f Mai 2020 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Samstag, 30. Mai 2020

Pfingstbräuche in der Heide


Das traditionelle Dorfleben ist vielerorts auf dem Rückzug. Nur in kleinen Dörfern haben die alten Bräuche die Zeit teilweise überdauert. So kann es beispielsweise empfehlenswert sein, am Sonnabend vor Pfingstsonntag eine Flasche guten Schnaps an den Gartenzaun zu hängen... 

Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt - die Hintergründe dieser Feiertage sind landläufig bekannt. Mit der traditionellen Einordnung von Pfingsten tun sich viele da schon deutlich schwerer. Im Internet finden sich selbstverständlich Erklärungshilfen - so lässt sich leicht herausfinden, dass der christliche Hintergrund von Pfingsten in der Aussendung des heiligen Geistes besteht. Es gibt jedoch eine Vielzahl regionaler Pfingstbräuche, die hiervon abwichen - auch im Raum Celle. Wie wurde das Pfingstfest also früher in der Heide begangen? 

Das Brauchtum des Pfingstfestes in der Lüneburger Heide war stark mit der einstigen Landschaft und deren Nutzung verbunden. So war es Tradition, dass der Hirtenknabe, der am Pfingstmorgen am längsten geschlafen hatte, als sogenannter "Pings-Bötel" ausstaffiert wurde. Man hängte ihm Kränze aus frischem Grün und Blumen um und fuhr oder trug ihn von Tür zu Tür. Wurde die jeweils Tür geöffnet, stimmte die Menge ein Lied auf den "Pings-Bötel" an. 

Bild: Lied auf den Pings-Bötel. Quelle: Kück, Das alte Bauernleben in der Lüneburger Heide, 1906, S. 39. 

Unter den Knaben entstand daraufhin die Tradition des Frühaufstehens an Pfingsten, denn keiner wollte derjenige sein, der am Feiertag als "Pings-Bötel" auserkoren wurde. 

In der Heidegegend stand seit jeher das Einsammeln von Gaben für einen gemeinsamen Schmaus im Vordergrund. Dieser Brauch scheint eng mit den traditionellen Mai-Bräuchen in Verbindung zu stehen. In dieser Jahreszeit zeigte die Natur wieder neue Kraft - das Vieh konnte auf die Weiden getrieben werden. 

Mancherorts wurden die Kühe desjenigen Hirten, der zuletzt sein Heimatdorf erreichte mit Kränzen geschmückt (z.B. Halvesbostel, Kirchspiel Hollenstedt). Andernorts wurde die Kuh, die sich am Pfingstmorgen zuletzt erhob, mit einem Kranz geschmückt. 

In der Südheide bestand lange die Tradition des sogenannten Pfingstochsens. Dieser wurde mit frischem Laub geschmückt und Pfingst-Sonnabend durch den Ort zum Schlachter getrieben. Auch hier stand offenbar das gemeinsame Fest und der gemeinschaftliche Schmaus im Vordergrund. Noch 1884 wurde ein solcher Pfingstochse durch das Nordtor der Stadt Celle getrieben - doch bereits zu diesem Zeitpunkt fand die Bevölkerung nur noch wenig Freude an dem alten Brauch (Dehning, Volkssitte in der Lüneburger Heide, in: Lüneburger Heimatbuch, Bd. II, 1914, S. 382). 

Anlässlich des Pfingstfestes waren mancherorts auch Spiele beliebt. Diese Tradition rührt möglicherweise aus dem traditionellen Frühaufstehen der Hirtenknaben. 

Bild: Spiele am Pfingstfest. Quelle: Dehning, Volkssitte in der Lüneburger Heide, in: Lüneburger Heimatbuch, Bd. II, 1914, S. 382. 

