f Juni 2023 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Donnerstag, 8. Juni 2023

Was geschah mit dem Lager Mondhagen?




Am 8. April 1945 ereignete sich der schwerste Luftangriff auf Celle während des Zweiten Weltkriegs. Die Zusammenhänge waren bereits mehrfach Gegenstand von Untersuchungen – dennoch tauchen immer wieder ergänzende Informationen auf. Jüngste Archivrecherchen liefern Hinweise zum ehemaligen „Reichsbahnlager Mondhagen“, das im Zuge des Luftangriffs an jenem Apriltag kurz vor Kriegsende vollständig zerstört worden ist.

Heute schlängeln sich schmale ausgetretene Pfade durch das dichte Unterholz. Gelegentlich rauschen Züge auf der angrenzenden Bahnstrecke Hannover/Celle vorbei. Auf den ersten Blick wirkt die Grünfläche mit ihrem dichten Baumbestand nicht besonders auffällig. Der bezeichnete Bereich befindet sich in Westercelle dort, wo die Straße „Mondhagen“ heute unmittelbar an den Bahngleisen endet.

Wie historische Karten belegen, verlief die Straße Mondhagen früher anders als heute. Sie querte die Bahnstrecke in Höhe des Gleisabzweigs nach Gifhorn/Schwarmstedt und führte weiter in Richtung Wietzenbruch. Die Gleiskreuzung war das Bindeglied, das die einstigen Streckenabschnitte der Unter- und Oberallertalbahn in Celle miteinander verband. Zwischen den Gleisen der Fernstrecke in Richtung Hannover und dem Streckenabzweig in Richtung Gifhorn befand sich bis zum 8. April 1945 das sogenannte „Reichsbahnlager Mondhagen“. Die amtliche Bezeichnung dieses Barackenlagers lautete „Zivilarbeiterlager der Reichsbahn, Bahnmeisterei 1, Mondhagen“.

Bild: Lage des Lagers Mondhagen in Westercelle. Quelle: G.S.G.S. Map 4414, Sheet 3326, Third Ed., published by War Office, 1944, public domain. 

Bild: Lage des Lagers Mondhagen in Westercelle. Quelle: Google Earth. 

Das Lager bestand aus mindestens vier Holzbaracken sowie kleineren Nebengebäuden. Aus Nachkriegsunterlagen zu Nachforschungen über die Gefängnisse und Lager im Reichsgebiet geht hervor, dass das Reichsbahnlager Mondhagen nur schwach bewacht worden ist. Lediglich zwei unbewaffnete Zivilisten waren als Lagerwarte eingesetzt. Immerhin rund 120 Personen waren in dem Lager damals untergebracht – davon ca. zwanzig Polen und im Übrigen Russen. Von diesen waren etwa zwanzig mitsamt ihrer Familie in dem Barackenlager untergekommen.

Die Insassen des Lagers waren offenbar – je nach ihrer Qualifikation – zu verschiedenen Tätigkeiten bei der Reichsbahn in Celle eingesetzt. Die Arbeitskräfte wurden zum Teil auch im Fahrdienst beschäftigt. Die Arbeitszeit betrug je nach Einsatz ca. acht bis zehn Stunden. Für ihre Arbeit erhielten die Lagerinsassen eine Vergütung – inwiefern diese den damals üblichen Standards entsprach, lässt sich den vorliegenden Quellen nicht entnehmen. Die Bewohner des Lagers Mondhagen durften sich abends und Sonntags außerhalb des Lagers frei bewegen. Sie besaßen zwar einen entsprechenden Ausweis, trugen jedoch keine Erkennungsnummern.

Bild: Lage des Lagers Mondhagen in Westercelle. Quelle: Ausschnitt Luftbild Frühjahr 1945. 

In den frühen Abendstunden des 8. April 1945 näherten sich mehrere Bomberstaffeln der 9. US Air Force (USAAF) der Stadt Celle. Es handelte sich um schnelle Flugzeuge des Typs Martin B-26 „Marauder“ (dt.: Plünderer). Nach einem vorangegangenen Angriff auf die Erdölwerke bei Nienhagen, steuerten nachfolgende Bomberstaffeln das Celler Stadtgebiet an. Dort ahnte man offenbar noch nichts von der herannahenden Gefahr – obwohl über den brennenden Erdölwerken bei Nienhagen bereits tiefschwarze Rauchwolken standen. 

