f September 2020 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Freitag, 18. September 2020

Der Kalisalzschacht Habighorst


Nur wenige Überreste erinnern noch an die Zeit des Kalibergbaus im Landkreis Celle. Die ehemaligen Schacht-, Förder- und Verarbeitungsanlagen sind fast überall zurückgebaut worden. Weithin sichtbar ist heute nur noch die Abraumhalde des ehemaligen Schachtes „Niedersachsen“ bei Wathlingen. Die historisch ebenfalls interessanten Relikte des Kalibergbaus bei Habighorst erhalten dagegen deutlich weniger Aufmerksamkeit.

Verschwunden sind die Schacht- und Fördergebäude, die einst nördlich der Straße zwischen Höfer und Habighorst – im Bereich der heutigen Habighorster Höhe – anzutreffen waren. Verborgen unter Baumwipfeln und bedeckt mit dichtem Strauchwerk lassen sich die Reste der alten Abraumhalde nur noch erahnen. Die wechselvolle Geschichte des ehemaligen Kalischachtes ist in Vergessenheit geraten – nachfolgend ein kurzer Blick in die Vergangenheit. 

Die Entdeckung der Salzvorkommen bei Höfer und Habighorst darf der geschichtlichen Überlieferung zugeschrieben werden: alte Erzählungen rankten sich um auffällige Vertiefungen in der örtlichen Umgebung. Natürliche Erdfälle – namentlich die sogenannte Krieger- sowie die Zwerchkuhle – deuteten Anfang des 20. Jahrhunderts bereits auf einen größeren Salzstock in den Gemarkungen hin.[1] Durch obertägige Beobachtungen, Wünschelrutenbegehungen und Probebohrungen verdichteten sich die Hinweise. Die hieraus resultierenden Entwicklungen sollten das Landschaftsbild in den folgenden jahren nachhaltig verändern. 

Bild: Lage des Kalischachtes Habighorst. Quelle: AMS; 3227 ESCHEDE GSGS 4414; 4th ed 1954. 

Am 4. Mai 1905 wurde die gothaische Gewerkschaft Fallersleben zu Thal mit dem Verwaltungssitz in Celle gegründet.[2] Der hannoversche Kaufmann Friedrich C. Krüger war Repräsentant der Gewerkschaft. Gleichwohl war er ebenfalls Repräsentant der, knapp ein Jahr später gegründeten Gewerkschaft Mariaglück, deren Gerechtsame in unmittelbarer Nachbarschaft, in der Gemarkung Höfer lag. Eine enge Verbindung beider Bergwerksunternehmen bestand daher von Beginn an – diese sollte sich in den Folgejahren noch festigen. 

Bild: Lage des Kalischachtes heute. Luftbild, H. Altmann, 2017. 

Im August 1909 erfolge eine Bohrung im Bereich der heutigen Habighorster Höhe, die in ca. 127m Teufe auf Steinsalz, in 511,70m Teufe auf das erste Kalilager und in 868,45m auf das zweite Kalilager stieß.[3] Nach den ersten Bohrungen vergingen eineinhalb weitere Jahre, in denen entsprechende Kontrollbohrungen den Fund der untertätigen Lagerstätten bestätigten. In der Zwischenzeit erfolgte die Gründung der „Bergbaugesellschaft Fallersleben mbH“ als Trägergesellschaft. 

Mit der Nachbargewerkschaft „Mariaglück“ verständigte man sich darauf, nach Abteufen der Schächte, untertägige Verbindungsstrecken zu schaffen. Durch den zweiten Ein- bzw. Ausgang wurden die Schächte jeweils sicherer – außerdem konnte auf diese Weise die untertägige Bewetterung, d.h. die Belüftung, verbessert werden. 

Bild: Postkarte des Schachtes Fallersleben-Habighorst, 1912. Sammlung H. Altmann. 

