f Heimatforschung im Landkreis Celle

Donnerstag, 8. Juni 2023

Was geschah mit dem Lager Mondhagen?




Am 8. April 1945 ereignete sich der schwerste Luftangriff auf Celle während des Zweiten Weltkriegs. Die Zusammenhänge waren bereits mehrfach Gegenstand von Untersuchungen – dennoch tauchen immer wieder ergänzende Informationen auf. Jüngste Archivrecherchen liefern Hinweise zum ehemaligen „Reichsbahnlager Mondhagen“, das im Zuge des Luftangriffs an jenem Apriltag kurz vor Kriegsende vollständig zerstört worden ist.

Heute schlängeln sich schmale ausgetretene Pfade durch das dichte Unterholz. Gelegentlich rauschen Züge auf der angrenzenden Bahnstrecke Hannover/Celle vorbei. Auf den ersten Blick wirkt die Grünfläche mit ihrem dichten Baumbestand nicht besonders auffällig. Der bezeichnete Bereich befindet sich in Westercelle dort, wo die Straße „Mondhagen“ heute unmittelbar an den Bahngleisen endet.

Wie historische Karten belegen, verlief die Straße Mondhagen früher anders als heute. Sie querte die Bahnstrecke in Höhe des Gleisabzweigs nach Gifhorn/Schwarmstedt und führte weiter in Richtung Wietzenbruch. Die Gleiskreuzung war das Bindeglied, das die einstigen Streckenabschnitte der Unter- und Oberallertalbahn in Celle miteinander verband. Zwischen den Gleisen der Fernstrecke in Richtung Hannover und dem Streckenabzweig in Richtung Gifhorn befand sich bis zum 8. April 1945 das sogenannte „Reichsbahnlager Mondhagen“. Die amtliche Bezeichnung dieses Barackenlagers lautete „Zivilarbeiterlager der Reichsbahn, Bahnmeisterei 1, Mondhagen“.

Bild: Lage des Lagers Mondhagen in Westercelle. Quelle: G.S.G.S. Map 4414, Sheet 3326, Third Ed., published by War Office, 1944, public domain. 

Bild: Lage des Lagers Mondhagen in Westercelle. Quelle: Google Earth. 

Das Lager bestand aus mindestens vier Holzbaracken sowie kleineren Nebengebäuden. Aus Nachkriegsunterlagen zu Nachforschungen über die Gefängnisse und Lager im Reichsgebiet geht hervor, dass das Reichsbahnlager Mondhagen nur schwach bewacht worden ist. Lediglich zwei unbewaffnete Zivilisten waren als Lagerwarte eingesetzt. Immerhin rund 120 Personen waren in dem Lager damals untergebracht – davon ca. zwanzig Polen und im Übrigen Russen. Von diesen waren etwa zwanzig mitsamt ihrer Familie in dem Barackenlager untergekommen.

Die Insassen des Lagers waren offenbar – je nach ihrer Qualifikation – zu verschiedenen Tätigkeiten bei der Reichsbahn in Celle eingesetzt. Die Arbeitskräfte wurden zum Teil auch im Fahrdienst beschäftigt. Die Arbeitszeit betrug je nach Einsatz ca. acht bis zehn Stunden. Für ihre Arbeit erhielten die Lagerinsassen eine Vergütung – inwiefern diese den damals üblichen Standards entsprach, lässt sich den vorliegenden Quellen nicht entnehmen. Die Bewohner des Lagers Mondhagen durften sich abends und Sonntags außerhalb des Lagers frei bewegen. Sie besaßen zwar einen entsprechenden Ausweis, trugen jedoch keine Erkennungsnummern.

Bild: Lage des Lagers Mondhagen in Westercelle. Quelle: Ausschnitt Luftbild Frühjahr 1945. 

In den frühen Abendstunden des 8. April 1945 näherten sich mehrere Bomberstaffeln der 9. US Air Force (USAAF) der Stadt Celle. Es handelte sich um schnelle Flugzeuge des Typs Martin B-26 „Marauder“ (dt.: Plünderer). Nach einem vorangegangenen Angriff auf die Erdölwerke bei Nienhagen, steuerten nachfolgende Bomberstaffeln das Celler Stadtgebiet an. Dort ahnte man offenbar noch nichts von der herannahenden Gefahr – obwohl über den brennenden Erdölwerken bei Nienhagen bereits tiefschwarze Rauchwolken standen. 

Zwischen 18:10 und 19:15 Uhr wurde der Celler Güterbahnhofs durch aufeinanderfolgende Angriffswellen mehrerer Bomb Groups der USAAF getroffen. Laut dem offiziellen Bericht der Ordnungspolizei erfolgte dieser Luftangriff durch mindestens 80 Flugzeuge, die ca. 360 Minen- und Sprengbomben abwarfen. Zu folgenschweren Ereignissen kam es durch die Bombardierung eines KZ-Transportzuges, der sich zu diesem Zeitpunkt im Bereich des Celler Güterbahnhofs aufhielt. Zu diesen Zusammenhängen wurde bereits mehrfach berichtet. Kürzlich erschienen drei Beiträge in der Celleschen Zeitung in denen Zeitzeugen ihre persönlichen Erlebnisse schilderten (Teil I, Teil II, Teil III). 

Bild: Three Martin B-26 Marauders Aim Fresh Blows At The Nienhagen, Germany Oil Refinery Obscured By Thick Smoke From Previous Hits By 9Th Bombardment Division. Quelle: www.Fol3.com, NARA Reference: 342-FH-3A22118-57133AC, published with permission of Fold3.com. 

Das Augenmerk soll an dieser Stelle auf die Geschehnisse in Hinblick auf das Reichsbahnlager Mondhagen gerichtet werden. Dieses befand sich südlich des heutigen Wilhelm-Heinichen-Rings und damit eigentlich außerhalb des Güterbahnhofs. Alliierte Luftbilder, die am 8. April 1945 noch vor dem Luftangriff aufgenommen worden sind, zeigen das Reichsbahnlager Mondhagen mit zwei kleineren, rechtwinkligen Luftschutzgräben in dessen nördlichem Bereich. 

Diese Gräben befanden sich ungefähr dort, wo die Gleise der Oberallertalbahn aus Richtung Gifhorn auf die Fernbahnstrecke einmündeten. Sicherlich hätten derartige Luftschutzgräben nur einen rudimentären Schutz gegen umherfliegende Splitter geboten – keinesfalls jedoch gegen direkte Bombentreffer. Genau hierzu kam es an jenem Apriltag jedoch.

Bild: Auszug aus dem Einsatzbericht der 391st Bomb Group. Quelle: Mission Summary 08.04.1945, Field Order 839 & 840, Headquarters of the 9th Bombardement Division. 

B-26 Bomber der 391st Bomb Group, die in der Box I – also in der ersten Angriffsstaffel dieser Formation flogen – konnten den „DMPI“, d.h. den „Desired Mean Point of Impact“ (= planmäßiger Angriffsschwerpunkt) aufgrund der Rauchentwicklung am Boden nicht erkennen. Die Bomberstrategie der US-Luftstreitkräfte sah in einem solchen Fall nicht vor, dass die angreifenden Maschinen neue Anflüge für die Bombardierung des angestrebten Ziels unternahmen – es galt, den Aufenthalt der eigenen Flugzeuge im Zielgebiet auf eine möglichst kurze Zeitspanne zu begrenzen. 