In einigen Dörfern im Raum Celle ist bis heute eine vergleichbare Tradition erhalten geblieben. In der Nacht zum Pfingstsonntag hängen die Dorfbewohner Lebensmittel (Eier, Speck, Brot, Bier, etc.) an die Hofeinfahrt, die Türe oder den Gartenzaun. Die jungen Leute des Dorfes sammeln die Nahrungsmittel des Nächtens ein und verabreden sich zu einem gemeinsamen Schmaus in den frühen Morgenstunden. 

Dort, wo jemand es versäumt hat, entsprechende Güter zu stiften, werden traditionell allerlei Streiche gespielt. Vor diesem Hintergrund musste schon so manche Gartenbank von ihrem Eigentümer vom Dach eines Bushäuschens herab geholt werden. 

Insgesamt kann festgehalten werden, dass es nur noch wenige Ortschaften gibt in denen solche Bräuche gepflegt werden. Einen deutlichen Rückgang erlebten die Pfingstbräuche ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Rahmen der Verkoppelung und der damit verbundenen Aufteilung der Gemeinheiten wurden die zur gemeinschaftlichen Beweidung genutzten Heideflächen auf die örtlichen Höfe aufgeteilt. Das dörfliche Vieh wurde fortan nicht mehr insgesamt vom Dorfhirten zur gemeinschaftlichen Weide geführt, sondern einzeln von jedem Bauern. 

Mit dem Rückgang der gemeinschaftlichen Weide verschwand allmählich auch die gemeinschaftliche Tradition. Das Pfingstfest, das lokal ursprünglich eng mit der Weide-Tradition verknüpft war, verlor somit ebenfalls an Bedeutung. 

Es ist schön und wichtig, dass in heutiger Zeit diese historisch gewachsenen Traditionen noch nicht vollständig in Vergessenheit geraten sind. In einigen Dörfern empfiehlt es sich daher auch heute noch zum Pfingstsonntag eine Flasche guten Schnaps an den Gartenzaun zu hängen. 

H. Altmann




Dienstag, 26. Mai 2020

Blickwinkel #13; Post Celle


Schon in früheren Zeiten entstanden in Stadt und Landkreis herrliche Aufnahmen von Sehenswürdigkeiten, Straßenszenen und alltäglichen Begebenheiten. Manchmal sticht erst beim direkten Vergleich mit heutigen Aufnahmen ins Auge, was sich im Laufe der Zeit verändert hat. In der Serie Blickwinkel werden alte Fotografien im historischen und lokalen Kontext vorgestellt. 

Orte, die man fast jeden Tag vor Augen hat, verlieren manchmal die Aufmerksamkeit, die sie aufgrund ihrer Geschichte verdienen. Ähnlich mag es bei sich beim alten Gebäude der Hauptpost am Schloßplatz Nr. 8 verhalten. Auf einer alten Postkarte, gelaufen im Jahr 1900, ist das Postgebäude abgebildet - zu diesem Zeitpunkt war es gerade einmal fünf Jahre alt. 


Bild: Hauptpostgebäude in Celle, 1900. Quelle: Postkarte, 1900; Archiv Altmann. 

Das Celler Postwesen geht bis in die herzogliche Zeit zurück. Berittene Boten überbrachten wichtige Nachrichten - für das einfache Volk war es allerdings zu dieser Zeit noch unvorstellbar Neuigkeiten über weit entfernte Distanzen zu versenden oder zu empfangen. Um 1350 lag Celle am Postweg von Nürnberg nach Hamburg. Bereits in dieser Zeit konnten sich die Celler recht glücklich schätzen - spannende "News" aus diesen wichtigen mittelalterlichen Handelsplätzen gelangten nun regelmäßig in die Stadt. 

Im Jahr 1645 erhielt Celle auf Veranlassung Kaiser Ferdinands III. Anschluss an die Thurn- und Taxischen Fernpostlinien. Bereits 1941 hatte ein Hildesheimer Bürger einen Postdienst zwischen Bremen, Celle, Hannover, Hildesheim und Kassel eingerichtet. Seit dieser Zeit erhielt Celle auch im Stadtbild die erforderlichen Gebäude. Schon 1540 gab es das erste Posthaus Am Markt. 1652 gab es noch die Poststation des Fuhrunternehmers Lose Im Kreise. 

