f Dezember 2017 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Die Kapelle auf der Blumlage



Kürzlich erreichte mich über Facebook die Frage, ob es in der "Blumlage" - an der heutigen Jänickestraße früher mal einen Friedhof gegeben habe. Um die Antwort vorwegzunehmen - ja einen Friedhof hat es gegeben. Allerdings kamen im Zuge der Recherchen interessante Zusammenhänge ans Licht. insbesondere konnte festgestellt werden, dass früher "Blumlage" nicht gleich "Blumlage" war... 


Die Celler Blumlage ist heute ein markanter Straßenzug, der sich zwischen dem Maschplatz und der Straße Sankt Georg Garten erstreckt und schließlich in die Braunschweiger Heerstraße übergeht. An der Ecke Blumlage-Jänickestraße (früher: Vereinsstraße) befindet sich heute die Blumläger-Schule (Grundschule). Auf Karten des 20. Jahrhunderts war an Ort und Stelle bereits die Volksschule I verzeichnet. 

Die Karten zeigen einen schmalen Friedhof neben dem Schulgelände, der an die Blumlage angrenzte und einige hundert Meter parallel zur heutigen Jänickestraße verlief. 

Bild: Friedhof an der Blumlage. Quelle: preußisches Messtischblatt, 1899. 


Heute deutet auf den ersten Blick nichts mehr auf die Existenz des alten Friedhofs hin. Dort wo dieser einst in historischen Karten verzeichnet war, stehen mittlerweile moderne Schulgebäude der Blumläger-Schule. 

Bild: Blumläger-Schule heute. Quelle: H. Altmann, 2017. 


Es stellt sich die Frage um was für einen Friedhof es sich gehandelt haben könnte. Blickt man hierbei etwas weiter in der Geschichte der Blumlage zurück, können wiederum historische Karten dabei helfen, sich die örtlichen Gegebenheiten von damals zu vergegenwärtigen. 

Johann Friedrich Borchmann (1694 - 1772), der als Baumeister in Celle wirkte, veröffentlichte im Jahr 1757 eine Beschreibung der Stadt und ihren Vorstädten. Insbesondere legte er die bauliche Situation Celles dar und gab die wichtigsten Gebäude mit ihrem jeweiligen Standort an. In seiner Beschreibung ist auch der Friedhof an der Blumenlage verzeichnet. Darüber hinaus sind angrenzende Gebäude zu erkennen. 

Besonders kurios: inmitten des Straßenverlaufs der Blumlage ist in alten Karten ein Sakralbau eingezeichnet.  

Bild: Kapelle und Friedhof in der Blumlage um 1757. Quelle: Borchmann, 1757. 


Auch der Celler Rektor Johann Heinrich Steffens hatte die Blumlage mitsamt Kapelle und Friedhof in seinem bereits 1747 erschienenen "Plan der Stadt Zelle nebst ihren Vorstädten und zunächst umliegenden Gegenden" verzeichnet. 

Die Blumlage wird in den Karten des 17. Jahrhunderts dabei stets vor der Stadtbefestigung dargestellt. Sie war einst ein langer, schlauchartiger Straßenzug, von dem sich im Bereich des heutigen Maschplatzes die Straße "Masch" abzweigte. 

Bild: Celle und die Vorstadt "Blumlage" um 1757. Quelle: J.H.F. Steffens, 1747. 


Damit dürfte hinreichend belegt sein, dass es in der Blumlage einen Friedhof und auch eine zugehörige Kapelle gegeben hat. Spannend wird es jedoch in Bezug auf die Frage um welche Kapelle es sich genau handelte. Zur Annäherung an diese Frage ist es erforderlich die Entstehung der Blumlage näher zu betrachten. 

Zwischen der ersten Erwähnung der Blumlage und der Zeit in der die o.g. Karten entstanden liegen maßgebliche Entwicklungen der Stadt Celle. Bereits der Celler Stadtchronist Clemens Cassel stellte Ernüchternd fest, dass nicht alle Zusammenhänge um die Blumlage geklärt wären (Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Bd. 1, S. 108). 

Die Schwierigkeit die Historie der Blumlage richtig einzuordnen könnte darin begründet sein, dass es gewichtige Anzeichen dafür gibt, dass sich die heutige Blumlage erst später entwickelte und der ursprüngliche Ort "Blomelaghe" näher bei der heutigen Innenstadt Celles befunden haben könnte. Cassel sieht die Begründung für eine Verlagerung der Blumlage insbesondere in der Gertrudenkapelle, die sich einst im Bereich des ursprünglichen Ortes "Blomelaghe" befunden haben soll. 