Den Crews blieben daher nur wenige Augenblicke, um zu entscheiden, wie mit der Bombenlast verfahren werden sollte. Den Aufklärungsberichten, d.h. den sogenannten „Interpretation Reports“, die bereits ab Oktober 1944 zusammengestellt worden sind, ist zu entnehmen, dass der Angriffsbereich den gesamten Korridor zwischen dem Celler Personenbahnhof und dem südlichen Ende des Güterbahnhofs umfasste. Dies ermöglichte es den angreifenden Bomb Groups ihre Bombenlast lokal versetzt abzuwerfen, sofern bestimmte Bereiche aufgrund der Rauchentwicklung nicht auf Sicht bombardiert werden konnten.

Am 8. April 1945 entschieden sich die angreifenden Bomber der 391st Bomb Group ihre Bomben auf die Gleiskreuzung abzuwerfen, die sich rund 2.100 Fuß südlich des eigentlichen Zielpunktes am Güterbahnhof befand. Der Einsatzbericht dokumentiert, dass die abgeworfenen Bomben in einem dichten Muster aufschlugen und einen Bereich mit einem Durchmesser von rund 1.000 Fuß bedeckten. 

Bild: Bombardierung des Gleiskreuzes und des Lagers Mondhagen am 08.04.1945. Quelle: Luftbild 08.04.1945, Sammlung Altmann. 

Vier Gleisstränge wurden als getroffen bestätigt – darüber hinaus sei eine Straßenüberquerung sowie sechs Wohngebäude getroffen worden, heißt es im Einsatzbericht. Es handelte sich hierbei zweifelsfrei um das Reichbahnlager Mondhagen. Luftbilder, die während der Bombardierung aufgenommen worden sind, zeigen die explodierenden Sprengbomben im Bereich der Gleiskreuzung nördlich und südlich der Straße Mondhagen. Abgeworfen wurden an jenem Tag 2.000 Pfund schwere Bomben des Typs „General Purpose“, d.h. Mehrzweckbomben, die zum Angriff auf unterschiedliche Bodenziele verwendet werden konnten.

Das Vorgehen der Einheit der 391st Bomb Group wirft mit Blick auf die Begründung, der planmäßige Angriffsschwerpunkt sei aufgrund der Rauchentwicklung nicht erkennbar gewesen, durchaus Fragen auf. Zwar ist auf dem Luftbild des Angriffs eindeutig eine massive Rauchwolke zwischen der Gegend des Güterbahnhofs und Westercelle zu erkennen. Weite Bereiche des südlichen Güterbahnhofs sind jedoch klar und ohne Raucheinwirkung zu sehen. In diesem Areal befanden sich Zielpunkte, die bereits im Aufklärungsbericht genannt worden sind. 

Diese Ziele hätten die Bombercrews der 391st Bomb Group am 8. April 1945 eigentlich auf Sicht bombardieren können – sie taten es jedoch nicht. Ein möglicher Grund mag darin liegen, dass der koordinierte Abwurf auf der Gleiskreuzung der Allertalbahn lohnenswerter erschien. Dort konnten gleichzeitig Schienen- und Straßeninfrastruktur getroffen werden und darüber hinaus auch noch Gebäude zerstört werden.

Bild: Ansicht des Gleiskreuzes heute - mit Blick in Richtung des ehemaligen Lagers Mondhagen. Quelle: H. Altmann, 2023. 

Alliierte Luftbilder, die am 10. April 1945 aufgenommen worden sind, belegen das Ausmaß der Zerstörungen – sowohl im Bereich des Celler Güterbahnhofs als auch im Bereich der besagten Gleiskreuzung der Allertalbahn, in der sich das Barackenlager Mondhagen der Reichsbahn befand. Die Einschlagskrater liegen so dicht beieinander, dass sie sich mit bloßem Auge kaum als mehrfache Treffer unterscheiden lassen.

Von den Gebäuden ist auf diesen Luftbildern nichts mehr zu sehen – der zentrale Bereich des kleinen Reichsbahnlagers erhielt mehrere direkte Treffer und wurde vollkommen verwüstet. Auch der angrenzende Bereich südlich der Straße Mondhagen ist mit Bombenkratern übersäht. Die Gleisverbindung in Richtung Gifhorn wurde mehrfach getroffen. Die Gleise der Fernstrecke in Richtung Hannover waren stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Streckenverlauf in Richtung Schwarmstedt wurde durch den Luftangriff scheinbar nicht beschädigt – die Masse der abgeworfenen Bomben traf offenbar den östlichen Bereich der Gleiskreuzung.

Bild: Ein Relikt des ehemaligen Lagers Mondhagen? Quelle: H. Altmann, 2023. 

Es ist bislang nicht geklärt, ob sich zum Zeitpunkt der Bombardierung noch Menschen im Reichsbahnlager Mondhagen befanden. Eine Überlebenschance bei einem derart konzentrierten Trefferbild hätte im unmittelbaren Bereich sicherlich nicht bestanden. Weder die Luftschutzgräben, noch die Holzbaracken hätten auch nur annähernd Schutz gegen die Detonationen, die umherfliegenden Splitter sowie die Druckwelle geboten. 

Aus den seinerzeit erfassten Exhumierungs- und Umbettungsunterlagen ergeben sich allerdings keine Rückschlüsse auf Leichenfunde im Bereich des ehemaligen Reichsbahnlagers Mondhagen. Es wäre denkbar, dass die Insassen das Lager in Folge des ausgegebenen Luftalarms verließen und anderswo Schutz suchten. Ebenso wäre es möglich, dass das Lager durch den vorausgegangenen Luftangriff am 22. Februar 1945 bereits so schwer beschädigt worden war, dass die Insassen schon ab diesem Zeitpunkt anderswo untergekommen waren.

Bild: Ein Relikt des ehemaligen Lagers Mondhagen? Quelle: H. Altmann, 2023. 

Heute ist von dem einstigen Reichsbahnlager Mondhagen vor Ort so gut wie nichts mehr zu erkennen. Der ehemalige Lagerbereich ist mit dichtem Unterholz bewachsen. Sichtbare Relikte der Baracken bzw. deren Fundamenten existieren so gut wie nicht mehr. Die Bombenkrater sind längst verfüllt worden. Auch moderne Auswertungsmethoden anhand von Laserscanaufnahmen liefern in diesem Bereich keine Erkenntnisse über auffällige Bodenstrukturen. 

Nur eine geradlinig verlaufende Reihe stämmiger Eichen zeigt den ehemaligen Verlauf der Straße Mondhagen noch an. Der einstige Standort des Lagers lässt sich somit noch ungefähr erahnen, da sich dieses früher unmittelbar nördlich der Straße im Bereich des Gleiskreuzes befand.

Bild: Reihe alter Eichen am ehemaligen Straßenverlauf des Mondhagen. Quelle: H. Altmann, 2023. 