Nachdem Herzog Georg Wilhelm den Hofagenten Francesco Maria Stechellini-Capellini im Jahr 1678 zum Generalpostmeister ernannt hatte, machte dieser das Postwesen vom Thurn- und Taxischen System unabhängig. Einige Postrouten, die noch heute die Bezeichnung "Alter Postweg" führen, gehen auf diese Epoche zurück. 

Zwischen 1682 und 1885 wechselte der Sitz der Post in Celle mehrmals. Von der Mühlenstraße Nr. 1 verlegte sie 1706 in die Zöllnerstraße, dann in die Mauernstraße und schließlich an den Schloßplatz Nr. 8, wo sich einst die alte Vorburg befunden hatte. Dieses Gebäude steht heute noch an Ort und Stelle. 


Bild: Hauptpostgebäude in Celle, heute. Quelle: Altmann, 2020. 

Mit dem Aufkommen neuer Technologien veränderte sich auch das Postwesen. Maßgeblichen Einfluss entfaltete in diesem Zusammenhang insbesondere die Eisenbahn. Die letzte Postkutsche im Raum Celle fuhr im Jahr 1913 von Wienhausen nach Celle. 1924 wurde der Paketverkehr durch Pferdekutschen von Automobilien übernommen. 

Ein klein wenig ist dieser Prozess auch an der vorliegenden Postkarte abzulesen. Diese lief am 13. November 1900 ab Hannover ins belgische Denderleeuw - und kam im dortigen Postamt bereits am selben Tag an. 


Bild: Postkarte, Rückseite. Quelle: Postkarte, 1900; Archiv Altmann. 

Ob die Karte die dortige Mademoiselle erreicht hat, bleibt ungewiss. Nichtsdestotrotz ist sie ein schönes historisches Zeugnis aus der Geschichte der Stadt Celle. Im direkten Vergleich fällt auf, dass sich in Bezug auf das alte Hauptpostgebäude eigentlich gar nicht so viel verändert hat. 

Bild: Hauptpostgebäude in Celle, 1900 - Vergleich heute. Quelle: Postkarte, 1900; Aufnahme 2020, Altmann. 

H. Altmann


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Quellen: RWLE Möller, Celler-Chronik. 





Freitag, 8. Mai 2020

8. Mai 1945 - Kriegsende und ein Himmelfahrtskommando


Der 8. Mai ging als der Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht in die Geschichte ein. Unvorstellbares Leid auf allen Seiten ist mit dieser Zeit verbunden. Bei Weitem endete dieses nicht im Zeitpunkt der Kapitulation.   

Westlich der Elbe war der Zweite Weltkrieg schon vor fast einem Monat zu Ende gegangen. Im Raum Celle / Gifhorn stellten britische, schottische, kanadische und amerikanische Einheiten die Besatzung. Adolf Hitler hatte am 30. April 1945 im Bunker der Reichskanzlei in Berlin Selbstmord begangen - die Reichsregierung unterstand in den letzten Kriegstagen Großadmiral Karl Dönitz. 

Es wurde weitergekämpft - allerdings war der Raum Celle von diesen Kampfhandlungen nicht mehr betroffen. Insbesondere von den Kämpfen um die Stadt Berlin und den Verteidigungstätigkeiten der ehemaligen Heeresgruppe Nord im weit entfernten Kurzland (heute Lettland) konnte die Bevölkerung vor Ort also nur indirekt Kenntnis nehmen. Dennoch  trug sich in unserer Gegend unmittelbar zu Kriegsende noch ein Ereignis mit internationalem Bezug zu. 

