f Juli 2021 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Dienstag, 27. Juli 2021

Was wissen wir über die Geschichte der Nordburg?

Sie ist eines der großen Rätsel der regionalhistorischen Forschung im Raum Celle. Bis heute ist weder geklärt, wann sie erbaut wurde – noch, wann sie wieder verschwand. Die Nordburg zählt daher zu den interessantesten geschichtlichen Relikten des Landkreises. Archäologische Ausgrabungen, die weitere Hinweise liefern könnten, stehen bis heute noch aus.

Als sich namenhafte Historiker mit der Historie der Nordburg befassten, waren die schriftlichen Quellen bereits sehr überschaubar. So berichten die tradierten Überlieferungen von Raubrittern, die auf einem benachbarten Galgenberg gehängt worden sein sollen[1] sowie von Einfällen der Slawen in das Bistum Hildesheim, wogegen die Nordburg als nördlichste Grenzfestung Einhalt gebieten sollte.[2] Die lückenhaft überlieferte Historie der Nordburg bot in der Vergangenheit also bereits viel Spielraum für Interpretationen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Auswertung der vorliegenden historischen Quellen mit Blick auf die weitere Erforschung der Nordburg unumgänglich.

Unzweifelhaft geht die erste urkundliche Erwähnung Nordburgs auf das Ereignis zurück, als König Otto IV. im Mai 1202 in Paderborn in Anwesenheit der Bischöfe von Hildesheim und Paderborn, der Äbte von Corvey und Werden sowie einer größeren Anzahl von Grafen, Edlen und Ministerialen die Erbauseinandersetzung seines Vaters, Heinrichs des Löwen, beurkundete.[3] 

In dieser denkwürdigen Aufteilung der väterlichen Besitztümer fiel dem älteren Sohn Heinrich V. unter anderem der Bereich westlich „...Danlo usque Nortburg, a Nortburg usque in Flotwide...“ zu.[4] Sein Bruder – der künftige König – Otto IV. erbte hingegen die östlich von Nordburg – in Richtung Braunschweig – gelegenen Landstriche.[5] Dies spricht zweifelsohne dafür, dass Nordburg bereits zu dieser Zeit ein markanter Ort gewesen sein muss, der sich für eine strategische Grenzziehung anbot.

Bild: Nordburg zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Quelle: NLA HA Kartensammlung Nr. 31 c/21 pg, Kennzeichnung als public domain

Die eindeutige Erwähnung der Burganlage bleiben die historischen Quellen jedoch schuldig. Annahmen, wonach es in Nordburg eine Verteidigungsanlage gab, „(...) einen befestigten Platz, welcher ein Glied gewesen ist in dem von niedersächsischen Fürsten, wahrscheinlich von dem Ludolphinger Heinrich I., Herzog von Sachsen, deutscher König von 919 bis 936 angelegten Verteidigungssystem gegen die Wenden (Anm.: Slawen)“[6] lassen sich somit anhand von historischen Urkunden nicht belegen. Die „landläufige Erklärung (...), dass es die nördlichste Burg des Bistums Hildesheim (oder der Brunonen?) gewesen sei“[7] kann durch schriftliche Belege ebenfalls nicht bestätigt werden. 

Es ist außerdem fraglich, ob diese Erklärung für die Namensgebung Nordburgs überhaupt zutreffen kann, denn die Urkunden des Hochstifts Hildesheim lassen die Nordburg als Verteidigungsanlage vollständig unerwähnt.[8] Dies ist insoweit beachtlich, da andere Orte und Verteidigungsanlagen in der direkten Umgebung, wie beispielsweise die Mundburg sowie einige Dörfer im alten Gau Flutwidde, bereits rund 150 bis 100 Jahre vor Nordburg explizite Erwähnung finden.[9] Dies deutet entweder auf eine Lücke in der historischen Überlieferung oder darauf, dass die Verteidigungsanlage in Nordburg erst in der Zeit unmittelbar vor 1202 entstanden sein könnte. 

Andere Vermutungen legen nahe, dass innerhalb des Burgwalls um 1000 durch den Grafen Bruno VI., dem Erbauer der Altenceller Burg, eine Befestigung angelegt worden ist.[10] Auch diese These wirft mehr Fragen auf, als dass sie hierauf Antworten liefert. Eine abschließende Klärung kann vermutlich nur durch archäologische Ausgrabungen erzielt werden.