Durch den Luftangriff am 8. April 1945 sollten militärtaktische Ziele getroffen werden. Die Erdölwerke bei Nienhagen und der Güterbahnhof in Celle passten in dieses Muster. Ebenso passt hierzu, dass angreifende Verbände der 394th Bomb Group, die eigentlich die Erdölwerke bei Nienhagen bombardieren sollten, diese aufgrund der massiven Rauchentwicklung jedoch nicht auf Sicht treffen konnten, stattdessen ihr Ausweichziel – nämlich den Bahnhofsbereich in Gifhorn – bombardierten. Die Angriffe der schnellen Mittelstreckenbomber des Typs B-26 „Marauder“ sollten an jenem Tag Nachschubrouten treffen und auf deutscher Seite Kräfte binden. 

In Celle löste der Luftangriff vom 8. April 1945 blankes Chaos aus. Bis heute ist den Überlieferungen von Zeitzeugen zu entnehmen, wie nachhaltig sich die Ereignisse der Bombardierung in ihrem Gedächtnis einprägten. Militärstrategisch konnte die US Air Force an jenem Tag zweifelsohne einen Erfolg verbuchen. Für diesen bezahlten am Boden etliche einen hohen Preis – insbesondere die Insassen jenes KZ-Transportzuges, der durch die Bomben am 8. April 1945 getroffen worden ist.

Obwohl die damaligen Ereignisse bereits mehrfach anhand historischer Quellen betrachtet und aufgearbeitet worden sind, treten immer wieder neue Erkenntnisse ans Licht. Die Ereignisse um das ehemalige Reichsbahnlager Mondhagen bilden hierbei nur ein kleines Puzzlestück im Gesamtbild des damaligen Geschehens.

H. Altmann

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Weitere Informationen: 

8. April 1945 - Bomber der US Air Force über Celle 
Karte zeigt Zerstörungen: 8. April 1945
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Stand: 07.06.2023
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Quellen:

NLA Hannover, ZGS 10 Nr. 1571.
Bertram, April 1945 – Der Luftangriff auf Celle und das Schicksal der KZ-Häftlinge aus Drütte.
Einsatzbericht der 9. USAAF v. 08.04.1945.
Luftbilder Celle v. 08.04.1945, Sammlung Altmann.
Chef der Ordnungspolizei, Hauptamt Ordnungspolizei, Bericht vom 08.04.1945, Bundesarchiv, R19, 341.
National Archives Washington, RG 243, Damage Assessment Reports 1942-1945, Entry 27 1-10, File Title III a (3061), Box 166.


Dienstag, 7. März 2023

Zwischen Uelzen und Celle: die Feldbahnübung von 1892

Bild: Brücke über die Aller bei Celle. Quelle: DeGolyer Library, Southern Methodist University

Die ausgedehnten Heideflächen nördlich von Celle waren in der Geschichte mehrfach Schauplatz militärischer Manöver. Eine besonders spektakuläre Übung wurde unter großem Aufwand im Jahre 1892 abgehalten. In deren Rahmen wurde innerhalb weniger Tage eine eingleisige Feldbahnstrecke rund 70 Kilometer durch die Heide – zwischen Uelzen und Celle – verlegt und in Betrieb genommen.

Am 14. Juli 1892 setzte in Uelzen „ein sehr reges militärisches Leben“ ein.[1] An diesem Tag trafen die ersten Mannschaften der Berliner Eisenbahnbrigade aus Schöneberg ein. Fortwährend erreichten Zugtransporte mit Baumaterial und weitere Truppenkontingente den Uelzener Bahnhof. Ziel des Aufmarsches war eine praktische Übung der Eisenbahnbrigade, in deren Vorbereitung eine schmalspurige Feldbahnstrecke zwischen Uelzen und Celle errichtet und in Betrieb genommen werden sollte.

Ein vergleichbares Manöver hatte bis dato noch nie stattgefunden, denn die Militäreisenbahn war für damalige Verhältnisse ein relativ moderner Truppenbestandteil. Der Deutsch-Französischen-Krieg (1870-1871) hatte das Bewusstsein für die militärische Relevanz von Mobilität geschärft. Um diese für Truppen und Ausrüstung zu gewährleisten, wurden bereits ab 1866 gesonderte Eisenbahnabteilungen im Heer geschaffen. 

Die Eisenbahnregimenter sollten im Ernstfall insbesondere in der Lage sein, behelfsmäßige Feldbahnen in kurzer Zeit bereitzustellen, um im Kriegsfall die erforderliche Beweglichkeit größerer Kontingente zu gewährleisten. Mit der Einrichtung eines eigenen Standortes in Schöneberg bei Berlin verfügte die Truppe zwar über neue Kasernen – an Platz für praktische Übungen, nämlich für die Anlage von Feldbahngleisen über mehrere Kilometer – mangelte es vor Ort jedoch. 

Bild: Bahnhof Uelzen. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Vor diesem Hintergrund fiel die Wahl für ein entsprechendes Manöver auf die dünn besiedelte Heidegegend zwischen Uelzen und Celle. Die hiesige Landschaft bot sich für ein derartiges Unterfangen ideal an. Einerseits gab es wenig landwirtschaftlich genutzte Flächen, die im Rahmen der Übungen beschädigt werden konnten – andererseits war das Gelände recht abwechslungsreich. Es mussten mehrere Flüsse, sandige Steigungen und größere Moore überwunden werden. Gleichzeitig mussten die Eisenbahntruppen versorgt, transportiert und untergebracht werden. Die sogenannte Feldbahnübung des Jahres 1892 erfuhr daher auch überregional größere Beachtung.

Morgen, Dienstag den 12. d. Monats, rückt das königliche bayrische Eisenbahnbataillon nach der Lüneburger Haide ab, um dortselbst zusammen mit der königlichen preußischen Eisenbahnbrigade eine große vierwöchige Feldbahnübung durchzuführen.“, war in der Münchener Allgemeinen Zeitung damals zu lesen.[2] Letzte Kompanien des Bataillons erreichten Uelzen am 17. Juli 1892. Sie trafen in Kriegsstärke, d.h. mit je 182 Mann und 10 Offizieren ein.[3] Am 22. Juli 1892 waren bereits rund 1.000 Soldaten in Uelzen eingetroffen und wurden zunächst bei der örtlichen Bevölkerung einquartiert.

Bild: Depotkompanie nach Ankunft in Uelzen. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Das Baumaterial musste vollständig antransportiert werden. Schienen, Bahnschwellen sowie einige hundert Transportwagen und 50 Lokomotiven gelangten über Eisenbahntransporte auf der Normalspur zum Bahnhof Uelzen.[4] Bereits dort waren weitreichende infrastrukturelle Herausforderungen zu bewerkstelligen – Feldbäckereien und Feldschmieden wurden erreichtet, Platz für Neben- und Abstellgleise geschaffen, ein Wasserbrunnen zur Versorgung gebohrt und zahlreiche Nebengebäude errichtet. Unmittelbar nach Beginn dieser Arbeiten wurde mit dem Bau der Feldbahnstrecke begonnen.