Am 8. Mai 1945 erreichte eine Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) die Fronten. Durch Rundfunk war an diesem Tag um 20:00 Uhr und anschließende Sendezeiten die nachfolgende Meldung bekannt zu geben:  

- - -
Ab 9. Mai, 00 Ur, sind auf allen Kriegsschauplätzen von allen Wehrmachtsteilen und von allen bewaffneten Organisationen oder Einzelpersonen die Feindseligkeiten gegen alle bisherigen Gegner einzustellen. 
Jede Zerstörung oder Beschädigung von Waffen und Munition, Flugzeugen  Ausrüstung, Geräte jeder Art, sowie jede Beschädigung oder Versenkung von Schiffen widerspricht den vom OKW angenommenen und unterzeichneten Bedingungen und ist im Gesamtinteresse des deutschen Volkes mit allen Mitteln zu verhindern. 
Diese Bekanntmachung gilt für jeden Mann als Befehl, der dem militärischen Dienstwege einen solchen nicht erhalten haben sollte. 
Vom 9.5. 00 Uhr ab ist ferner auf sämtlichen Funklinien aller Wehrmachtsteile nun mehr offen zu funken. 

I.A. 
des Grossadmirals 

gez.: Jodel
Generaloberst
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Im Vorwege der bedingungslosen Gesamtkapitulation hatte es allerdings bereits einige Teilkapitulationen gegeben. So besiegelte die Nordwest-Kapitulation zum 5. Mai 1945 den Waffenstillstand für Holland, Nordwestdeutschland und Dänemark. 

Dieses Ereignis veranlasste einige Einheiten vorher aus den, von der Kapitulation betroffenen Gebieten, zu verlegen. Unter ihnen befand sich auch die I. Gruppe des Kampfgeschwaders 66 (I./KG 66). Diese Einheit, ausgerüstet mit Flugzeugen vom Typ Ju 88 S und Ju 188, hatte zuvor als sogenannte "Beleuchter-Gruppe" Einsätze an der Westfront geflogen. Um den vorrückenden britischen Truppen zu entkommen, hatte die Gruppe am 4. Mai 1945 von Neumünster nach Aalborg und Tirstrup (Dänemark) verlegt. 

Am folgenden Tag erfolgte die Nordwest-Kapituation - die Gruppe setzte sich daher mit ca. 15 - 25 Flugzeugen nach Stavanger-Sola in Norwegen ab. Am Morgen des 8. Mai 1945 erreichte die Gruppe der Befehl die im Baltikum (Kurland) eingeschlossenen Verbände der Heeresgruppe Nord zu versorgen. Auch weitere Verbände der Luftwaffe erhielten den Befehl den Kurlandkessel anzufliegen, um von dort eingeschlossene Truppen auszufliegen. Es sollte verhindert werden, dass diese Truppen in russische Kriegsgefangenschaft gerieten - daher sollte die spätere Landung in jedem Fall auf Flugplätzen westlich der Elbe erfolgen. 

Bild: Lagekarte Kurland; AOK 16 u. AOK 18 am 30.04.1945.

Der zu Lettland gehörende Landzipfel "Kurland" wurde seit dem Spätsommer des Jahres 1944 von zwei deutschen Armeen gegen die Rote Armee verteidigt. In mehreren Schlachten konnten die 16. und 18. Armee ein Vordringen der russischen Truppen verhindern - allerdings blieben sie bis zum Kriegsende endgültig vom Anschluss an die eigenen Verbände abgeschnitten. 

Mehrfache Bemühungen von verschiedenen Seiten, Hitler dazu zu bewegen einer umfassenden Räumung des Baltikums zuzustimmen, blieben erfolglos. Den Berechnungen zufolge hätte die deutsche Flotte eine Räumung in den letzten Kriegsmonaten durch Nutzung der eisfreien Häfen in Libau (Liepaja) und Windau (Ventspils) vermutlich leisten können. Hiergegen verwehrte sich Hitler - er verbot entsprechende Bestrebungen. Stattdessen wollte er die in Kurland befindlichen Truppen nutzen, um der Roten Armee in die Flanke fallen zu können - zu diesem Zeitpunkt ein völlig unrealistisches Unterfangen. Erst nach dem Tod Hitlers wurden daher Überlegungen zum Entsatz der in Kurland befindlichen Truppen möglich. 