Bild: Nordburg zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Lage des Wallbergs ist gut erkennbar. Das rechteckige Symbol bezeichnet den Friedhof sowie die Kapelle. Quelle: Verkoppelungskarte Nordburg, 1860. 

Neben den Fragen zu ihrer Entstehungszeit, ihrem Erbauer und ihrer ursprünglichen Bestimmung ist bis heute ungeklärt, wen die Burg in den Jahrhunderten nach ihrer Errichtung beherbergte. Den Meyerhof von Nordburg hatte der Herzog um 1330 an den Ritter Balduin von Dahlem verpfändet.[11] Nach den Schadensverzeichnissen von 1377 wurden in der Zeit des Lüneburger Erbfolgekrieges in Nordburg Pferde geraubt und, der Meyer gefangen genommen und erst gegen ein Lösegeld von 20 Mark Schatzung wieder freigelassen.[12] Es ist nur eine Vermutung, dass auch die berüchtigten Raubritter und Gutsherren derer von Quitzow aus der Mark Brandenburg ebenfalls auf der Nordburg zugegen waren.[13]

Gewiss ist, dass die Nordburg in den Besitz der Familie von Hodenberg gelangte. Die von Hodenberg, ein altes niedersächsisches Adelsgeschlecht, hatten ihren Ursprung im 12. Jahrhundert in der Grafschaft Hoya an der Weser.[14] Angehörige des Geschlechts hatten bis ins 17. Jahrhundert gehobene Stellungen an verschiedenen adeligen Höfen sowie im Militärdienst inne – unter anderem in Celle.

 Ein Zweig derer von Hodenberg übte bis ins frühe 17. Jahrhundert den Besitz über die Nordburg aus. Der Cellescher Hofmarschall Wilhelm von Hodenberg besaß zu dieser Zeit die Güter Hudemühlen, Schwachhausen und Holm.[15] Ob er es veranlasste Teile der alten Nordburg abtragen und in Schwachhausen erneut aufbauen zu lassen, ist ungewiss.[16] Einen wichtigen Hinweis liefert hierzu das „Extract“ aus dem Lagerbuch des Amtes Eicklingen aus dem Jahr 1666. In Bezug auf Nordburg macht das Lagerbuch die folgende Angabe:

„Zehnten
Kümt an den Junker nach Schwachhausen, Fleischzehnten geben sie nicht. 
N: für 50 Jahren ist dieses Dorf dem Herrn (Anm.: d.h. dem Herzog) absolut gewesen, nach der Zeit aber, daß Schwachhausen gebaut worden, hat sie Wilhelm von Hodenberg an sich gebracht.“ [17]

Bild: Auszug Lagerbuch Eicklingen. Quelle: Archiv Altmann. 

Aus der Angabe des Lagerbuchs des Jahres 1666, ließe sich schlussfolgern, dass der adelige Sitz in Schwachhausen möglicherweise um 1615 erbaut worden ist.[18] Der Ort selber ist durch urkundliche Erwähnungen allerdings bereits seit Ende des 13. Jahrhunderts bestätigt.[19] Die Aussage „daß Schwachhausen gebaut worden“ ist daher vermutlich so zu verstehen, dass die Errichtung der Wasserschlossanlage in Schwachhausen in die Zeit um 1615 eingeordnet werden kann. 

Es wird vermutet, dass Baumaterial der alten Nordburg abgetragen und nach Schwachhausen gebracht worden sein könnte.[20] Dies würde jedenfalls erklären, dass in Nordburg keine oberirdischen Relikte der einstigen Burganlage vorzufinden sind. In der um 1660 erschienenen Topographia der Herzogtümer Braunschweig und Lüneburg zeigt ein Kupferstich des Matthäus Merian die Wasserschlossanlage in Schwachhausen.[21]

Bild: Kupferstich von der Nordansicht der Schwachhäuser Wasserschlossanlage. Kupferstich v. Matthäus Merian, Zeiller, Toporaphia und eigentliche Beschreibung der vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Örter in denen Herzogtümern Braunschweig und Lüneburg (...), S. 221. 