Bild: Einbautrupp der 4. Reservebaukompanie. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

In nur neun Tagen konnte die rund 70 Kilometer lange Strecke fertiggestellt werden.[5] Die Baumaßnahmen erfolgten versetzt – die Arbeiten für den Unterbau erhielten einen Vorsprung von zwei Tagen, sodass anschließend der Oberbau erfolgen konnte. Am 11. Tag nach Beginn der Bauarbeiten konnte auf der fertigen Strecke der planmäßige Betrieb aufgenommen werden.[6]

Der Streckenverlauf führte von Uelzen zunächst nach Hansen und überquerte hier die Gerdau. Von dort aus lief die Strecke in südwestliche Richtung vorbei an Unterlüß und erreichte etwa bei Gerdehaus den schmalen Bachlauf der Sothrieth. Dieser und die vorgelagerten Feuchtwiesen wurden mit einer langgezogenen Brückenkonstruktion überquert. 

Bild: Übergang über die Sothrieth. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Im weiteren Verlauf erreichte die Feldbahnstrecke Hermannsburg – hier überwand sie die Lutter (auch bezeichnet als Weesener Bach) und führte dann weiter nach Süden. Später stieß die Strecke auf die alte Heerstraße in Richtung Celle und folgte deren Verlauf über die Anhöhe des Citronenberges westlich von Rebberlah. 

Bild: Brücke über die Lutter bei Hermannsburg. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Bild: Küche in Hermannsburg. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Auf freier Strecke waren in bestimmten Abständen kleinere Bahnstationen und Holzschuppen errichtet worden. So beispielsweise auch bei Streckenkilometer 50 südlich von Rebberlah. Von dort aus verlief die Feldbahn weiter in südwestliche Richtung durch den Arloh bis fast nach Scheuen. Hier befand sich ebenfalls eine kleine Bahnstation bei Kilometer 55.

Bild: Ankunft auf Kilometer 55. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Südlich von Scheuen führte die Feldbahnstrecke an der alten Ziegelei vorbei und dann kreuzte die neue Chaussee nach Hamburg unmittelbar östlich von Groß Hehlen. Bei Klein Hehlen wurde schließlich der Streckenkilometer 60 erreicht. Südlich von Klein Hehlen erreichte die Feldbahn schließlich ihr größtes natürliches Hindernis – die Aller. 

Hier wurde eine Brückenkonstruktion aus Stahl über den Fluss errichtet – wohlgemerkt: Nachts. Die Allgemeine Militärzeitung hielt hierzu später fest: „Ein interessantes Schauspiel bot das Legen einer Eisenbahnbrücke Nachts über den Allerfluß im Neustädter Holze bei Celle. Beim Scheine feldmäßiger Beleuchtung hantierten die Soldaten in ihren Arbeitsanzügen ameisenartig, im Hintergrunde ertönten die taktmäßigen Hammerschläge der Feldschmiede, welche das weißglühende Metall verarbeitete.[7] 

Bild: Brücke über die Aller. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Im Neustädter Holz nahm die Feldbahnstrecke eine scharfe Linkskurve und erreichte die Celler Neustadt südlich der Fuhse. Dort wurde ein behelfsmäßiger Feldbahnhof eingerichtet.

Bild: (Feld-)Bahnhof Celle. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Insgesamt wies die Feldbahnstrecke auf ihren 64 Kilometern Länge rund 400 Meter Brücken auf.[8] Mit Verzweigungen und Nebengleisen waren rund 70 Kilometer Gleise verlegt worden. Ein größeres Moor musste auf einer Breite von ca. 1,5 Kilometern überwunden werden – hierfür wurden unter anderem Roste in den Boden eingelassen, um das Gewicht der Bahnstrecke besser zu verteilen. 

An den Baumaßnahmen waren insgesamt 9 Eisenbahnbaukompanien beteiligt – der spätere Betrieb wurde durch 5 dieser Kompanien durchgeführt.[9] Während der Baumaßnahmen kam es zu kleineren und größeren Unfällen. Bei Hermannsburg stießen zwei Transportwagen zusammen, wobei zwei Soldaten zwischen die Wagen gerieten und starke Quetschungen erlitten.[10]

Bild: Kilometer 45 während des Betriebes. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Nach Abschluss der Bauarbeiten begann die eigentliche Übungsphase des laufenden Bahnbetriebs. Um die Tauglichkeit der Feldbahn für den Kriegsfall unter Beweis zu stellen, sollte insbesondere die Frequenz der Zugtransporte und die Logistik erprobt werden. Täglich fuhren rund 14 Züge auf der Feldbahn zwischen Celle und Uelzen – es wurde dabei zwischen Geschwindigkeiten von 10 – 15 km/h variiert.[11] Auf der Strecke kam insbesondere ein neuer Sanitätsversuchszug zum Einsatz.

Bild: Sanitätsversuchszug in Hermannsburg. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Aufgrund der gesteigerten Beachtung dieses Manövers – immerhin handelte es sich um den größten bis dahin je durchgeführten Feldbahnversuch – rechnete man mit einem Besuch des Deutschen Kaisers. Ein Salonwagen für die Befahrung der Feldbahnstrecke war bereits bereitgestellt worden.[12] Zu einem kaiserlichen Besuch kam es allerdings nicht – die Gründe sind bis heute unbekannt.

Bild: das Offizierskorps bei der Versammlung in Celle am 10. August 1892. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Stattdessen wurde die Feldbahn unter Anwesenheit hochrangiger Generäle in Augenschein genommen. So besichtigte der Generalmajor Max von Bock und Polach im August 1892 die Bahnstrecke. Bereits 1893 wurde von Bock und Polach zum Generalleutnant der 20. Division in Hannover ernannt. Ab 1897 war er General der Infanterie. Zeitgenössische Aufnahmen zeigen Max von Bock und Polach und das Offizierskorps bei einer Befahrung der Strecke. Es liegen Fotoaufnahmen vor, die von Bock und Polach bei der Abfahrt aus Celle und bei der Besichtigung der Station am Streckenkilometer 50 zeigen.

Bild: Besichtigung der Strecke durch Herrn General von Bock und Polach. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Bild: Besichtigungsfahrt seiner Exzellenz des Chefs des Generalstabs - Kilometer 50. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Bis Mitte August 1892 lief der planmäßige Übungsbetrieb auf der Feldbahn. Als dieser erfolgreich beendet war, rückten zunächst die bayrischen Eisenbahnkompanien wieder ab. Nachdem auch die Stäbe der Eisenbahnbrigade nach Berlin zurückgekehrt waren, wurde die einspurige Feldbahn komplett zurückgebaut. 

Bild: Abfahrt des letzten fahrplanmäßigen Zuges von Hermannsburg nach Uelzen am 13. August 1892. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Der Rückbau setzte von Hermannsburg aus in beide Richtungen gleichzeitig ein.[13] Hölzer, Bretter, Bohlen und Balken wurden anschließend zusammen mit sonstigem Baumaterial öffentlich versteigert. Darüber hinaus wurden die im Zuge der Baumaßnahmen entstandenen Flurschäden taxiert.

