f 8. Mai 1945 - Kriegsende und ein Himmelfahrtskommando ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Freitag, 8. Mai 2020

8. Mai 1945 - Kriegsende und ein Himmelfahrtskommando


Der 8. Mai ging als der Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht in die Geschichte ein. Unvorstellbares Leid auf allen Seiten ist mit dieser Zeit verbunden. Bei Weitem endete dieses nicht im Zeitpunkt der Kapitulation.   

Westlich der Elbe war der Zweite Weltkrieg schon vor fast einem Monat zu Ende gegangen. Im Raum Celle / Gifhorn stellten britische, schottische, kanadische und amerikanische Einheiten die Besatzung. Adolf Hitler hatte am 30. April 1945 im Bunker der Reichskanzlei in Berlin Selbstmord begangen - die Reichsregierung unterstand in den letzten Kriegstagen Großadmiral Karl Dönitz. 

Es wurde weitergekämpft - allerdings war der Raum Celle von diesen Kampfhandlungen nicht mehr betroffen. Insbesondere von den Kämpfen um die Stadt Berlin und den Verteidigungstätigkeiten der ehemaligen Heeresgruppe Nord im weit entfernten Kurzland (heute Lettland) konnte die Bevölkerung vor Ort also nur indirekt Kenntnis nehmen. Dennoch  trug sich in unserer Gegend unmittelbar zu Kriegsende noch ein Ereignis mit internationalem Bezug zu. 

Am 8. Mai 1945 erreichte eine Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) die Fronten. Durch Rundfunk war an diesem Tag um 20:00 Uhr und anschließende Sendezeiten die nachfolgende Meldung bekannt zu geben:  

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Ab 9. Mai, 00 Ur, sind auf allen Kriegsschauplätzen von allen Wehrmachtsteilen und von allen bewaffneten Organisationen oder Einzelpersonen die Feindseligkeiten gegen alle bisherigen Gegner einzustellen. 
Jede Zerstörung oder Beschädigung von Waffen und Munition, Flugzeugen  Ausrüstung, Geräte jeder Art, sowie jede Beschädigung oder Versenkung von Schiffen widerspricht den vom OKW angenommenen und unterzeichneten Bedingungen und ist im Gesamtinteresse des deutschen Volkes mit allen Mitteln zu verhindern. 
Diese Bekanntmachung gilt für jeden Mann als Befehl, der dem militärischen Dienstwege einen solchen nicht erhalten haben sollte. 
Vom 9.5. 00 Uhr ab ist ferner auf sämtlichen Funklinien aller Wehrmachtsteile nun mehr offen zu funken. 

I.A. 
des Grossadmirals 

gez.: Jodel
Generaloberst
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Im Vorwege der bedingungslosen Gesamtkapitulation hatte es allerdings bereits einige Teilkapitulationen gegeben. So besiegelte die Nordwest-Kapitulation zum 5. Mai 1945 den Waffenstillstand für Holland, Nordwestdeutschland und Dänemark. 

Dieses Ereignis veranlasste einige Einheiten vorher aus den, von der Kapitulation betroffenen Gebieten, zu verlegen. Unter ihnen befand sich auch die I. Gruppe des Kampfgeschwaders 66 (I./KG 66). Diese Einheit, ausgerüstet mit Flugzeugen vom Typ Ju 88 S und Ju 188, hatte zuvor als sogenannte "Beleuchter-Gruppe" Einsätze an der Westfront geflogen. Um den vorrückenden britischen Truppen zu entkommen, hatte die Gruppe am 4. Mai 1945 von Neumünster nach Aalborg und Tirstrup (Dänemark) verlegt. 

Am folgenden Tag erfolgte die Nordwest-Kapituation - die Gruppe setzte sich daher mit ca. 15 - 25 Flugzeugen nach Stavanger-Sola in Norwegen ab. Am Morgen des 8. Mai 1945 erreichte die Gruppe der Befehl die im Baltikum (Kurland) eingeschlossenen Verbände der Heeresgruppe Nord zu versorgen. Auch weitere Verbände der Luftwaffe erhielten den Befehl den Kurlandkessel anzufliegen, um von dort eingeschlossene Truppen auszufliegen. Es sollte verhindert werden, dass diese Truppen in russische Kriegsgefangenschaft gerieten - daher sollte die spätere Landung in jedem Fall auf Flugplätzen westlich der Elbe erfolgen. 