Zwischen 18:10 und 19:15 Uhr wurde der Celler Güterbahnhofs durch aufeinanderfolgende Angriffswellen mehrerer Bomb Groups der USAAF getroffen. Laut dem offiziellen Bericht der Ordnungspolizei erfolgte dieser Luftangriff durch mindestens 80 Flugzeuge, die ca. 360 Minen- und Sprengbomben abwarfen. Zu folgenschweren Ereignissen kam es durch die Bombardierung eines KZ-Transportzuges, der sich zu diesem Zeitpunkt im Bereich des Celler Güterbahnhofs aufhielt. Zu diesen Zusammenhängen wurde bereits mehrfach berichtet. Kürzlich erschienen drei Beiträge in der Celleschen Zeitung in denen Zeitzeugen ihre persönlichen Erlebnisse schilderten (Teil I, Teil II, Teil III). 

Bild: Three Martin B-26 Marauders Aim Fresh Blows At The Nienhagen, Germany Oil Refinery Obscured By Thick Smoke From Previous Hits By 9Th Bombardment Division. Quelle: www.Fol3.com, NARA Reference: 342-FH-3A22118-57133AC, published with permission of Fold3.com. 

Das Augenmerk soll an dieser Stelle auf die Geschehnisse in Hinblick auf das Reichsbahnlager Mondhagen gerichtet werden. Dieses befand sich südlich des heutigen Wilhelm-Heinichen-Rings und damit eigentlich außerhalb des Güterbahnhofs. Alliierte Luftbilder, die am 8. April 1945 noch vor dem Luftangriff aufgenommen worden sind, zeigen das Reichsbahnlager Mondhagen mit zwei kleineren, rechtwinkligen Luftschutzgräben in dessen nördlichem Bereich. 

Diese Gräben befanden sich ungefähr dort, wo die Gleise der Oberallertalbahn aus Richtung Gifhorn auf die Fernbahnstrecke einmündeten. Sicherlich hätten derartige Luftschutzgräben nur einen rudimentären Schutz gegen umherfliegende Splitter geboten – keinesfalls jedoch gegen direkte Bombentreffer. Genau hierzu kam es an jenem Apriltag jedoch.

Bild: Auszug aus dem Einsatzbericht der 391st Bomb Group. Quelle: Mission Summary 08.04.1945, Field Order 839 & 840, Headquarters of the 9th Bombardement Division. 

B-26 Bomber der 391st Bomb Group, die in der Box I – also in der ersten Angriffsstaffel dieser Formation flogen – konnten den „DMPI“, d.h. den „Desired Mean Point of Impact“ (= planmäßiger Angriffsschwerpunkt) aufgrund der Rauchentwicklung am Boden nicht erkennen. Die Bomberstrategie der US-Luftstreitkräfte sah in einem solchen Fall nicht vor, dass die angreifenden Maschinen neue Anflüge für die Bombardierung des angestrebten Ziels unternahmen – es galt, den Aufenthalt der eigenen Flugzeuge im Zielgebiet auf eine möglichst kurze Zeitspanne zu begrenzen. 

Den Crews blieben daher nur wenige Augenblicke, um zu entscheiden, wie mit der Bombenlast verfahren werden sollte. Den Aufklärungsberichten, d.h. den sogenannten „Interpretation Reports“, die bereits ab Oktober 1944 zusammengestellt worden sind, ist zu entnehmen, dass der Angriffsbereich den gesamten Korridor zwischen dem Celler Personenbahnhof und dem südlichen Ende des Güterbahnhofs umfasste. Dies ermöglichte es den angreifenden Bomb Groups ihre Bombenlast lokal versetzt abzuwerfen, sofern bestimmte Bereiche aufgrund der Rauchentwicklung nicht auf Sicht bombardiert werden konnten.

Am 8. April 1945 entschieden sich die angreifenden Bomber der 391st Bomb Group ihre Bomben auf die Gleiskreuzung abzuwerfen, die sich rund 2.100 Fuß südlich des eigentlichen Zielpunktes am Güterbahnhof befand. Der Einsatzbericht dokumentiert, dass die abgeworfenen Bomben in einem dichten Muster aufschlugen und einen Bereich mit einem Durchmesser von rund 1.000 Fuß bedeckten. 