Bild: Spuren der ehemaligen Feldbahn im Bereich des Citronenbergs bei Miele. Quelle: Altmann, 2023. 

Aus Sicht des Militärs wurde das Manöver im Nachhinein als positiv bewertet. „Das Ergebnis der Feldbahnübungen ist, der Schwierigkeit des Geländes entsprechend, durchaus zufriedenstellend gewesen. Offiziere und Mannschaften haben sich dem schwierigen und anstrengenden Dienste mit Ausdauer unterzogen. Aus dem Verlauf der Übung hat sich auch ergeben, dass sich die Bahnspur von 60 Zentimetern in hohem Maße für den Ausbau von Kleinbahnen, selbst in den schwierigsten Geländegestaltungen, eignen dürfte (...).“[14] Einige Anwohner und Bauern bedauerten es offenbar sogar, dass die Feldbahnlinie zwischen Celle und Uelzen wieder vollständig abgebaut worden war. Durch diese hatte man sich wohl einen Aufschwung in den kargen Heidelandschaften erhofft.

Bild: Spuren der ehemaligen Feldbahn bei Miele. Quelle: Altmann, 2023. 

Heute sind von der ehemaligen Feldbahnstrecke nur noch wenige Spuren im Gelände zu erkennen. Es ist ohnehin beachtlich, dass davon überhaupt noch etwas zu sehen ist, denn immerhin liegen die damaligen Ereignisse bereits über 130 Jahre zurück. Im Bereich der Anhöhe des Citronenbergs bei Miele (südöstl. Severloh) ist noch ein tiefer Geländeeinschnitt parallel zur alten Heerstraße zu erkennen.

Bild: Spuren der ehemaligen Feldbahn bei Weesen/Hermannsburg. Quelle: Altmann, 2023. 

Bild: hier befand sich einst die massive Brücke der Feldbahn über die Aller südlich von Klein Hehlen. Quelle: Altmann, 2023. 

Rund einen Kilometer nördlich des Citronenbergs sind ebenfalls noch Reste der einstigen Feldbahnstrecke erhalten geblieben – gleichmäßige Dämme zeugen von deren Verlauf. Nordöstlich von Weesen lässt sich dieser nur noch in geringfügigem Maße im Gelände erkennen. Moderne Laserscanaufnahmen ermöglichen es jedoch auch in diesen Bereichen, den Streckenverlauf aufzuspüren. Restlos verschwunden ist dagegen die einstige Brücke der Feldbahn über die Aller bei Celle. Wo sich damals zeitweise der Zielbahnhof der Feldbahnstrecke befand, erstreckt sich heute der Celler Stadtteil Neustadt/Heese.

H. Altmann

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Stand: 03/2023

[1] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[2] Münchner Allgemeine Zeitung, Jg. 94. Nr. 192, 12.07.1892.
[3] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[4] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[5] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 61, S. 485.
[6] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[7] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 61, S. 485.
[8] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[9] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[10] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[11] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[12] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[13] Deutsche Verkehrsblätter und Allgemeine Deutsche Eisenbahnzeitung, Jg. 1892, Nr. 35, 01.09.1892.
[14] Deutsche Verkehrsblätter und Allgemeine Deutsche Eisenbahnzeitung, Jg. 1892, Nr. 35, 01.09.1892.


Donnerstag, 16. Februar 2023

Bergen. Endstation Bahnhofsrampe.


Für tausende Häftlinge war sie der erste Berührungspunkt mit dem Konzentrationslager Bergen-Belsen: die Rampe des ehemaligen Truppenlagers Bergen. Dieser und angrenzende Bereiche sind heute ein Gedenkort und darüber hinaus ein eingetragenes Baudenkmal. Wird das historische Areal von einem Neubauprojekt der Deutschen Bahn bedroht?

Als der Flight Officer D. Pollard am Morgen des 17. September 1944 in seiner Supermarine Spitfire vom Flugplatz der Royal Air Force in Benson (England) abhob, ahnte er vermutlich nicht, dass ihn seine Mission in unmittelbare Nähe eines der größten deutschen Konzentrationslager führte. Ausgestattet war sein Flugzeug mit hochauflösenden Kameras – seine Aufgabe bestand an jenem Tag darin Luftaufnahmen zu Aufklärungszwecken zu machen. In mehreren Schleifen überflog Pollard den Truppenübungsplatz Bergen und schoss dabei unter anderem Aufnahmen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen sowie dessen angrenzenden Bereichen.

Die Landschaft auf den historischen Schwarzweißaufnahmen wirkt auf den ersten Blick unspektakulär. Schmale Wiesen- und Ackerstücke sowie vereinzelte Waldflächen dominieren. Die militärischen Einrichtungen des Truppenlagers Bergen ziehen mit einer Fülle von Kasernen, Hallen, Nebengebäuden und sonstigen Baulichkeiten jedoch unmittelbar den Fokus auf sich. Im Süden davon erkennbar: die Barackengebäude des Konzentrationslagers. 

Fast beiläufig dokumentieren die Luftaufnahmen nordwestlich der Ortschaft Belsen den Lagerbahnhof des Truppenlagers Bergen. Zu erkennen sind die große Verladerampe, mehrere parallel verlaufende Gleisstränge, das Stellwerk nebst benachbarter Drehscheibe sowie der noch heute vorhandene Wasserturm. Auf den Luftaufnahmen vom 17. September 1944 kann ebenfalls ein abgestellter Zug, bestehend aus mindestens zwölf Waggons, identifiziert werden. Auf den Dächern der Waggons wurden gut sichtbare Kreuze (verm. in der Farbe Rot) auf weißem Untergrund aufgemalt. Es liegt nahe, dass es sich um einen Lazarettzug gehandelt haben könnte.

Bild: Lagerbahnhof Bergen und Verladerampe heute. Quelle: Altmann, 2022. 

Mit der Errichtung des Truppenübungsplatzes, der zunehmenden militärischen Nutzung des Areals und schließlich mit der Einrichtung des Konzentrationslagers legte sich der Deckmantel des Schweigens über die Landschaft. Über Züge die auf dem Lagerbahnhof eintrafen und deren Insassen liegen somit nur sehr spärliche Informationen vor. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch die Darstellung des ehemaligen Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und langjährigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages Erhard Eppler. Als 18 jähriger Soldat war er in den letzten Kriegsmonaten zeitweise auf dem Truppenübungsplatz Bergen stationiert.

In Interviews gegenüber dem Spiegel (16.11.1983) und der Süddeutschen Zeitung (21.04.1985) beschrieb Eppler seine Erlebnisse. In seiner Darstellung erreichten ununterbrochen Lazarettzüge den Verladebahnhof Bergen – fast täglich wurden Teile seiner Kompanie abkommandiert, um Verwundete auszuladen. Dabei erlebte Eppler unbeschreibliches Elend – in den Zügen hatten „erbarmungslos zusammengeschossene Menschenleiber tagelang in Eiter, Blut, Speichel und Exkrementen zusammengepfercht gelegen.“ (Eppler, SZ, 21.04.1985). 