Ende 1909 hatte die Bergbaugesellschaft Fallersleben mbH die benötigten Grundstücke erworben, auf denen schließlich die übertägigen Schachtanlagen errichtet wurden. Bei der Anlage des Schachtes selber wurde auf das sogenannte Tiefkälteverfahren zurückgegriffen wodurch ein Eindringen von Grundwasser vermieden werden sollte. Bei dem Verfahren werden in regelmäßigen Abständen zum eigentlichen Schachtloch Gefrierlöcher gebohrt in die geschlossene Rohre eingesetzt werden, durch die während des Bohrens tiefgekühlte Flüssigkeit geleitet wird, sodass der Boden ringsum gefriert.[4] 

Die Bautätigkeiten verzögerten sich jedoch – erst Ende Januar 1912 konnte mit dem eigentlichen Abteufen des Schachtes begonnen werden.[5] Ende 1913 war die vorgesehene Endteufe von 650 m erreicht. Der Bau der übertägigen Anlagen war im Jahr 1914 schließlich abgeschlossen. Im Jahr 1916 hatte die Schachtanlage Habighorst eine bescheidene Förderung von Kali- und Steinsalz aufgenommen.[6] Der Abtransport geschah über einen Gleisanschluss der Kleinbahn, der vom Schachtgelände Mariaglück bei Höfer verlängert wurde. Die Energiezufuhr erfolgte ebenfalls von Mariaglück aus – hierhin wiederum war eine Stromleitung von der Allerzentrale bei Oldau verlegt worden. 

Bild: Relikte / Fundamente der übertägigen Schachtanlagen. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Gesellschaftliche Umstrukturierungen und die Eingliederung in den Aschersleben-Konzern führten schließlich dazu, dass die Aktienmehrheiten an den Bergwerksgesellschaften Habighorst und Mariaglück im Juni 1917 in einer Hand vereinigt wurden.[7] Dieser Umstand bedeutete allerdings auch den Niedergang des Schachtes Habighorst, da es nicht profitabel erschien, vor Ort weiterhin zwei Schächte parallel zu betreiben. 

Hinzu kam, dass in Gebieten, die nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund des Versailler Vertrages abgetreten werden mussten, ebenfalls Kalischächte in Betrieb waren, deren Fördermengen in der Nachkriegszeit ausgeweitet wurden. Die Monopolstellung der deutschen Kaliindustrie geriet daraufhin ins Wanken. Im Ergebnis kam es zu einem Überangebot auf dem Weltmarkt – Kaliunternehmen im Deutschen Reich waren also bestrebt, die Förderung aus weniger profitablen Schächte einzustellen. 

Nach der Stilllegungsverordnung des Jahres 1921 wurde das Kaliwerk Habighorst planmäßig bis zum Jahr 1953 stillgelegt.[8] Fortan diente der Schacht nur noch als einziehender Wetterschacht für den weiterhin in Betrieb stehenden Kalischacht Mariaglück. 

Bild: Relikte / Fundamente der übertägigen Schachtanlagen. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde es ruhig um den Schacht Habighorst. Erst als die deutsche Rüstungswirtschaft und Infrastruktur immer massiver von alliierten Luftangriffen in Bedrängnis gerieten, kam stillgelegten Bergwerken die gesteigerte Aufmerksamkeit des Rüstungsministeriums zu. Im März 1944 fand in diesem Zusammenhang eine Untersuchung der Schächte bei Höfer und Habighorst statt.[9] Tatsächlich wurden beide Anlagen begutachtet, allerdings wurde nur der Schacht Habighorst für eine Rüstungsproduktion weiter ausgebaut. 

In untertägigen Kavernen auf der 710m Sohle sollte die Leipziger Maschinenfabrik und Schriftgießerei „Schelter & Giesecke“ als Zulieferungsbetrieb der Focke-Wulf Flugzeugbau GmbH einziehen.[10] Das Leipziger Unternehmen sollte unter anderem Federbeine für Flugzeuge des Typs FW-190 herstellen, deren Endmontage anderenorts erfolgen konnte. Das streng geheime Rüstungsprojekt firmierte unter dem Decknamen „Löwe“ und sah sich bereits in seiner Anfangsphase vielfältigen Problemen ausgesetzt. 

