antrags wohl kaum weniger als einen Monat gedauert – was bei
derartigen Prozessen schon ziemlich sportlich ist. Und noch etwas geht implizit
aus den Unterlagen hervor: durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und eine
rücksichtslose Politik auf Rechnung schwächerer Bevölkerungsschichten gelang es
den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung ihre Stellung zu festigen.
H. Altmann
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