Sofern die Erbauung der prachtvollen Anlage tatsächlich Wilhelm von Hodenberg zuzurechnen ist, hätte dieser selber allerdings kaum noch einen Nutzen daraus gezogen, denn er verstarb bereits im Jahr 1625.[22] Seine Tochter Sophia Ilse von Hodenberg erbte die Güter Schwachhausen und Holm – sie heiratete am 7. September 1634 Friedrich Schenk von Winterstedt, der im Jahr 1629 zum Hofmeister des Prinzen Georg Wilhelm zu Celle und 1633 zum Hauptmann zu Gifhorn ernannt worden war.[23] 

Sophia Ilse von Hodenberg starb bereits dreieinhalb Jahre am 21. April 1638 im Kindbette.[24] Die Güter gingen demzufolge auf Friedrich Schenk von Winterstedt über, der fortan auch das Lehen über die Nordburger Bauern besaß.[25]

Bild: Nordburg heute - der Friedhof auf dem ehemaligen Wallberg. Die ovale Fläche der einstigen Burganlage ist noch deutlich erkennbar. Links unten ist ein Teil des ehemaligen Wallgrabens zu sehen. 

Die Geschichte der Nordburg könnte somit bereits Anfang des 17. Jahrhunderts als beendet eingestuft werden. Die Kapelle scheint jedoch als letztes Element überdauert zu haben. Bereits 1251 wurde ein „Giselbertus sacerdos de Nortborch“ in der Stiftungsurkunde der Bröckeler Pfarrkirche genannt.[26] Das Patronatsrecht erhielt 1303 das Kloster Wienhausen.[27] In der Gründungsurkunde des Priesterkalands von 1471 wurde ein „Hinricus Schulner, plebanus in Nortborch“ erwähnt und somit das Bestehen einer Pfarrkirche in Nordburg belegt.[28] Die Kapelle zu Nortborch wird später im Präbendenverzeichnis von 1543 ausdrücklich erwähnt.[29] Der Standort der Kapelle ist kartografisch unter anderem durch die Kurhannoversche Landesaufnahme von 1781 belegt. 

Die letzte Nachricht der Nortburger Kapelle datiert ins Jahr 1809 aus einem Eintrag ins Totenbuch: „Am 24. Januar 1809 starb zu Nortburg Ehemann Hans Heinrich Wilke im Alter von 75 Jahren. Dieser ist war der erste, welcher, nachdem die Capelle zu Nortburg verfallen war und bei den schlechten Zeitumständen noch nicht wieder ausgebessert werden konnte, nur durch den dortigen Schullehrer Bahrs zu Grabe gesungen und auf diese Weise öffentlich beerdigt wurde.“[30] Später wurde auf dem Standort der ehemaligen Kapelle ein einfacher Glockenturm errichtet, der bis heute dort steht.

Bild: heutiger Glockenturm auf dem Friedhof in Nordburg. Er fußt teilweise auf altem Raseneisenstein, der eventuell bereits in Zeiten der Burganlage hierher gebracht worden sein könnte. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Berichte über die letzten auffindbaren Relikte der Nortburg existierten bereits zur Mitte des 18. Jahrhunderts. In diesen ist von den „Rudera des Schlosses“ die Rede.[31] Die Relikte werden noch im ausgehenden 19. Jahrhundert bezeugt als „grosse Schanze“ bei Nordburg.[32] 

In seinem Schreiben vom 17. Januar 1955 an Prof. Dr. Sprockhoff führte der Oberkreisdirektor, Dr. Axel Bruns, aus, dass sichtbare Reste der alten Anlage nicht mehr vorhanden seien, dass jedoch Mauerresste, Kalk- und Ortstein bei den Ausschachtungen von Gräbern auf dem in der ehemaligen Burganlage befindlichen Friedhof zutage kamen.[33] Bruns regte in seinem Schreiben an, dass Ausgrabungen vorgenommen werden sollten, um eine weitere Zerstörung der Überreste zu verhindern. Hierzu kam es jedoch bis heute nicht.