Bild: Bombardierung des Gleiskreuzes und des Lagers Mondhagen am 08.04.1945. Quelle: Luftbild 08.04.1945, Sammlung Altmann. 

Vier Gleisstränge wurden als getroffen bestätigt – darüber hinaus sei eine Straßenüberquerung sowie sechs Wohngebäude getroffen worden, heißt es im Einsatzbericht. Es handelte sich hierbei zweifelsfrei um das Reichbahnlager Mondhagen. Luftbilder, die während der Bombardierung aufgenommen worden sind, zeigen die explodierenden Sprengbomben im Bereich der Gleiskreuzung nördlich und südlich der Straße Mondhagen. Abgeworfen wurden an jenem Tag 2.000 Pfund schwere Bomben des Typs „General Purpose“, d.h. Mehrzweckbomben, die zum Angriff auf unterschiedliche Bodenziele verwendet werden konnten.

Das Vorgehen der Einheit der 391st Bomb Group wirft mit Blick auf die Begründung, der planmäßige Angriffsschwerpunkt sei aufgrund der Rauchentwicklung nicht erkennbar gewesen, durchaus Fragen auf. Zwar ist auf dem Luftbild des Angriffs eindeutig eine massive Rauchwolke zwischen der Gegend des Güterbahnhofs und Westercelle zu erkennen. Weite Bereiche des südlichen Güterbahnhofs sind jedoch klar und ohne Raucheinwirkung zu sehen. In diesem Areal befanden sich Zielpunkte, die bereits im Aufklärungsbericht genannt worden sind. 

Diese Ziele hätten die Bombercrews der 391st Bomb Group am 8. April 1945 eigentlich auf Sicht bombardieren können – sie taten es jedoch nicht. Ein möglicher Grund mag darin liegen, dass der koordinierte Abwurf auf der Gleiskreuzung der Allertalbahn lohnenswerter erschien. Dort konnten gleichzeitig Schienen- und Straßeninfrastruktur getroffen werden und darüber hinaus auch noch Gebäude zerstört werden.

Bild: Ansicht des Gleiskreuzes heute - mit Blick in Richtung des ehemaligen Lagers Mondhagen. Quelle: H. Altmann, 2023. 

Alliierte Luftbilder, die am 10. April 1945 aufgenommen worden sind, belegen das Ausmaß der Zerstörungen – sowohl im Bereich des Celler Güterbahnhofs als auch im Bereich der besagten Gleiskreuzung der Allertalbahn, in der sich das Barackenlager Mondhagen der Reichsbahn befand. Die Einschlagskrater liegen so dicht beieinander, dass sie sich mit bloßem Auge kaum als mehrfache Treffer unterscheiden lassen.

Von den Gebäuden ist auf diesen Luftbildern nichts mehr zu sehen – der zentrale Bereich des kleinen Reichsbahnlagers erhielt mehrere direkte Treffer und wurde vollkommen verwüstet. Auch der angrenzende Bereich südlich der Straße Mondhagen ist mit Bombenkratern übersäht. Die Gleisverbindung in Richtung Gifhorn wurde mehrfach getroffen. Die Gleise der Fernstrecke in Richtung Hannover waren stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Streckenverlauf in Richtung Schwarmstedt wurde durch den Luftangriff scheinbar nicht beschädigt – die Masse der abgeworfenen Bomben traf offenbar den östlichen Bereich der Gleiskreuzung.

Bild: Ein Relikt des ehemaligen Lagers Mondhagen? Quelle: H. Altmann, 2023. 

Es ist bislang nicht geklärt, ob sich zum Zeitpunkt der Bombardierung noch Menschen im Reichsbahnlager Mondhagen befanden. Eine Überlebenschance bei einem derart konzentrierten Trefferbild hätte im unmittelbaren Bereich sicherlich nicht bestanden. Weder die Luftschutzgräben, noch die Holzbaracken hätten auch nur annähernd Schutz gegen die Detonationen, die umherfliegenden Splitter sowie die Druckwelle geboten. 