Bild: Lagekarte Kurland; AOK 16 u. AOK 18 am 30.04.1945.

Der zu Lettland gehörende Landzipfel "Kurland" wurde seit dem Spätsommer des Jahres 1944 von zwei deutschen Armeen gegen die Rote Armee verteidigt. In mehreren Schlachten konnten die 16. und 18. Armee ein Vordringen der russischen Truppen verhindern - allerdings blieben sie bis zum Kriegsende endgültig vom Anschluss an die eigenen Verbände abgeschnitten. 

Mehrfache Bemühungen von verschiedenen Seiten, Hitler dazu zu bewegen einer umfassenden Räumung des Baltikums zuzustimmen, blieben erfolglos. Den Berechnungen zufolge hätte die deutsche Flotte eine Räumung in den letzten Kriegsmonaten durch Nutzung der eisfreien Häfen in Libau (Liepaja) und Windau (Ventspils) vermutlich leisten können. Hiergegen verwehrte sich Hitler - er verbot entsprechende Bestrebungen. Stattdessen wollte er die in Kurland befindlichen Truppen nutzen, um der Roten Armee in die Flanke fallen zu können - zu diesem Zeitpunkt ein völlig unrealistisches Unterfangen. Erst nach dem Tod Hitlers wurden daher Überlegungen zum Entsatz der in Kurland befindlichen Truppen möglich. 

Nach der letzten Stärkemeldung befanden sich noch rund 200.000 deutsche Soldaten in Kurland, die bis Kriegsende nur über den Seeweg und aus der Luft versorgt werden konnten. Der Befehl, der am Morgen des 8. Mai 1945 bei der I./KG 66 eintraf, löste heftige Diskussionen innerhalb der Gruppe aus. Die bedingungslose Kapitulation war bereits  unterzeichnet - für jeden, der nun in ein Gebiet flog, das von der Roten Armee drohte vereinnahmt zu werden, drohte die Gefahr dort in Gefangenschaft zu gehen. Auf dem Funkweg hatte die Gruppe erfahren, dass die Landeverhältnisse in Kurland sehr schlecht waren - aufgeweichte Landebahnen und ständige Angriffe sowjetischer Tiefflieger stellten ein unberechenbares Risiko dar. Viele verwehrten sich daher dagegen in letzter Minute noch die russische Kriegsgefangenschaft zu riskieren. 

Dem Befehl, den Kurlandkessel anzufliegen, musste jedoch Folge geleistet werden - wobei grundsätzlich klar gewesen sein muss, dass es keine Folgebefehle geben würde. Die Flugzeugbesatzungen verständigten sich, dass das Ziel des Rückflugs der Platz Dedelstorf sein sollte. Hier war die I./KG 66 bereits vorher stationiert gewesen - die meisten der Angehörigen kannten die Gegend und hatten in den umliegenden Ortschaften gute Bekanntschaften gemacht. 

Eindeutige Belege dafür, wie viele Maschinen den Befehl tatsächlich ausführten und den Kurlandkessel ansteuerten, gibt es heute nicht mehr. Einige Flugzeuge steuerten offenbar direkt den norddeutschen Raum an, andere mussten vor ihrem Erreichen des baltischen Luftraumes abdrehen und wieder andere landeten tatsächlich auf den Flugplätzen bei Libau und Windau. 

Den vorliegenden Berichten zufolge starteten die Besatzungen am Morgen des 8. Mai 1945. So berichtete Oberfeldwebel Pfau (I./KG 66), dass er um 06:47 Uhr von Stavanger-Sola und seine Besatzung in ihrer Ju 88 S-3 startete. Sie erreichten Kurland jedoch nicht - über dem Skagerrak wurden sie von Jagdflugzeugen der RAF unter Beschuss genommen. Leutnant Piotter (I./KG 66) brach seinen Anflug aufgrund eines technischen Problems der Treibstoffumpumpanlage ab. Leutnant Altrogge (I./KG 66) erreichte Windau - die Piste ließ eine Landung nicht zu. Ohne Soldaten an Bord nehmen zu können flog er Norddeutschland an. 