Bild: Berg des Friedhofs in Nordburg und angrenzende Wallwiese. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Aufgrund weniger schriftlicher Quellen und mangels archäologischer Ausgrabungen sind die historischen Zusammenhänge der Nordburg bis heute noch weitgehend ungeklärt. Insbesondere ist ungewiss wann und von wem die Anlage erbaut wurde, zu welchem Zweck sie diente und welchen Einflüssen sie im Lauf der Geschichte ausgesetzt war. Auch ist bis heute unklar, wann der Abriss erfolgte. Vor diesem Hintergrund wären gezielte archäologische Ausgrabungen notwendig, um weiterführende Erkenntnisse über die Nordburg zu gewinnen.

H. Altmann

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Quellenangaben

[1] Alpers / Barenscheer, Celler Flurnamenbuch, 73.
[2] Wilkens, Die Nordburg, eine alte Grenzfestung, in: CZ – Sachsenspiegel v. 12.04.1952.
[3] von Heinemann, Geschichte von Braunschweig und Hannover, Bd. 1, S. 292.
[4] Grotefend/Fiedler, Urkundenbuch der Stadt Hannover, Erster Teil, Urkunde Nr. 2.
[5] Böttger, Grenzen zwischen den Alloden des Herzogs Heinrich des Löwen bei der Theilung derselben unter seine Söhne, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen, Jg. 1860, S. 71.
[6] Wilkens, Die Nordburg, eine alte Grenzfestung, in: CZ – Sachsenspiegel v. 12.04.1952.
[7] Wilkens, Die Nordburg, eine alte Grenzfestung, in: CZ – Sachsenspiegel v. 12.04.1952.
[8] Janicke, Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, Erster Teil.
[9] Ausführlich: Meier, Die frühmittelalterliche Münzstätte „Mundburg“ des Bistums Hildesheim, in: Deutsche Münzblätter, Jg. 58. Nr. 431, S. 153-162, 181-187, 224-228.
[10] Bühring/Maier, Die Kunstdenkmale des Landkreises Celle, in: Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. 34, S. 271.
[11] Bühring/Maier, Die Kunstdenkmale des Landkreises Celle, in: Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. 34, S. 271.
[12] Bühring/Maier, Die Kunstdenkmale des Landkreises Celle, in: Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. 34, S. 271.
[13] Wilkens, Besondere Begebenheiten und Faktoren in der Geschichte des Dorfes, Kreisarchiv Celle.
[14] Debler, Großes Universal Lexicon, Bd. 13, S. 336.
[15] Debler, Großes Universal Lexicon, Bd. 13, S. 336.
[16] Wilkens, Die Nordburg, eine alte Grenzfestung, in: CZ – Sachsenspiegel v. 12.04.1952.
[17] Extract aus dem Lagerbuch der Amtsvogtei Eicklingen, 1666, NLA Hann. 74 Celle Nr. 50.
[18] Wilkens, Die Nordburg, eine alte Grenzfestung, in: CZ – Sachsenspiegel v. 12.04.1952.
[19] Bühring/Maier, Die Kunstdenkmale des Landkreises Celle, in: Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. 34, S. 283.
[20] Wilkens, Die Nordburg, eine alte Grenzfestung, in: CZ – Sachsenspiegel v. 12.04.1952.
[21] Zeiller, Toporaphia und eigentliche Beschreibung der vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Örter in denen Herzogtümern Braunschweig und Lüneburg (...), S. 221.
[22] Bühring/Maier, Die Kunstdenkmale des Landkreises Celle, in: Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. 34, S. 284.
[23] Clericus, Vierteljahresschrift für Heraldik, Sphragistik und Genealogie, 4. Jg., S. 47.
[24] Clericus, Vierteljahresschrift für Heraldik, Sphragistik und Genealogie, 4. Jg., S. 47.
[25] Extract aus dem Lagerbuch der Amtsvogtei Eicklingen, 1666, NLA Hann. 74 Celle Nr. 50.
[26] Bühring/Maier, Die Kunstdenkmale des Landkreises Celle, in: Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. 34, S. 271.
[27] Klosterarchiv Wienhausen, Urkunde 137 (=Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, Bd. 3, S. 690, Nr. 1440).
[28] Bühring/Maier, Die Kunstdenkmale des Landkreises Celle, in: Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. 34, S. 271.
[29] Bettinghaus, Heimathskunde der Kirchengemeinde Wienhausen, III. Theil, S. 38.
[30] Bettinghaus, Heimathskunde der Kirchengemeinde Wienhausen, III. Theil, S. 38 f.
[31] Grupen, Origines Germaniae oder das älteste Teutchland unter Römer, Franken und Sachsen, S. 266.
[32] Müller, Vor- und Frühgeschichtliche Alterthümer der Provinz Hannover, S. 331.
[33] Schreiben des Oberkreisdirektors an Prof. Dr. Sprockhoff, 17.01.1955, Stadtarchiv Celle.