Bild: Cassel forschte u.a. zum Ursprung der Blumlage. Quelle: C. Cassel, Geschichte der Stadt Celle, 1930


Nun läge der Schluss, dass es sich bei der Gertrudenkapelle in "Blomelaghe" um die spätere Kapelle auf der Blumlage handelt, etwas zu nahe. Hier ist es notwendig einen Blick in die ältesten Urkunden zu werfen, die uns in diesem Zusammenhang vorliegen. 

Erstmal erwähnt wird die "Blumenlage" in einer Urkunde vom 23.06.1308 - also nur 16 Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt "Neu-Celle", durch Herzog Otto den Strengen vom 25.05.1292. Die Blumenlage war dieser urkundlichen Erwähnung nach zwar zur Pfarrkirche nach Celle eingepfarrt - gehörte jedoch nicht zur Stadt und war nicht von deren Schutz(-befestigung ?) umfasst (Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Bd. 1, S. 37). 

Cassel ging davon aus, dass der ursprüngliche Ort "de olde Blomelaghe" - also die alte und ursprüngliche Blumlage - sich einst unmittelbar südlich vom heutigen Celle befand und dass die Bergstraße - ursprünglich "Blomenstrate" - und auch der Große Plan damals zum Ort Blumlage gehörten. 

Die Mauernstraße liefert ebenfalls ein Indiz für diese Theorie. Sie verläuft oberhalb des alten Ortes "Blomelaghe" und markiert den Verlauf der ursprünglichen Stadtmauer, die bis Anfang des 16. Jahrhunderts die Stadt nach Süden absicherte. Diese Mauer bestand allerdings nur aus gebrannten Ziegeln und war somit in Zeiten moderner Belagerungswaffen - insbesondere Kanonen - nicht mehr auf dem Stand der Technik. Unter Herzog Ernst dem Bekenner (1497 - 1546) wurden schließlich die Stadtbefestigungen ausgebaut und die alte Stadtmauer gegen eine massive Umwallung ausgetauscht. Im Zuge dieser Maßnahme musste der alte Ort "Blomelaghe" weichen. 

Bild: die alte Blumlage ("de olde Blomelaghe"). Quelle: H. Altmann


Noch ein weiteres Indiz spricht für die Lage der ursprünglichen Blumlage im Bereich des Großen Plans, wie bereits Cassel schlüssig anhand von historischen Urkunden darlegen konnte. 

Herzog Friedrich der Fromme (1418 - 1478) war für seinen Hang zum Glauben bekannt. Er gründete unter anderem im Jahr 1452 das Franziskanerkloster am Heiligen Kreuz - die Straße trägt heute noch diesen Namen. Ebenso war es Herzog Friedrich, der am 22.07.1464 eine Kapelle "up der Blomenlage" stiftete und diese mit dem Namen "Gertruden-Kapelle" versah. Die Urkunde vom Gründungstag beschreibt recht detailliert mit welchen Rechten und Pflichten die Kirche und der jeweilige Kirchherr ausgestattet war. Auch erwähnt die Urkunde den Standort dieser alten Kapelle auf der Blumlage recht genau. 

Zur Gertruden-Kapelle sollten zwei Heiligensteine gehören, an denen Opfergaben und Spenden abgelegt werden konnten. Damals waren diese Gaben für den Unterhalt der Gotteshäuser und ihr Wirken durchaus von Bedeutung. Die genannte Urkunde beschreibt nun, wo sich diese Heiligensteine genau befunden haben. 

Der eine Stein stand "alß man gayth uth der Stad na dem Blomenlagen Stoven" - also dort wo man aus der Stadt zu den Blumlagen Stuben geht. Bei diesen Stuben handelte es sich um die Badestube auf der Blumlage, die sich erwiesenermaßen am Kleinen Plan bei der Hausstelle Nr. 3 befand (Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Bd. 1, S. 107). 

Der zweite Stein befand sich "twischen dem Steindore und dem Blomleger Dore, dar me uth  ryt na Brunswigk" - also zwischen dem Steintor und dem Blumläger Tor, dort wo man ausreist nach Braunschweig. Das Steintor (bis 1376 hieß es Mutekentor) befand sich einst in etwa zwischen dem Heiligen Kreuz Nr. 17 und der Mauernstraße 33 (Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Bd. 1, S. 58). Es war allerdings so schmal, dass es für den Wagenverkehr ungeeignet war. Das Blumläger Tor (später: Braunschweiger Tor) stand im Schnittpunkt der Post-, Mauern- und Rundestraße. Bei späteren Kanalisationsarbeiten wurden massive Findlingsblöcke des Tores an dieser Stelle aufgefunden. 