Die Besatzung der Ju 88 von Kurt Oesterle erreichte einen Feldflugplatz ca. 30 km östlich von Libau. nach der Landung wurde ihre Maschine jedoch durch sowjetische Tiefflieger beschossen und zerstört. Oberleutnant Guess erfuhr über Funk von diesem Ereignis, brach seinen Rückflug nach Deutschland ab und nahm Oesterle, seine Besatzung und sechs weitere deutsche Soldaten an Bord. Mit diesen kehrte Guess nach Stavanger-Sola zurück. 

Am Morgen des 9. Mail 1945 erreichten vier Ju 88 den Luftraum über Dedelstorf. Es handelte sich offenbar um Besatzungen, die direkt aus Stavanger-Sola hierher gelangt waren. Da sich die Piloten vor Ort auskannten und größere Aufmerksamkeit vermeiden wollten, steuerten sie nicht den Flugplatz Dedelstorf an, sondern eine kleine Ausweichfläche auf der sogenannten "Kaisers Heide" zwischen Steinhorst und Zahrenholz. 

Bild: Lage des Abstellplatzes "Heinrich" auf der Kaisers Heide. Quelle: war office map, 1945. 

Bei Zahrenholz gab es damals zwei dieser Ausweichplätze, die insbesondere dazu dienten, Flugzeuge der Plätze Wesendorf und Dedelstorf aufzunehmen. Die andere Abstellfläche befand sich südwestlich von Zahrenholz. Beide verfügten nicht über feste Start- und Landebahnen. Die Flugzeuge wurden lediglich in angrenzenden Waldstücken zur Tarnung untergestellt. 

Aufgrund dieser Situation waren die Landungen auf den Plätzen bei Zahrenholz stets mit einigen Gefahren verbunden. Hinzu kam, dass die südwestlich gelegene Fläche unmittelbar vor einem kleinen Tümpel endete - offenbar wollten die Besatzungen der I./KG 66 am Morgen des 9. Mai 1945 unnötige Risiken vermeiden und flogen daher direkt den nördlichen Abstellplatz an. 

Die ersten vier Maschinen landeten unversehrt - ihre Besatzungen konnten sich aufgrund ihrer Ortskenntnis unentdeckt absetzen. Als Einheiten des US Militärs eintrafen, fanden sie die Flugzeuge verlassen vor. Sie wurden nach Kriegsende durch das Unternehmen Biskupek verschrottet. 

Bild: Flächen des ehemaligen Abstellplatzes bei Zahrenholz. Quelle: Altmann, 2018. 

Weitere Maschinen der I./KG 66 erreichten die umliegenden Flugplätze und Ausweichflächen in Dedelstorf, Bokel und bei Grebshorn. Insgesamt sollen es 15 Flugzeuge  gewesen sein. Für die Besatzungen war der Zweite Weltkrieg damit vorbei. Viele Angehörige der Gruppe ließen sich nach Kriegsende in der Umgebung nieder und blieben dort. 

Die Mehrzahl der noch in Kurland befindlichen Truppen geriet bei Kriegsende in russische Kriegsgefangenschaft. Viele kehrten erst nach mehreren Jahren nach Hause zurück - etliche überlebten die Gefangenschaft nicht. Eine wirkliche Chance die eingeschlossenen Truppen noch am 8./9. Mai auszufliegen bestand nicht - das Unterfangen hätte es deutlich größere Kontingente an Flugzeugen und Besatzungen erfordert. 

Der 8. Mai markiert bis heute das Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem westlichen Kriegsschauplatz. Für viele bedeutete dieser Tag das Ende unermesslichen Leids - aber auch große Ungewissheit mit Blick auf die Zukunft. Natürlich war die Welt am 8. Mai nicht schlagartig wieder in Ordnung - jedoch bot er die Chance auf einen Neuanfang. 

Aus heutiger Sicht sind die einstigen Geschehnisse bereits in weite Ferne gerückt. Umso wichtiger ist es, diese Zusammenhänge die früher auch in unmittelbarer Nähe stattgefunden haben, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. 

H. Altmann

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Quellen: 

- Flugplätze der Luftwaffe 1934 - 1945 und was davon übrig blieb, J. Zapf. 
- Kriegsende - Das Gifhorner Tagebuch, R. Silberstein. 
- Gemeindearchiv Hankensbüttel. 
- Heinrich Müller, Zahrenholz. 
- Luftwaffe im Fokus, Spezial 2/2006. 
- Kriegstagebuch OKW. 



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