Viel schrecklicher empfand er jedoch die Zugtransporte, die für das KZ Bergen-Belsen bestimmt waren und die er und seine Kameraden beim Entladen der Lazarettzüge mit ansahen. Bei einer dieser Situationen trieb die SS – vermutlich ungarische – Jüdinnen mit der Peitsche aus den Güterwagen und weiter ins Konzentrationslager, so Eppler. Tote und Sterbende wurden gleichermaßen auf Lastwagen geworfen und abgefahren.

Bild: Karte des Lagerbahnhofs Bergen um 1938. Quelle: Topografische Karte, Reichsamt für Landesaufnahme, 1938.

Während über die Verwendung der Verladerampe auf dem Lagerbahnhof Bergen zur Be- und Entladung von KZ-Transporten mehrere Zeitzeugenberichte vorliegen, hält sich die Quellenlage mit Blick auf die ursprünglichen Nutzungszusammenhänge des Lagerbahnhofs bedeckt. Dies überrascht wenig, da die Rampe zunächst für die Verladung größerer Truppenkontingente errichtet worden war – also Vorgänge, die strengster Geheimhaltung unterlagen. 

Die baugeschichtlichen Zusammenhänge der Rampe sind daher nur fragmentarisch überliefert. Fest steht, dass der Truppenübungsplatz ab Mitte 1936 mit militärischen Einheiten belegt wurde – auf einem erhalten gebliebenen Gleisstrang ist zudem die Jahreszahl 1936 eingeprägt. In historischen Karten des Reichsamtes für Landesaufnahme in Berlin aus dem Jahr 1938 taucht der ausgebaute Lagerbahnhof bereits in voller Ausdehnung auf.

Bild: Zwei Soldaten der Wehrmacht - im Hintergrund der noch nicht vollständig fertiggestellte Lagerbahnhof Bergen - Ende der 1930er Jahre. Quelle: Archiv Altmann. 

Fotos, die gegen Ende der 1930er Jahre aufgenommen worden sind, zeigen den Lagerbahnhof noch ohne Kopfsteinpflaster. Wann und von welchen Arbeitskräften dieses verlegt worden ist, ist nicht bekannt. Im westlichen Bereich des Lagerbahnhofs waren die Gleise über mehrere Meter mit Holzbohlen ausgelegt, sodass Fahrzeuge auf die langgezogene Seitenrampe fahren konnten. Erst im Zuge einer Umbaumaßnahme im Jahr 2001 wurde ein Teil des Lagerbahnhofs zu einer Kopframpe umgestaltet – offenbar in Unkenntnis darüber, dass der Bereich bereits unter Denkmalschutz stand, wie die CZ am 21. September 2001 berichtete.

Bild: Lagerbahnhof Bergen und Verladerampe nach Umbaumaßnahmen. Quelle: Altmann, 2022. 

Zu beachten ist, dass der Lagerbahnhof ursprünglich ausschließlich für die Verladung von Truppen, Fahrzeugen und militärischer Ausrüstung vorgesehen war. Später wurde diese Einrichtung dann genutzt, um Kriegsgefangene - zunächst französische und belgische, später dann tausende sowjetische - nach Bergen-Belsen zu transportieren. 

Für die Versorgung des Truppenlagers Bergen existierten gesonderte Gleisstränge, die sich westlich des Lagerbahnhofs anschlossen. In diesem Bereich – östlich der Straßenbrücke der heutigen L298 – befanden sich im Herbst 1944 mindestens zwei größere Gebäude noch im Aufbau, wie historische Luftaufnahmen belegen. 

Informationen zum Verwendungszweck dieser Gebäude liegen bislang nicht vor – im Gelände lassen sich dort nur noch vereinzelt Relikte feststellen. Es liegt jedoch nahe, dass diese Gebäude in unmittelbarem Zusammenhang zum Lagerbahnhof bzw. dem benachbarten Gleiskörper gestanden haben – später befand sich in diesem Bereich offenbar eine Gleiswaage. 

Bild: Lagerbahnhof Bergen und Verladerampe heute. Quelle: Altmann, 2022. 

In westlicher Richtung hinter dieser teilten sich die Gleise – entsprechend der Einrichtungen, die sie versorgten – in das sogenannte Benzin-, Bäckerei-, Scheunen-, Kohlen- und Wäscherei-Gleis. Dies ist bemerkenswert, da für die erforderlichen Versorgungseinrichtungen des Standortes zusätzliche Gleisverbindungen bereits bei Errichtung des Lagerbahnhofs berücksichtigt worden waren – eine Gleisverbindung zum KZ Bergen-Belsen bestand jedoch nicht. Aus diesem Grund mussten die Häftlinge die Strecke von ca. 6,0 km zwischen Lagerbahnhof und Konzentrationslager zu Fuß bewältigen.

Bild: Relikte von ehemaligen Gebäuden, die in den Monaten vor Kriegsende westlich der L298 errichtet worden sind. Auf dem Abflussrohr ist eingeprägt "Steingutwerk Hermühlheim Deutschland". Quelle: Altmann, 2022. 

Als andere Konzentrationslager durch den raschen Vormarsch der Alliierten Streitkräfte im Osten und Westen zunehmend drohten aus dem eigenen Einflussbereich zu entgleiten, wurden die dort untergebrachten Häftlinge evakuiert. Zahlreiche dieser – teils als Fußmärsche und/oder als Bahntransporte – durchgeführten Evakuierungen entwickelten sich aufgrund völlig unzureichender Versorgung, mangelhafter Transportbedingungen und falsch eingeschätzter Transportzeiten unweigerlich zu sogenannten Todesmärschen. 

Im täglich schrumpfenden Einflussbereich der deutschen Verteidigungskräfte blieb das KZ Bergen-Belsen als eines der möglichen Ziele derartiger Transporte. Die rasch ansteigende Zahl der Häftlinge, Unterversorgung in jedweder Hinsicht und die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten trugen maßgeblich zur hohen Sterblichkeit in der Endphase des Zweiten Weltkriegs bei. Der Lagerbahnhof weist daher eine besondere historische Bedeutung auf – ohne diese logistische Infrastrukturanlage wäre die Verlegung großer Häftlingstransporte aus weit entfernten Konzentrationslagern undenkbar gewesen.

Bild: Gedenkstein am Lagerbahnhof Bergen. Quelle: Altmann, 2022. 

In der unmittelbaren Endphase des Zweiten Weltkriegs kam dem Lagerbahnhof nochmals tragische Bedeutung zu. Etwa 6.700 Häftlinge sollten zwischen dem 6. und 10. April 1945 in drei Bahntransporten aus dem Aufenthaltslager Bergen-Belsen evakuiert werden. Nur einer dieser Züge erreichte Theresienstadt – die anderen beiden wurden bei Tröbitz bzw. bei Farsleben von sowjetischen bzw. US Truppen befreit.

Auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen e.V. (AG Bergen-Belsen) wurde die Verladerampe sowie angrenzende Bereiche des Lagerbahnhofs bereits vor rund 20 Jahren unter Denkmalschutz gestellt. Die Verladerampe sowie deren angrenzende Bereiche sind heute eingetragene Kulturdenkmale. 