Bild: Relikte / Fundamente der übertägigen Schachtanlagen. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Die größte Schwierigkeit bestand im Frühjahr 1944 darin, dass die ursprünglich auf dem Schacht Habighorst installierte Fördermaschine bereits längst zurückgebaut worden war – die Seilfahrt in den Schacht war aus diesem Grund zunächst nur über den Schacht Mariaglück möglich. Von den Bemühungen, im letzten Kriegsjahr eine neue Fördermaschine zu organisieren und diese vor Ort in Betrieb zu nehmen, berichten auch die Schriftwechsel des Bergamtes Celle mit dem Oberbergamt Clausthal zum „Stand der Verlagerungsaktion“. So hatte die Leipziger Maschinenfabrik im Juni 1944 offenbar schon zahlreiche Produktionsmaschinen angeliefert. 

Eine Fördermaschine, die nötig war um die Produktionsmaschinen in die unterirdischen Werkshallen – in 710m Tiefe – zu befördern, befand sich aber noch gar nicht an Ort und Stelle, sondern wurde währenddessen noch beim Kaliwerk Krügershall bei Teutschenthal (Sachsen-Anhalt) demontiert.[11] Erst im Februar 1945 – gut zwei Monate vor Kriegsende – war die neue Fördermaschine halbwegs einsatzbereit auf dem Schacht Habighorst montiert.[12]

Bild: Seitenansicht des neuen Förderturms nach Kriegsende. Quelle: Sammlung H. Altmann, 2020. 

Ein anderes Problem zeigte sich bei der Bewetterung der unterirdischen Fertigungsräume. Alleine für die Firma Schelter & Giesecke wurde mit einer schichtweisen Belegschaft von 300 – 500 Personen kalkuliert. In einer Tiefe von 710m lag die durchschnittliche Gebirgstemperatur bei 28°C. Um einen laufenden Regelbetrieb zu gewährleisten, war eine zusätzliche Frischluftzufuhr zwingend erforderlich.[13] Diese sollte durch große Schraubenlüfter hergestellt werden – allerdings führten Lieferengpässe dazu, dass diese Lüfter bis Ende 1944 nicht wie geplant installiert werden konnten.[14] 

Da neben der Firma Schelter & Giesecke noch weitere Unternehmen, wie beispielsweise die Opel AG[15], für die Verlagerung in den Schacht Habighorst vorgesehen waren, wäre eine entsprechende Belüftung allerdings unabdingbar gewesen. Durch die Opel AG hätten Fahrwerke für die Messerschmidt Me-262 – das erste in Serie gefertigte Strahlflugzeug – im Schacht Habighorst hergestellt werden sollen.[16] Auf dieses ehrgeizige Unterfangen weist ein Schreiben vom 6. März 1945 hin. 

Bild: Relikte / Fundamente der übertägigen Schachtanlagen. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Zu einer Realisierung der untertägigen Rüstungsproduktion bei Habighorst kam es jedoch nicht mehr. Obgleich ober- und untertägig erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, verblieben die Einrichtungen bei Kriegsende überwiegend in unfertigem Zustand. Noch heute befinden sich im Bereich der Habighorster Höhe einige alte Bunker bzw. deren Überreste aus dieser Epoche des Kalischachtes. 

Unabhängig vom geheimen Rüstungsprojekt „Löwe“ erfolgte noch die Einlagerung wichtiger Bibliotheks-, Archiv- und weiterer Kulturgutbestände in den Schacht Mariaglück, um diese vor den Einwirkungen durch Luftangriffe zu schützen.[17] Nach Kriegsende wurden die Schächte und Anlagen durch Einheiten der Alliierten inspiziert – die noch vorhandenen Produktionsanlagen- und Werkzeugmaschinen wurden größtenteils demontiert und abtransportiert. 

