f November 2022 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Donnerstag, 10. November 2022

Celle: Luftschutzraum unter der heutigen Stadtbibliothek


Dem Gebäude sieht man seine historischen Verwendungen heute kaum an. Zu diesen zählte während des Zweiten Weltkriegs auch die Unterbringung eines öffentlichen Luftschutzraumes im alten Kellergewölbe. 

In der heutigen Celler Stadtbibliothek befand sich einst Celles einziges Gymnasium .  Zwischen 1840 und 1843 wurde das Gebäude eigens für die Unterbringung des städtischen Gymnasiums an der Westercellertorstraße Nr. 5 errichtet. Diese Institution war darin bis 1916 untergebracht. Später zog die Höhere Landesbauschule (Albrecht-Thaer-Seminar) in das Gebäude ein. 

Als Bauwerk seiner Zeit war das Gebäude vollständig unterkellert. Die Kellerräume wurden als massive Tonnengewölbe aus Backstein errichtet. Die Stützpfeiler weisen an ihren längsten Seiten eine Stärke von ca. 1,5 m auf. Die massive Ausführung des Kellers und die zentrale Lage des öffentlichen Gebäudes trugen dazu bei, dass darin während des Zweiten Weltkrieges ein ziviler Luftschutzraum eingerichtet worden ist. 

In unmittelbarer Nähe existierte in der Union ebenfalls ein öffentlicher Luftschutzraum - dieser wies laut einer Aufstellung vom 17. September 1940 allerdings nur 55 Sitz- und 3 Liegeplätze auf. Um einen weiteren öffentlichen Luftschutzraum in zentraler Lage zu schaffen, wurde daher offenbar der Keller der Höheren Landesbauschule requiriert. Angaben zu der darin unterzubringenden Personenanzahl liegen nicht vor. 

Bild: Treppe zum Keller in der heutigen Stadtbibliothek. Quelle: Altmann: 2022. 

Es liegen auch keine Angaben zu der Ausstattung des öffentlichen Luftschutzraums in der ehemaligen Höheren Landesbauschule vor. Modernere Schutzräume waren damals bereits standardmäßig mit Luftfilteranlagen ausgerüstet. Hinweise für das Vorhandensein einer solchen fehlen in diesem Fall jedoch. 

Überliefert ist dagegen, dass der Luftschutzraum offenbar regelmäßig als solcher verwendet wurde. Ab 1942 erhöhte sich die Zahl der Luftangriffe durch die britische Royal Air Force (RAF) stetig. Im weiteren Kriegsverlauf beteiligte sich die US Air Force (USAAF) aktiv an den Luftangriffen. Im Regelfall flog die RAF nachts - die USAAF griff tagsüber an. Da Celle im Zuge der Angriffe auf Städte im Osten des Reichsgebietes mehrfach überflogen wurde, waren Luftalarme an der Tagesordnung. 

Der öffentliche Luftschutzraum in der Höheren Landesbauschule scheint in dieser Phase des Zweiten Weltkrieges regelmäßig frequentiert worden zu sein. Dies ergibt sich jedenfalls aus Aufzeichnungen, die im Celler Stadtarchiv erhalten geblieben sind. 

In einem Brief an den Celler Oberbürgermeister berichtete ein zuständiger Luftschutzordner, der im öffentlichen Luftschutzraum in der Höheren Landesbauschule seinen Dienst verrichtete, über "zahlreiche Disziplinlosigkeiten von Seiten Wehrmachtsangehöriger." In seinem Brief vom 15. März 1944 führte der Luftschutzordner aus, dass die Missstände im Luftschutzraum vorwiegend dann eingetreten seien, wenn das gegenüberliegende Kino durch Luftalarme geräumt werden musste. Die Kinoveranstaltungen wurden offenbar vielfach durch Wehrmachtsangehörige besucht - im Alarmfall begaben sich diese dann zum nächstgelegenen Luftschutzraum in der Höheren Landesbauschule. 

Bild: ehemaliger Kinosaal an der Magnusstraße. Quelle: Altmann: 2022. 

Die Wehrmachtsangehörigen kämen vielfach mit den Worten in den Luftschutzraum: "Wir wollen mal sehen, ob im Keller was los ist.", berichtete der Luftschutzordner in seinem Brief weiter. Er nahm an, dass die Soldaten Anschluss suchten - seiner Schilderung zufolge verließen sie den Schutzkeller aber bald wieder. Es entwickelte sich ein ständiges unerlaubtes Kommen und Gehen. 

Darüber hinaus brachten die Wehrmachtsangehörigen offenbar größere Mengen Alkohol mit in den Luftschutzraum, rauchten darin und bedrängten die anderen Anwesenden. Es kam darüber hinaus nach Aussage des zuständigen Luftschutzwartes zu vielen weiteren Ausschreitungen, die er allesamt mit der Anwesenheit der Wehrmachtsangehörigen in Verbindung brachte. 

Bild: Blick in den ehemaligen Luftschutzraum unter der Höheren Landesbauschule - heute der Keller der Stadtbibliothek. Quelle: Altmann: 2022. 

Es ist bislang nicht bekannt, ob die Mitteilung des Luftschutzordners an den Oberbürgermeister damals irgendwelche Konsequenzen nach sich trug. In dem schriftlichen Dokument befinden sich Hinweise, dass es auch in anderen Luftschutzanlagen im Stadtgebiet zu ähnlichen Ausschreitungen von Seiten Wehrmachtsangehöriger gekommen sein soll. Bestätigungen von anderer Seite fehlen bisweilen hierfür jedoch. 

Bild: Ausschnitt des Briefes des Luftschutzordners aus dem Luftschutzraum unter der ehem. Höheren Landesbauschule. Quelle: Stadtarchiv Celle, Best Celle, StadtA Best. 5 O, 012.

Dennoch ist der Brief des Luftschutzordners eine wichtige historische Überlieferung - schließlich liegen kaum Belege dazu vor, dass es im Keller der heutigen Stadtbibliothek damals einen öffentlichen Luftschutzraum gegeben hat. Aus dieser Quelle geht jedenfalls eindeutig hervor, dass der Schutzraum existierte und ganz offenbar auch mit gewisser Regelmäßigkeit genutzt worden ist. 

Bild: Blick in den ehemaligen Luftschutzraum unter der Höheren Landesbauschule - heute der Keller der Stadtbibliothek. Quelle: Altmann: 2022. 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben sich die Kellerräume der ehemaligen Höheren Landesbauschule stark verändert. An die einstige Nutzung als öffentlicher Luftschutzraum erinnert im heutigen Keller der Celler Stadtbibliothek so gut wie nichts mehr. Die Wände wurden gestrichen, die Böden wurden teilweise nach einem Eintritt von Hochwasser angehoben und darüber hinaus wurden neue Leitungen und Rohre verlegt. 

Einzig die massiven Wände und Stützpfeiler erlauben aus heutiger Sicht noch Rückschlüsse darauf, dass die alten Kellergewölbe aus damaliger Sicht vermutlich als Schutzräume geeignet erschienen sein mögen. Im Falle eines tatsächlichen Luftangriffs hätte der Luftschutzraum für die Insassen wohl aber kaum ausreichenden Schutz geboten. Soweit es keine zusätzliche Frischluftzufuhr gab, wäre der Luftschutzkeller im Ernstfall schnell zu einer tödlichen Falle geworden. Glücklicherweise ist es vor Ort nie zu einem solchen Ernstfall gekommen. 

H. Altmann


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Stand: 11/2022