Bild: Am Heiligen Kreuz - Blick in Richtung Kleiner Plan. Hier wäre man früher zum Steintor gelangt. Quelle: H. Altmann


Die Stellen der Heiligensteine, die zur Gertruden-Kapelle auf der alten "Blomelaghe" gehörten, zählten somit zu den Hauptverkehrspunkten in südliche Richtung und waren vermutlich eine gute Einnahmequelle. Cassel wies anhand von Aufzeichnungen aus dem Jahr 1520 nach, dass in unmittelbarer Nähe der Gertruden-Kapelle das Haus Großer Plan Nr. 13 gestanden hat (Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Bd. 1, S. 108). Er schloss hieraus, dass sich die Kapelle daher am Großen Plan auf dessen Westseite befunden haben muss. 

Doch die Tage der Kapelle und der alten Blumlage waren gezählt. Es waren wohl nicht zuletzt die Ereignisse der Hildesheimer Stiftfehde von 1519, die Herzog Ernst dazu antrieben die Befestigung der Stadt Celle voranzutreiben. Der Ausbau der Stadtwehren verschlang immense Summen der Stadtkasse und führte zur Eingliederung der alten Blumlage in die Stadt Celle. Als neue Blumlage entstand vor den neuen Stadttoren eine entsprechende Siedlung in der Form wie wir sie noch heute als Blumlage kennen. 

Die Karte des Rektors Johann Heinrich Steffens aus dem Jahr 1747 zeigt die Umwallung der Stadt sowie die Lage der neuen Blumlage. Im Bereich der alten Blumlage hatte sich bereits die Stadtbebauung etabliert. verwendet man die karte als Overall in Google Earth lässt sich die Entwicklung in Kontrast zum heutigen Stand verdeutlichen. 

Bild: Celle und die Vorstadt "Blumlage" um 1757 vs. heutiger Entwicklungsstand. Quelle: Google Earth; J.H.F. Steffens, 1747. 


Damit wird allerdings auch eines deutlich - die Kapelle auf der heutigen Blumlage kann nicht mit der Kapelle auf der alten Blumlage übereinstimmen. Denn erst durch den Ausbau der Befestigungen entstand eine neue Vorstadt, die wir heute als Blumlage bezeichnen. Die alte Blumlage jedoch muss eine gewachsene Siedlung gewesen sein - sonst hätte sie keine eigene Kapelle erhalten, die sich nach Cassel eindeutig im Bereich des heutigen Großen Plans befunden haben muss. 

Vor diesem Hintergrund wurde zumindest geklärt, dass die Gertruden-Kapelle offenbar für einen Standort auf der neuen Blumlage ausscheidet. Die Kapelle, die neben dem ehemaligen Friedhof im Bereich der heutigen Blumläger-Schule stand, muss also eine andere gewesen sein. 

Hier können möglicherweise die Ausführungen von Ernst Peter Johann Spangenberg (1784 - 1833) hilfreich sein, die er im Jahr 1828 in seiner "Historisch topografisch-statistischen Beschreibung der Stadt Celle im Königreich Hannover" niederschrieb. Spangenberg war zwar selber nicht abschließend gewiss darüber wann genau die Celler Vorstädte entstanden sind. Wohl aber datierte er die Blumlage zur ältesten Vorstadt Celles (Spangenberg, Beschreibung der Stadt Celle, S. 38)

Spangenberg konstatierte, dass die Kirche Sankt Georg, die bis heute auf der Blumlage vorhanden ist, wahrscheinlich aus der alten Kapelle "Zum Heiligen Geist" hervorgegangen ist, die bereits seit 1392 auf der Blumlage gestanden hat. Allerdings verfügte die Kirche Sankt Georg zunächst nicht über eigene Glocken - diese hingen vielmehr in einem Bretterverschlag neben der in der Mitte der Blumlage befindlichen Kapelle (Spangenberg, Beschreibung der Stadt Celle, S. 271). Die Kapelle sei nun zur Parochialschule aptirt - also umfunktioniert worden, führt Spangenberg weiter aus. 

Bild: Sankt Georgs Kirche in der Blumläger Vorstadt. Quelle: Ausschnitt aus "Der fürstliche Sitz Celle", kolorierter Kupferstich, C. Buno, 1750. 


Offenbar kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Verwechselungen der Kirchen und Kapellen. Aber durch den Hinweis Spangenbergs, dass die Kapelle später als Parochialschule bzw. Volksschule diente, wird deutlich, dass es tatsächlich zwei Kapellen gegeben haben muss. Aus einer entstand später die Kirche Sankt Georg dort wo sie heute noch steht. 