Unter großem Einsatz der AG Bergen-Belsen – und insbesondere der Vorsitzenden Elke von Meding – wurde der Gedenkort an der ehemaligen Verladerampe realisiert. Informationstafeln und ein alter Güterwagen untermauern die historische Kulisse am Gedenkort, an dem seit mehreren Jahren regelmäßige Gedenkveranstaltungen, wie z.B. „Lichter auf Schienen“, stattfinden.

Bild: Gedenkort "Waggon" an der Verladerampe. Quelle: Altmann, 2022. 

Im Rahmen des Bahnprojektes Hamburg/Bremen-Hannover wurde im „Dialogforum Schiene Nord“ Vorschläge für einen Aus- bzw. Neubau entsprechender Bahnstrecken erarbeitet – u.a. im Abschnitt zwischen Hamburg und Hannover. Die weiterentwickelte Lösung des sogenannten optimierten Alpha-E plus Bremen ging schließlich in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans ein – es begannen entsprechende Vorplanungen und Prüfungen möglicher bestandsnaher sowie bestandsferner Aus- bzw. Neubaustrecken. 

Vor diesem Hintergrund wurden bislang mittels Raumwiderstandsanalysen sogenannte Grobkorridore für die baulichen Aus-/neubaumaßnahmen gesucht – mit dem Ziel eine rechtssichere und abwägungsfreie Vorzugsvariante zu ermitteln, die letztlich Gegenstand der Parlamentarischen Befassung werden.

Bild: Schilder am Lagerbahnhof Bergen. Quelle: Altmann, 2022. 

Eine der als bestandsfern ermittelten Grundvarianten sieht den Neubau eines Streckenverlaufs von Celle über Bergen und weiter nach Norden vor. Während auf einer Dialogveranstaltung am 19. September 2022 in Celle noch keine Pläne der möglichen Streckenverläufe im Bereich von Bergen vorgestellt worden sind, äußerten sich die Planer der Bahn am 30. November 2022 im Rahmen der sogenannten Projektwerkstatt laut Presseberichten hierzu erstmals konkret. Demnach führt die Strecke über die Landstraße 298 – genau dort, wo sich der gepflasterte Knick zur Verladerampe befindet. 

Inzwischen sind detaillierte Pläne zum möglichen Streckenverlauf im Internet abrufbar. Medienberichten zufolge soll die Neubaustrecke nach aktuellem Stand angeblich favorisiert werden. 

Bild: Zufahrt zum Lagerbahnhof Bergen und der Verladerampe heute. Quelle: Altmann, 2022. 

Die Neubaustrecke könnte den denkmalrechtlich geschützten Bereich des Lagerbahnhofs sowie dessen angrenzende Areale unmittelbar betreffen. Hiervon wäre ein außerordentlich sensibler Erinnerungsort in seiner Eigenschaft massiv beeinträchtigt. Grundsätzlich erscheint kaum vorstellbar, dass für einen  historisch derart vorbelasteten Bereich ein so gravierender Eingriff überhaupt ernsthaft erwogen wird. 

Immerhin wäre es völlig absurd, wenn ausgerechnet ein Ort, an dem die Relevanz von Eisenbahninfrastruktur für den Holocaust bis heute offensichtlich wird, seine rechtmäßige Eigenschaft als Mahnmal und Gedenkort in Teilen ausgerechnet wegen neuerer Eisenbahninfrastruktur einbüßen müsste. 

H. Altmann

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Stand: 02/2023




Mittwoch, 1. Februar 2023

Neuerscheinung: Der Fliegerhorst Wesendorf – zwischen Zwangsarbeit und Wunderwaffen


Vorbestellungen möglich (siehe unten) 
Buchvorstellung am 24.03.2023 (siehe unten) 

Es erinnert heute nicht mehr allzu viel daran, dass sich bei Wesendorf bis April 1945 der größte militärische Standort im Landkreis Gifhorn befand. Bei genauem Hinsehen lassen sich bis heute jedoch vereinzelte Spuren feststellen. Ins Auge sticht insbesondere ein gleichmäßig bewachsener Geländestreifen im zentralen Bereich des ehemaligen Rollfeldes an dessen Enden auffällige Bodenunebenheiten angrenzen.

Es handelt sich um die Überreste von Baumaßnahmen, die bis zum Kriegsende unter Hochdruck betrieben wurden und die dazu dienten, den Fliegerhorst um eine betonierte Start- und Landebahn zu erweitern. Hintergrund: der bislang unbefestigte Flugplatz sollte für den Einsatz moderner Düsenflugzeuge – sogenannter „Strahlflugzeuge“ einsatzfähig gemacht werden. Von derartigen Neuentwicklungen und vermeintlichen Wunderwaffen erhoffte man sich eine entscheidende Wendung im längst verlorenen Krieg.


Schuften mussten bei Wesendorf vorwiegend Zwangsarbeiter. Dies war damals nicht unüblich – der Bedarf an personellem Nachschub für die Kriegsfronten hatte den heimischen Arbeitsmarkt durch militärische Einberufungen leergefegt. Der Einsatz von Zwangsarbeitern war alltäglich geworden und dennoch ist für den Ausbau des Fliegerhorstes Wesendorf eine Besonderheit zu bemerken. Zum Einsatz kamen hier hunderte Häftlinge der Zuchthäuser Wolfenbüttel und Celle.

Zum überwiegenden Teil waren es politische Häftlinge, d.h. keine Schwerverbrecher, die im sogenannten „Außenkommando Krümme“ – einem bewachten Barackenlager im Süden des Flugplatzes – unter unmenschlichen Umständen untergebracht waren. Verurteilt für Verbrechen, wie beispielsweise das Hören ausländischer Radiosender, das Lesen „feindlicher“ Propaganda oder geringfügige Diebstahlsdelikte, waren die Häftlinge schwerster körperlicher Arbeit, unzureichender Versorgung und der rohen Behandlung durch die Bewacher ausgesetzt. Etliche überlebten diese Zustände nicht – junge Männer starben mitunter an Körperschwäche und Herzversagen. Systematisch aufgearbeitet wurden diese Zusammenhänge bislang nicht.


Für sein Buch „Der Fliegerhorst Wesendorf – zwischen Zwangsarbeit und Wunderwaffen“ wertete Hendrik Altmann archivalische Bestände und weiteres Quellenmaterial erstmals umfassend aus. Die Recherchen lieferten insbesondere Erkenntnisse darüber, wie die Zusammenarbeit zwischen den Zuchthausverwaltungen in Celle und Wolfenbüttel in Bezug auf die Bereitstellung von Arbeitskräften vonstatten ging. Die unmittelbaren Beziehungen zwischen Rüstungsprojekten und Zwangsarbeit werden am Beispiel des Fliegerhorstes Wesendorf belegt.

Buch vorbestellbar per E-Main an: found-places@live.de





Donnerstag, 10. November 2022

Celle: Luftschutzraum unter der heutigen Stadtbibliothek


Dem Gebäude sieht man seine historischen Verwendungen heute kaum an. Zu diesen zählte während des Zweiten Weltkriegs auch die Unterbringung eines öffentlichen Luftschutzraumes im alten Kellergewölbe. 