Montag, 19. Juli 2021

Die Marienburg (Urlaubsbeitrag)


In der Museumsführung wird es besonders betont: seit ihrer Errichtung im 13. Jahrhundert, unter späterer Herrschaft des Deutschordensstaates und auch in späterem Besitz der polnischen Könige wurde die Marienburg nie durch gegnerische Truppen erobert. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Burg jedoch zu rund 60 Prozent zerstört.

Traditionell gibt es im Blog jedes Jahr einen Urlaubsbeitrag zu einem Thema, das so gut wie nichts mit der Heimatforschung im Raum Celle zu tun hat, historisch aber trotzdem interessant ist. In diesem Jahr führte die Reise ins nördliche Polen – eine Gegend, die jede Menge Geschichte bereithält. Es war also nicht ganz einfach aus den vielen spannenden Orten einen besonderen auszuwählen. Die Wahl fiel auf Marienburg (heute: Malbork, Polen).

Bild: Kupferstich, Marienburg, 17. Jahrhundert. 

Die Burg ist schon aufgrund ihrer enormen Ausmaße beindruckend – es handelt sich immerhin um den größten Backsteinbau Europas. Erbaut gegen Ende des 13. Jahrhunderts war die Marienburg zunächst Sitz der Hochmeister des deutschen Ordens und später Residenz der polnischen Könige. Kriegerischen Auseinandersetzungen trotze die Verteidigungsanlage durch das wirkungsvolle Mittel der Abschreckung. Sie verfügte über eine strategisch äußerst günstige Lage am Flusslauf der Nogat. Ausgestattet mit ausreichend Vorräten, Gräben, hohen Mauern und ausgeklügelten Verteidigungsanlagen war die Marienburg für Angreifer im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit vor allem eins: uneinnehmbar.

Dieser Ruf wurde ihr jedoch gleichermaßen zum Verhängnis. Schon ab 1933 wurde die Marienburg, wie auch der Bezug zum Deutschen Orden, durch die Nationalsozialisten für eigene Propagandazwecke instrumentalisiert. Die Pläne für den Ausbau zu einer NS-Ordensburg konnten zwar nicht mehr umgesetzt werden - dennoch gewann die Marienburg bei Kriegsende noch einmal an Bedeutung. 

Längst ging es nicht mehr um die alten Mauern der Burg – im Fokus standen vielmehr der strategische Flussübergang über die Nogat sowie die nahegelegene Flugzeugproduktion der Firma Focke & Wulf – in dem dortigen Werk wurde ein Großteil des Flugzeugtyps FW-190 hergestellt. Diese wurde am 9. Oktober 1943 durch einen schweren Luftangriff der 8. USAAF getroffen. 

Bild: Lagekarte Ost, OKW, 26.01.1945. 

Die Festungsanlagen um Marienburg wurden stetig erweitert – zwischen 1899 und 1903 wurden in einem östlichen Radius von ca. 4 km um die Stadt moderne Befestigungskomplexe errichtet. 

Es handelte sich dabei unter anderem um 10 Infanteriewerke sowie verschiedene Artillerie-Batterien mit 12 cm und 15 cm Geschützen. Diese Anlagen befanden sich in einem Halbkreis östlich von Marienburg und waren größtenteils unterirdisch angelegt. Eine wirkungsvolle Verteidigung der Stadt im Januar 1945 konnten sie dennoch nicht gewährleisten – abermals hatte die Zeit und die Art der Kriegsführung den Stand der Verteidigungstechnik überholt.