Bild: Relikte / Abraumhalde. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Der Schacht Habighorst wurde fortan nur noch als Bewetterungsschacht für Mariaglück verwendet – die übertägigen Schachtgebäude lagen brach. Konkret handelte sich dabei um eine Wohnbaracke, eine Mühle, die Schachthalle, eine Werkstatt, das Fördermaschinenhaus, ein Wohnhaus und einen kleinen Stall.[18] Die Gebäude befanden sich in einem derart desolaten Zustand, dass sich die Samtgemeindeverwaltung Eschede in einem Schreiben an das Bergamt Celle 1986 schließlich hierüber beklagte.[19] 

Bild: Relikte / Abraumhalde. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Die Kali und Salz GmbH (später K+S AG) veranlasste in der Folge den Komplettabbruch der Schachtanlagen auf der Habighorster Höhe. Bis Anfang 1995 wurden die meisten Gebäude vollständig abgerissen. Nur die alte Seilscheibe, die einst hoch oben auf dem Förderturm gethront hatte, wurde als Denkmal in den Eingangsbereich des Schachtgeländes Mariaglück nach Höfer gebracht, wo sie noch heute an die Geschichte des Kalibergbaus vor Ort erinnert. 

Bild: Eingangsbereich des ehem. Schachtgeländes Mariaglück - links die alte Seilscheibe des Schachtes Habighorst. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Am 8. Juli 1977 rollte der letzte Förderwagen aus dem Schacht Mariaglück, der daraufhin ebenfalls stillgelegt wurde. Ab 2001 wurden die übertägigen Werksanlagen vollständig zurückgebaut. In einem letzten Schritt wurden die Bergwerke mit Lauge aus anderen Bergwerksstandorten sowie Wasser aus der Aschau geflutet. Ab 2016 erfolgte die Verfüllung des Schachtes Habighorst – ein Jahr später begann die Verfüllung des Schachtes Mariaglück. Die Arbeiten wurden bis Ende 2018 abgeschlossen und die Schachteingänge mit massiven Betondeckeln verschlossen. 

Bild: Betondeckel des Schachtes Habighorst. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Vor Ort ist kaum noch etwas vom einstigen Betrieb der Schachtanlage Habighorst zu erkennen. Mit geübtem Blick lassen sich jedoch noch einige Relikte jener Tage aufspüren. Betonfundamente, ehemalige Gleisverläufe und alte Bunker zeugen von der wechselvollen Geschichte der ehemaligen Kalibergwerke. 

Inzwischen erinnert der neu aufgewertete Eingangsbereich zum ehemaligen Schachtgelände Mariaglück an die historischen Hintergründe. Die Tatsache, dass es auf der Habighorster Höhe ebenfalls einen Kalischacht gegeben hat, ist allerdings wohl nur noch Ortskundigen bekannt. 

H. Altmann


[1] Wittmann, Höfer – Beiträge zur Geschichte eines Dorfes, S. 286 ff.

[2] Slotta, Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, S. 339.

[3] Ebd.

[4] Buja, Ingenieurhandbuch Bergbautechnik: Lagerstätten und Gewinnungstechnik, S. 245.

[5] Slotta, Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, S. 340.

[6] Wittmann, Höfer – Beiträge zur Geschichte eines Dorfes, S. 287.

[7] Slotta, Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, S. 341.

[8] Schreiben des Preußischen Oberbergamtes an den Minister für Handel und Gewerbe vom 14.02.1925, Bundesarchiv, R 3101/31227.

[9] Kriegstagebuch des Rüstungskommandos Lüneburg, Bundesarchiv, RW 21-42/6.

[10] Altmann, Die Luftmunitionsanstalt 4/XI und die Untertageverlagerung Löwe, S. 135.

[11] Schreiben des Bergamtes Celle an das Oberbergamt Clausthal zum Stand der Verlagerungsaktion vom 30.06.1944, BaCl Hann. 184, Acc. 9 Nr. 3750.

[12] Schreiben des Bergamtes Celle an das Oberbergamt Clausthal zum Stand der Verlagerungsaktion vom 27.02.1945, BaCl Hann. 184, Acc. 9 Nr. 3750.