Bei der anderen Kapelle handelte es sich um die gesuchte. Im Jahr 1661 erhielt die junge Blumläger Kirchgemeinde durch Herzog Christian Ludwig (25.02.1622 - 15.03.1665) ihr Geläut. Da es an einem Glockenturm fehlte und die Kirche Sankt Georg noch ein ganzes Stück weiter stadtauswärts lag, wurden die beiden Glocken in einem einfachen Glockenstuhl am Kirchhof untergebracht, der sich mitten in der Gemeinde Blumlage befand. Bereits wenig später - im Jahr 1678 - wurde schließlich auch ein richtiger Glockenturm erbaut. Dieser befand sich jedoch nicht auf dem Friedhof, sondern etwas abseits mitten auf der Hauptstraße. Hier wurde dann im Jahr 1683 eine Kapelle für Leichenpredigten errichtet die sich im Eigentum der politischen Gemeinde befand (Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Bd. 1, S. 441)

Der Friedhof an dem sich diese Leichenkapelle befand war also bereits vor der Errichtung der Kirchengemeinde auf der Blumlage vorhanden. Er diente lange Zeit zur Bestattung der Toten aus der Blumlage, der Masch und aus dem Kreise (heutiger Straßenname). 

Im Jahr 1849 wurde der Friedhof von der politischen Gemeinde an die Kirche abgetreten. Er bestand noch bis ins 21. Jahrhundert - allerdings wurde er schon 1885 geschlossen, d.h. diente nicht mehr für neue Bestattungen. 

Bis ins Jahr 1749 diente die Kapelle für Leichenpredigten. Dann allerdings veranlasste eine schwere Ruhrepidemie die Abschaffung der Predigten - es war schlicht zu aufwändig geworden für jeden Toten eine Predigt zu halten. Im Jahr 1772 wurde die Kapelle dann zunächst als Spritzenhaus genutzt bevor sie schließlich 1777 in den Besitz der Kirche überging. Zwischen 1808 bis 1839 und von 1876 bis 1888 wurde die Kapelle als Schulzimmer genutzt. Allerdings war sie im Laufe der Jahre baufällig geworden - der Turm mit den Glocken war bereits im Jahr 1868 aus Sicherheitsgründen abgebaut worden. Am 27.06.1892 brannte die einstige Kapelle schließlich ab und wurde nicht wieder neu aufgebaut. 

Bis auf dem von L. Holle gedruckten und im Jahr 1855 verlegten "Plan von der Stadt Celle" ist die Kapelle noch in der Kartenlegende aufgeführt. Spätere Kartenwerke verzichteten auf den Hinweis auf das einstige Gotteshaus ganz. Noch auf einer 1925 erschienen Karte des Celler Tiefbauamts ist der Friedhof verzeichnet - die Kapelle aber längst nicht mehr. 

Bild: alter Friedhof an der Blumlage. Quelle: Karte Tiefbauamt Celle, 1925. 


Heute sind die Spuren der einstigen Kapelle und des Friedhofs längst aus dem Stadtbild verschwunden. Es scheint schwer vorstellbar, dass die Blumlage einst nicht im Bereich des heutigen Straßenzugs lag, sondern ein eigenständiges Dorf war. Diese Zusammenhänge werden allerdings an anderer Stelle aufgearbeiteten untersucht. 

Zumindest konnte in diesem Rahmen die Geschichte des einstigen Friedhofs und der ihm zugehörigen Kapelle aufgeklärt werden. 

Bild: alter Friedhof an der Blumlage. Quelle: H. Altmann, 2017. 


An der Geschichte des alten Friedhofs auf der Blumlage wird deutlich, wie eng die historischen Zusammenhänge bei der Entwicklung der Stadt Celle miteinander verbunden sind. Ursprünglich existierte nur das alte Dorf "Blomelaghe" - das vielleicht sogar schon vor der Neugründung der Stadt vorhanden war. 

Allerdings erforderte der Ausbau der Stadtverteidigung eine Verlegung der Blumlage. So entwickelte sich vor den Toren Celles die Blumlage als Vorstadt. Von diesen Zeiten ist heute allerdings nicht mehr viel  zu erkennen, denn längst ist die Blumlage Teil des Celler Stadtgebiets geworden. 

H. Altmann


p.S.: vielen Dank an die freundlichen Mitarbeiter des Celler Stadtarchivs, die noch kurz vor den Feuertagen mit wichtigen Informationen weiterhelfen konnten!