Aus den seinerzeit erfassten Exhumierungs- und Umbettungsunterlagen ergeben sich allerdings keine Rückschlüsse auf Leichenfunde im Bereich des ehemaligen Reichsbahnlagers Mondhagen. Es wäre denkbar, dass die Insassen das Lager in Folge des ausgegebenen Luftalarms verließen und anderswo Schutz suchten. Ebenso wäre es möglich, dass das Lager durch den vorausgegangenen Luftangriff am 22. Februar 1945 bereits so schwer beschädigt worden war, dass die Insassen schon ab diesem Zeitpunkt anderswo untergekommen waren.

Bild: Ein Relikt des ehemaligen Lagers Mondhagen? Quelle: H. Altmann, 2023. 

Heute ist von dem einstigen Reichsbahnlager Mondhagen vor Ort so gut wie nichts mehr zu erkennen. Der ehemalige Lagerbereich ist mit dichtem Unterholz bewachsen. Sichtbare Relikte der Baracken bzw. deren Fundamenten existieren so gut wie nicht mehr. Die Bombenkrater sind längst verfüllt worden. Auch moderne Auswertungsmethoden anhand von Laserscanaufnahmen liefern in diesem Bereich keine Erkenntnisse über auffällige Bodenstrukturen. 

Nur eine geradlinig verlaufende Reihe stämmiger Eichen zeigt den ehemaligen Verlauf der Straße Mondhagen noch an. Der einstige Standort des Lagers lässt sich somit noch ungefähr erahnen, da sich dieses früher unmittelbar nördlich der Straße im Bereich des Gleiskreuzes befand.

Bild: Reihe alter Eichen am ehemaligen Straßenverlauf des Mondhagen. Quelle: H. Altmann, 2023. 

Durch den Luftangriff am 8. April 1945 sollten militärtaktische Ziele getroffen werden. Die Erdölwerke bei Nienhagen und der Güterbahnhof in Celle passten in dieses Muster. Ebenso passt hierzu, dass angreifende Verbände der 394th Bomb Group, die eigentlich die Erdölwerke bei Nienhagen bombardieren sollten, diese aufgrund der massiven Rauchentwicklung jedoch nicht auf Sicht treffen konnten, stattdessen ihr Ausweichziel – nämlich den Bahnhofsbereich in Gifhorn – bombardierten. Die Angriffe der schnellen Mittelstreckenbomber des Typs B-26 „Marauder“ sollten an jenem Tag Nachschubrouten treffen und auf deutscher Seite Kräfte binden. 

In Celle löste der Luftangriff vom 8. April 1945 blankes Chaos aus. Bis heute ist den Überlieferungen von Zeitzeugen zu entnehmen, wie nachhaltig sich die Ereignisse der Bombardierung in ihrem Gedächtnis einprägten. Militärstrategisch konnte die US Air Force an jenem Tag zweifelsohne einen Erfolg verbuchen. Für diesen bezahlten am Boden etliche einen hohen Preis – insbesondere die Insassen jenes KZ-Transportzuges, der durch die Bomben am 8. April 1945 getroffen worden ist.

Obwohl die damaligen Ereignisse bereits mehrfach anhand historischer Quellen betrachtet und aufgearbeitet worden sind, treten immer wieder neue Erkenntnisse ans Licht. Die Ereignisse um das ehemalige Reichsbahnlager Mondhagen bilden hierbei nur ein kleines Puzzlestück im Gesamtbild des damaligen Geschehens.

H. Altmann

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Weitere Informationen: 

8. April 1945 - Bomber der US Air Force über Celle 
Karte zeigt Zerstörungen: 8. April 1945
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Stand: 07.06.2023
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Quellen:

NLA Hannover, ZGS 10 Nr. 1571.
Bertram, April 1945 – Der Luftangriff auf Celle und das Schicksal der KZ-Häftlinge aus Drütte.
Einsatzbericht der 9. USAAF v. 08.04.1945.
Luftbilder Celle v. 08.04.1945, Sammlung Altmann.
Chef der Ordnungspolizei, Hauptamt Ordnungspolizei, Bericht vom 08.04.1945, Bundesarchiv, R19, 341.
National Archives Washington, RG 243, Damage Assessment Reports 1942-1945, Entry 27 1-10, File Title III a (3061), Box 166.