[13] Bericht über den Stand der Bewetterungsmaßnahmen Mariaglück/Habighorst, Bundesarchiv, R 3101/31227.

[14] Altmann, Die Luftmunitionsanstalt 4/XI und die Untertageverlagerung Löwe, S. 141.

[15] Schreiben des Bergamtes Celle an das Oberbergamt Clausthal zum Stand der Verlagerungsaktion vom 23.01.1944, BaCl Hann. 184, Acc. 9 Nr. 3750.

[16] Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an das Oberbergamt Clausthal vom 06.03.1945, BaCl Hann. 184, Acc. 9 Nr. 3025.

[17] Altmann, Die Luftmunitionsanstalt 4/XI und die Untertageverlagerung Löwe, S. 177.

[18] Slotta, Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, S. 342.

[19] Hoppe/Seebo, Spuren des Salzes in einer Landgemeinde, S. 60. 


Dienstag, 1. September 2020

Schieß- und Sprengplatz Tiefental

Das Tiefental südlich von Hermannsburg ist heute ein beliebtes Ausflugsziel. Die ausgedehnten Heideflächen fügen sich romantisch in die sanfte Hügellandschaft. Auf den ersten Blick ist daher leicht zu übersehen, dass sich an diesem Ort bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein Schießplatz der Luftwaffe – und nach Kriegsende ein Sprengplatz der britischen Streitkräfte befand. 

Der Parkplatz „Eicksberg“ ist ein gerne angesteuerter Ausgangspunkt für Wandertouren über die Heideflächen des mittleren Lüßplateaus. Diese gehen fast nahtlos in die Misselhorner Heide über und bieten somit einen schönen Rundkurs durch die traditionell anmutende Heidelandschaft. Die Senke des Tiefentals entstand im Ausgang der letzten Eiszeit – sie diente bereits dem Missionsgründer und Hermannsburger Pastor Ludwig Harms um 1860 als Ort für Predigten. 

In der näheren Umgebung des Tiefentals finden sich noch zahlreiche weitere, auffallend symmetrische Bodensenken, deren Ursprung deutlich jüngeren Datums ist. Was in kaum einem Wanderführer zu lesen ist: als das Tiefental touristisch noch nicht erschlossen war, diente das Areal zeitweise zu militärischen Zwecken. 


Bild: Übersichtskarte Tiefental. Grün: Stellungsgraben. Gelb: Sprengtrichter. Blau: Parkplatz "Eicksberg". Grau: Scheibenanlage des Schießplatzes. Quelle: Google Earth, Eintragungen: H. Altmann.

Zunächst wurde das Tiefental als Schießplatz der Luftwaffe genutzt. Die Umgebung bestand vor ihrer Aufforstung mit den, heute ausgewachsenen, Kiefernbeständen in den Dreißigerjahren noch aus weiten Heideflächen. Diese eigneten sich bestens für militärische Flugmanöver – insbesondere die Übung von Angriffen im Tiefflug. Der Fliegerhorst Faßberg besaß zwar ein direkt benachbartes Areal zu Übungszwecken – einen weiteren Anflug konnte man im Bereich des Tiefentals üben. Das auffällige Tal war vermutlich auch deswegen ausgewählt worden, weil sich die Piloten im Anflug gut daran orientieren konnten.

Für die Übung der Angriffe im Tiefflug verfügte der Platz am Tiefental über eine spezielle Scheibenanlage, die es ermöglichte das Übungsziel auf einer ca. 190m langen Bahn zu verschieben. Es konnte somit ein Angriff auf bewegliche Ziele trainiert werden. Die Bahn verlief in Nord-Süd-Richtung und ist noch heute im Gelände erkennbar. 


Bild: aufgeschütteter Damm der ehemaligen Scheibenanlage im Gelände. Quelle: H. Altmann.

Die aus westlicher Richtung anfliegenden Flugzeuge konnten die, auf der Bahn beweglichen Ziele mit Bordmaschinengewehren beschießen, wobei ein Steil abfallender Hang im Tiefental als Kugelfang diente. Ein großer, in den weißen Heidesand gepflügter, Pfeil markierte diesen Hang – auf historischen Luftbildern ist er gut erkennbar und auch aus dem heutigen Landschaftsbild ist diese Markierung noch nicht völlig verschwunden. 