Bild: Bunker des Infanteriewerks Nr. 1, südlich Malbork. H. Altmann, 2021. 

Im Sommer 1944 wurde die überdehnte Front der Heeresgruppe Mitte durch den massierten Angriff der Roten Armee im Rahmen der Operation Bagration überrollt. Von 38 eingesetzten Divisionen wurden 28 zerschlagen. Die Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte entfaltete weitaus größere Auswirkungen, als es die Einkesselung der 6. Armee im Winter 1942/43 in Stalingrad. Drei Armeen waren durch die sowjetische Sommeroffensive 1944 aufgerieben worden. Im Zuge mehrfacher Umgliederungen entstand aus den verbliebenen Truppenteilen am 24. Januar 1945 die Heeresgruppe Weichsel, die das weitere Vordringen der Roten Armee allerdings auch nicht mehr aufzuhalten vermochte.

„An Marienburg vorbei stieß (die Rote Armee) mit 60 Panzern und drang über die Nogat“, berichtete das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht vom 24. Januar 1945. In jenen Tagen kam es zur Abtrennung Ostpreußens vom übrigen Reichsgebiet. Aus Furcht vor der herannahenden Roten Armee flüchtete ein Großteil der ostpreußischen Bevölkerung über die schiffbaren Häfen oder über die einzig verbliebene Landverbindung der frischen Nehrung – oftmals unter schwersten Bedingungen des harten Winters. 

Am 27. Januar 1945 drang die Rote Armee in Marienburg ein und stieß weiter nach Norden in Richtung Elbing (heute: Elblag) vor. Am 28. Januar 1945 tobten die Kämpfe um das Schloss in Marienburg. Am 30. Januar 1945 berichtet das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht von einem Ausfall der deutschen Truppen aus der Burg in die angrenzende Stadt. Stetig wird von Ende Januar bis zum 13. Februar 1945 Marienburg von Abwehrkämpfen berichtet. Gehalten werden konnte die Marienburg jedoch nicht – bei ihrem Abzug sprengte Wehrmacht alle Straßen- und Eisenbahnbrücken über die Nogat.

Bild: Ansicht der Marienburg nach Kriegsende 1945. 

Die Marienburg war während der Kampfhandlungen schwerstem Beschuss durch die Rote Armee ausgesetzt. Insbesondere die Ostseite erlitt dabei schwere Schäden. Rund 60 Prozent der historischen Gebäudesubstanz wurden durch zerstört. Restaurierungen nach Kriegsende konnten das ursprüngliche Erscheinungsbild zwar wiederherstellen – Spuren der Geschehnisse sind jedoch bis heute deutlich erkennbar.

Bild: Einschusslöcher an der Außenmauer der Marienburg heute. H. Altmann, 2021. 

Die Marienburg ist ein einmaliges historisches Relikt, das schwerste Zeiten überdauerte. Nach Jahrhunderten der Unversehrtheit war das 20. Jahrhundert die Zeit, in der die historische Burganlage am meisten zu leiden hatte. Doch obgleich der Zweite Weltkrieg große Zerstörungen mit sich brachte, blieb die Marienburg erhalten, wurde abermals neu aufgebaut und vermittelt heute ein authentisches Bild ihrer Zeit.

Bild: Einschusslöcher an der Außenmauer der Marienburg heute. H. Altmann, 2021. 

In einiger Distanz um die Stadt Malbork befinden sich noch heute Relikte der, um 1900 errichteten Infanterie- und Artilleriebunker. Diese Festungsanlagen konnten als starre Verteidigungswerke in der dynamischen Kriegsführung des Zweiten Weltkriegs keine Wirkung entfalten. Aus diesem Grund blieben die Bunker vergleichsweise gut erhalten. Diese interessante Seite berichtet über die Bunkeranlagen ausführlich: kaczorek.easyisp.pl

Insgesamt ist ein Besuch in Malbork ein absolutes Muss bei einer Reise ins nördliche Polen und sollte auf keinen Fall ausgelassen werden. Für eine Besichtigung der historischen Burganlagen solle man allerdings genügend Zeit mitbringen - mindestens 3 bis 4 Stunden sollte man für den Rundgang einplanen.

H. Altmann