In der heutigen Celler Stadtbibliothek befand sich einst Celles einziges Gymnasium .  Zwischen 1840 und 1843 wurde das Gebäude eigens für die Unterbringung des städtischen Gymnasiums an der Westercellertorstraße Nr. 5 errichtet. Diese Institution war darin bis 1916 untergebracht. Später zog die Höhere Landesbauschule (Albrecht-Thaer-Seminar) in das Gebäude ein. 

Als Bauwerk seiner Zeit war das Gebäude vollständig unterkellert. Die Kellerräume wurden als massive Tonnengewölbe aus Backstein errichtet. Die Stützpfeiler weisen an ihren längsten Seiten eine Stärke von ca. 1,5 m auf. Die massive Ausführung des Kellers und die zentrale Lage des öffentlichen Gebäudes trugen dazu bei, dass darin während des Zweiten Weltkrieges ein ziviler Luftschutzraum eingerichtet worden ist. 

In unmittelbarer Nähe existierte in der Union ebenfalls ein öffentlicher Luftschutzraum - dieser wies laut einer Aufstellung vom 17. September 1940 allerdings nur 55 Sitz- und 3 Liegeplätze auf. Um einen weiteren öffentlichen Luftschutzraum in zentraler Lage zu schaffen, wurde daher offenbar der Keller der Höheren Landesbauschule requiriert. Angaben zu der darin unterzubringenden Personenanzahl liegen nicht vor. 

Bild: Treppe zum Keller in der heutigen Stadtbibliothek. Quelle: Altmann: 2022. 

Es liegen auch keine Angaben zu der Ausstattung des öffentlichen Luftschutzraums in der ehemaligen Höheren Landesbauschule vor. Modernere Schutzräume waren damals bereits standardmäßig mit Luftfilteranlagen ausgerüstet. Hinweise für das Vorhandensein einer solchen fehlen in diesem Fall jedoch. 

Überliefert ist dagegen, dass der Luftschutzraum offenbar regelmäßig als solcher verwendet wurde. Ab 1942 erhöhte sich die Zahl der Luftangriffe durch die britische Royal Air Force (RAF) stetig. Im weiteren Kriegsverlauf beteiligte sich die US Air Force (USAAF) aktiv an den Luftangriffen. Im Regelfall flog die RAF nachts - die USAAF griff tagsüber an. Da Celle im Zuge der Angriffe auf Städte im Osten des Reichsgebietes mehrfach überflogen wurde, waren Luftalarme an der Tagesordnung. 

Der öffentliche Luftschutzraum in der Höheren Landesbauschule scheint in dieser Phase des Zweiten Weltkrieges regelmäßig frequentiert worden zu sein. Dies ergibt sich jedenfalls aus Aufzeichnungen, die im Celler Stadtarchiv erhalten geblieben sind. 

In einem Brief an den Celler Oberbürgermeister berichtete ein zuständiger Luftschutzordner, der im öffentlichen Luftschutzraum in der Höheren Landesbauschule seinen Dienst verrichtete, über "zahlreiche Disziplinlosigkeiten von Seiten Wehrmachtsangehöriger." In seinem Brief vom 15. März 1944 führte der Luftschutzordner aus, dass die Missstände im Luftschutzraum vorwiegend dann eingetreten seien, wenn das gegenüberliegende Kino durch Luftalarme geräumt werden musste. Die Kinoveranstaltungen wurden offenbar vielfach durch Wehrmachtsangehörige besucht - im Alarmfall begaben sich diese dann zum nächstgelegenen Luftschutzraum in der Höheren Landesbauschule. 

Bild: ehemaliger Kinosaal an der Magnusstraße. Quelle: Altmann: 2022. 

Die Wehrmachtsangehörigen kämen vielfach mit den Worten in den Luftschutzraum: "Wir wollen mal sehen, ob im Keller was los ist.", berichtete der Luftschutzordner in seinem Brief weiter. Er nahm an, dass die Soldaten Anschluss suchten - seiner Schilderung zufolge verließen sie den Schutzkeller aber bald wieder. Es entwickelte sich ein ständiges unerlaubtes Kommen und Gehen. 

Darüber hinaus brachten die Wehrmachtsangehörigen offenbar größere Mengen Alkohol mit in den Luftschutzraum, rauchten darin und bedrängten die anderen Anwesenden. Es kam darüber hinaus nach Aussage des zuständigen Luftschutzwartes zu vielen weiteren Ausschreitungen, die er allesamt mit der Anwesenheit der Wehrmachtsangehörigen in Verbindung brachte. 

Bild: Blick in den ehemaligen Luftschutzraum unter der Höheren Landesbauschule - heute der Keller der Stadtbibliothek. Quelle: Altmann: 2022. 

Es ist bislang nicht bekannt, ob die Mitteilung des Luftschutzordners an den Oberbürgermeister damals irgendwelche Konsequenzen nach sich trug. In dem schriftlichen Dokument befinden sich Hinweise, dass es auch in anderen Luftschutzanlagen im Stadtgebiet zu ähnlichen Ausschreitungen von Seiten Wehrmachtsangehöriger gekommen sein soll. Bestätigungen von anderer Seite fehlen bisweilen hierfür jedoch. 

Bild: Ausschnitt des Briefes des Luftschutzordners aus dem Luftschutzraum unter der ehem. Höheren Landesbauschule. Quelle: Stadtarchiv Celle, Best Celle, StadtA Best. 5 O, 012.

Dennoch ist der Brief des Luftschutzordners eine wichtige historische Überlieferung - schließlich liegen kaum Belege dazu vor, dass es im Keller der heutigen Stadtbibliothek damals einen öffentlichen Luftschutzraum gegeben hat. Aus dieser Quelle geht jedenfalls eindeutig hervor, dass der Schutzraum existierte und ganz offenbar auch mit gewisser Regelmäßigkeit genutzt worden ist. 

Bild: Blick in den ehemaligen Luftschutzraum unter der Höheren Landesbauschule - heute der Keller der Stadtbibliothek. Quelle: Altmann: 2022. 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben sich die Kellerräume der ehemaligen Höheren Landesbauschule stark verändert. An die einstige Nutzung als öffentlicher Luftschutzraum erinnert im heutigen Keller der Celler Stadtbibliothek so gut wie nichts mehr. Die Wände wurden gestrichen, die Böden wurden teilweise nach einem Eintritt von Hochwasser angehoben und darüber hinaus wurden neue Leitungen und Rohre verlegt. 

Einzig die massiven Wände und Stützpfeiler erlauben aus heutiger Sicht noch Rückschlüsse darauf, dass die alten Kellergewölbe aus damaliger Sicht vermutlich als Schutzräume geeignet erschienen sein mögen. Im Falle eines tatsächlichen Luftangriffs hätte der Luftschutzraum für die Insassen wohl aber kaum ausreichenden Schutz geboten. Soweit es keine zusätzliche Frischluftzufuhr gab, wäre der Luftschutzkeller im Ernstfall schnell zu einer tödlichen Falle geworden. Glücklicherweise ist es vor Ort nie zu einem solchen Ernstfall gekommen. 

H. Altmann


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Stand: 11/2022