Nach der letzten Stärkemeldung befanden sich noch rund 200.000 deutsche Soldaten in Kurland, die bis Kriegsende nur über den Seeweg und aus der Luft versorgt werden konnten. Der Befehl, der am Morgen des 8. Mai 1945 bei der I./KG 66 eintraf, löste heftige Diskussionen innerhalb der Gruppe aus. Die bedingungslose Kapitulation war bereits  unterzeichnet - für jeden, der nun in ein Gebiet flog, das von der Roten Armee drohte vereinnahmt zu werden, drohte die Gefahr dort in Gefangenschaft zu gehen. Auf dem Funkweg hatte die Gruppe erfahren, dass die Landeverhältnisse in Kurland sehr schlecht waren - aufgeweichte Landebahnen und ständige Angriffe sowjetischer Tiefflieger stellten ein unberechenbares Risiko dar. Viele verwehrten sich daher dagegen in letzter Minute noch die russische Kriegsgefangenschaft zu riskieren. 

Dem Befehl, den Kurlandkessel anzufliegen, musste jedoch Folge geleistet werden - wobei grundsätzlich klar gewesen sein muss, dass es keine Folgebefehle geben würde. Die Flugzeugbesatzungen verständigten sich, dass das Ziel des Rückflugs der Platz Dedelstorf sein sollte. Hier war die I./KG 66 bereits vorher stationiert gewesen - die meisten der Angehörigen kannten die Gegend und hatten in den umliegenden Ortschaften gute Bekanntschaften gemacht. 

Eindeutige Belege dafür, wie viele Maschinen den Befehl tatsächlich ausführten und den Kurlandkessel ansteuerten, gibt es heute nicht mehr. Einige Flugzeuge steuerten offenbar direkt den norddeutschen Raum an, andere mussten vor ihrem Erreichen des baltischen Luftraumes abdrehen und wieder andere landeten tatsächlich auf den Flugplätzen bei Libau und Windau. 

Den vorliegenden Berichten zufolge starteten die Besatzungen am Morgen des 8. Mai 1945. So berichtete Oberfeldwebel Pfau (I./KG 66), dass er um 06:47 Uhr von Stavanger-Sola und seine Besatzung in ihrer Ju 88 S-3 startete. Sie erreichten Kurland jedoch nicht - über dem Skagerrak wurden sie von Jagdflugzeugen der RAF unter Beschuss genommen. Leutnant Piotter (I./KG 66) brach seinen Anflug aufgrund eines technischen Problems der Treibstoffumpumpanlage ab. Leutnant Altrogge (I./KG 66) erreichte Windau - die Piste ließ eine Landung nicht zu. Ohne Soldaten an Bord nehmen zu können flog er Norddeutschland an. 

Die Besatzung der Ju 88 von Kurt Oesterle erreichte einen Feldflugplatz ca. 30 km östlich von Libau. nach der Landung wurde ihre Maschine jedoch durch sowjetische Tiefflieger beschossen und zerstört. Oberleutnant Guess erfuhr über Funk von diesem Ereignis, brach seinen Rückflug nach Deutschland ab und nahm Oesterle, seine Besatzung und sechs weitere deutsche Soldaten an Bord. Mit diesen kehrte Guess nach Stavanger-Sola zurück. 

Am Morgen des 9. Mail 1945 erreichten vier Ju 88 den Luftraum über Dedelstorf. Es handelte sich offenbar um Besatzungen, die direkt aus Stavanger-Sola hierher gelangt waren. Da sich die Piloten vor Ort auskannten und größere Aufmerksamkeit vermeiden wollten, steuerten sie nicht den Flugplatz Dedelstorf an, sondern eine kleine Ausweichfläche auf der sogenannten "Kaisers Heide" zwischen Steinhorst und Zahrenholz. 

Bild: Lage des Abstellplatzes "Heinrich" auf der Kaisers Heide. Quelle: war office map, 1945. 

Bei Zahrenholz gab es damals zwei dieser Ausweichplätze, die insbesondere dazu dienten, Flugzeuge der Plätze Wesendorf und Dedelstorf aufzunehmen. Die andere Abstellfläche befand sich südwestlich von Zahrenholz. Beide verfügten nicht über feste Start- und Landebahnen. Die Flugzeuge wurden lediglich in angrenzenden Waldstücken zur Tarnung untergestellt. 

Aufgrund dieser Situation waren die Landungen auf den Plätzen bei Zahrenholz stets mit einigen Gefahren verbunden. Hinzu kam, dass die südwestlich gelegene Fläche unmittelbar vor einem kleinen Tümpel endete - offenbar wollten die Besatzungen der I./KG 66 am Morgen des 9. Mai 1945 unnötige Risiken vermeiden und flogen daher direkt den nördlichen Abstellplatz an. 

Die ersten vier Maschinen landeten unversehrt - ihre Besatzungen konnten sich aufgrund ihrer Ortskenntnis unentdeckt absetzen. Als Einheiten des US Militärs eintrafen, fanden sie die Flugzeuge verlassen vor. Sie wurden nach Kriegsende durch das Unternehmen Biskupek verschrottet. 

Bild: Flächen des ehemaligen Abstellplatzes bei Zahrenholz. Quelle: Altmann, 2018. 

Weitere Maschinen der I./KG 66 erreichten die umliegenden Flugplätze und Ausweichflächen in Dedelstorf, Bokel und bei Grebshorn. Insgesamt sollen es 15 Flugzeuge  gewesen sein. Für die Besatzungen war der Zweite Weltkrieg damit vorbei. Viele Angehörige der Gruppe ließen sich nach Kriegsende in der Umgebung nieder und blieben dort. 

Die Mehrzahl der noch in Kurland befindlichen Truppen geriet bei Kriegsende in russische Kriegsgefangenschaft. Viele kehrten erst nach mehreren Jahren nach Hause zurück - etliche überlebten die Gefangenschaft nicht. Eine wirkliche Chance die eingeschlossenen Truppen noch am 8./9. Mai auszufliegen bestand nicht - das Unterfangen hätte es deutlich größere Kontingente an Flugzeugen und Besatzungen erfordert. 

Der 8. Mai markiert bis heute das Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem westlichen Kriegsschauplatz. Für viele bedeutete dieser Tag das Ende unermesslichen Leids - aber auch große Ungewissheit mit Blick auf die Zukunft. Natürlich war die Welt am 8. Mai nicht schlagartig wieder in Ordnung - jedoch bot er die Chance auf einen Neuanfang. 

Aus heutiger Sicht sind die einstigen Geschehnisse bereits in weite Ferne gerückt. Umso wichtiger ist es, diese Zusammenhänge die früher auch in unmittelbarer Nähe stattgefunden haben, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. 

H. Altmann

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Quellen: 

- Flugplätze der Luftwaffe 1934 - 1945 und was davon übrig blieb, J. Zapf. 
- Kriegsende - Das Gifhorner Tagebuch, R. Silberstein. 
- Gemeindearchiv Hankensbüttel. 
- Heinrich Müller, Zahrenholz. 
- Luftwaffe im Fokus, Spezial 2/2006. 
- Kriegstagebuch OKW. 



Dienstag, 5. Mai 2020

Blickwinkel #12; Allerbrücke Langlingen


Schon in früheren Zeiten entstanden in Stadt und Landkreis herrliche Aufnahmen von Sehenswürdigkeiten, Straßenszenen und alltäglichen Begebenheiten. Manchmal sticht erst beim direkten Vergleich mit heutigen Aufnahmen ins Auge, was sich im Laufe der Zeit verändert hat. In der Serie Blickwinkel werden alte Fotografien im historischen und lokalen Kontext vorgestellt. 

Eine Allerbrücke hatte Langlingen schon von Alters her. Wie die Kurhannoversche Landesaufnahme aus dem Jahr 1780 belegt, verlief früher sogar die alte Poststraße zwischen Celle und Gifhorn über die Langlinger Allerbrücke. 

In früherer Zeit wurden die Brücken meist aus Holz konstruiert. Eine Ausnahme bildete unter anderem die Schwachhäuseer Brücke - hier wurde im Jahr 1931 eine Kastenbrücke mit massiven Stahlträgern installiert. 

Eine alte Postkarte, die am 2. März 1941 gelaufen ist, zeigt den Lauf der Aller unterhalb der Langlinger Allerbrücke. Zu erkennen ist auch noch das hölzerne Geländer der Brücke und das Hinweisschild "Schritt fahren". 

Bild: Blick von der alten Allerbrücke bei Langlingen. Quelle: Postkarte, 1941; Archiv Altmann. 

Die hölzerne Allerbrücke sucht man heute bei Langlingen vergebens - sie überlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht. Am Abend des 12. April 1945 befand sich das 3. Bataillon des 334. Infanterie Regiments der 84. US Infanterie Division im Vormarsch von Hannover über Bröckel und Wiedenrode. Die Einheit sollte eigentlich das Nordufer der Aller erreichen und sichern. 

In Langlingen lagen jedoch zu diesem Zeitpunkt Teile der SS. Ausbildungs- und Ersatzabteilung der Nebeltruppe. Die Brücke war bereits mit Sprengladungen versehen. Im Gespräch mit der Celler Redakteurin und Heimatforscherin, Hanna Fueß, erinnerte sich der Langlinger Bauer Scheller noch Ende des Krieges, dass die "schöne feste Allerbrücke durch die Wehrmacht gesprengt wurde". Eigentlich hatte der Volkssturm den entsprechenden Auftrag erhalten - die vor Ort beheimateten Volkssturmleute weigerten sich jedoch den Befehl auszuführen. 

Am 12. April 1945 um 19:00 Uhr Abends ist die Brücke schließlich gesprengt worden - von der Waffen SS oder der Wehrmacht - man weiß es nicht genau. Die US-Truppen waren bereits im Anrollen und hatten das Feuer auf den Ort eröffnet. Die Sprengung scheint somit in letzter Sekunde erfolgt zu sein und durchkreuzte den Plan der US-Einheit. Diese war nun gezwungen am Abend des 12. April in Langlingen zu verbleiben, um am nächsten Tag eine andere Überquerungsmöglichkeit über die Aller zu finden. Weitere Informationen

Heute erinnert an diese Geschehnisse vor Ort natürlich nichts mehr - und natürlich wurde die zerstörte Allerbrücke nach Kriegsende recht bald durch eine neue ersetzt. 

Bild: Blick von der neuen Allerbrücke bei Langlingen. Quelle: Altmann; 2020. 

Der Flussromantik hat die neue Brückenkonstruktion wohl keinen Abbruch getan. Ein weiterer Vorteil: der Hinweis auf Schrittgeschwindigkeit ist bei der neuen Brücke wohl nicht mehr notwendig gewesen. 

Im direkten Vergleich fällt auf, dass sich vor Ort eigentlich gar nicht so viel verändert hat - bis auf die inzwischen neue Brücke. 


Bild: Vergleich der beidenBilder; Allerbrücke bei Langlingen. Quelle: Postkarte, 1941 / Aufnahme heute; Archiv Altmann. 

Im Lauf der Geschichte wurde die Allerbrücke sicherlich einige Male erneuert und ersetzt. Ungewöhnlich dürfte es jedoch gewesen sein, dass die Brücke durch Kriegseinwirkungen in Mitleidenschaft gezogen wurde. 

Somit ist die Allerbrücke ein Beleg dafür, dass sich die Ereignisse zum Ende des Zweiten Weltkrieges teilweise unmittelbar vor unserer Haustür abgespielt haben. 

H. Altmann