Bild: Luftbild Tiefental - Sicht im einstigen Anflug auf die Scheibenanlage und den Kugelfang. Quelle: H. Altmann.

Der gesamte Bereich des Schießplatzes war mit einem Brandschutzstreifen umgeben. Am nördlichen und am südlichen Ende der Scheibenanlage befanden sich kleinere, verbunkerte Gebäude in denen die Technik der Anlage untergebracht war. Diese Bunker dienten vermutlich auch der Bedienungsmannschaft der Scheibenanlage als Deckung. Weiter westlich befand sich eine kleinere Grabenanlage, die möglicherweise zu Beobachtungszwecken gedient haben könnte.

Bild: Relikte der alten Scheibenanlage. Quelle: H. Altmann. 


Heute erinnert nicht mehr viel an den alten Schießplatz der Luftwaffe. Lediglich ein aufgeschütteter Damm auf der Heidefläche südlich des Parkplatzes „Eicksberg“ sowie einige Betontrümmer deuten noch auf die Scheibenanlage hin. Der Kugelfang ist inzwischen wieder fast vollständig mit Heidekraut überwuchert. Nur noch ein Teil der alten Zielmarkierung weist auf die Stelle hin, die einst beim Tiefflug beschossen worden ist.

Bild: Luftbild Tiefental - Sicht auf den Kugelfang. Noch erkennbar: die einstige Zielmarkierung in Form eines Pfeiles. Quelle: H. Altmann. 

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fiel der ehemalige Schießplatz unter britisches Kommando. In der Umgebung gab es zahlreiche Rüstungs- und Militäreinrichtungen, die über erhebliche Bestände an Munition, Granaten, Bomben sowie deren Bestandteile verfügten. Diese galt es unschädlich zu machen, wobei die erforderlichen Maßnahmen an einigen Standorten zunächst lokal durchgeführt wurden –so insbesondere im Bereich der ehemaligen Luftmunitionsanstalt 4/XI bei Höfer. 

Es zeigte sich aber bald, dass sich manche Standorte nicht zur Munitionsvernichtung eigneten – alleine schon wegen ihrer Nähe zu bewohnten Gebieten. Um größere Mengen Munition zu vernichten bedurfte es abgelegener Standorte, die aber trotzdem über eine gewisse Infrastruktur verfügten. Als einer dieser Standorte wurde das ehemalige Marinesperrzeugamt Starkshorn ausgewählt. Das Marinesperrzeugamt bestand aus etlichen Bunkern und wurde in den ersten Jahren nach Kriegsende als Sammelstelle für Munitions- und Sprengstoffbestände aus der gesamten Region genutzt. 

Bild: Sprengtrichter im westlichen Teil. Quelle: H. Altmann. 

Die britischen Streitkräfte betrieben nach Kriegsende die „Demolition Area Starkshorn“. Wöchentliche Anlieferungen von mehreren hundert Tonnen an Munition, Sprengstoffen und deren Bestandteilen waren keine Seltenheit. Die straffe Terminierung des alliierten Kontrollrates führte zu einem hohen Zeitdruck im Demilitarisierungsprozess. Vor diesem Hintergrund konnten die Unmengen der zu vernichtenden Munition nicht nachhaltig verwertet werden. Stattdessen wurden riesige Massen an Munition einfach gesprengt, verbrannt oder schlichtweg vergraben. 

Bild: Sprengtrichter im westlichen Teil. Quelle: H. Altmann. 

Das ehemalige Marinesperrzeugamt erschien bei Beginn der Aktion als sehr geeignet. Im weiteren Verlauf stieß die Einrichtung jedoch an ihre Kapazitätsgrenzen. Vermutlich war auch die Nähe der benachbarten Fernbahnlinie zwischen Hannover und Hamburg einer der Gründe dafür, dass Kontingente besonders großer Kaliber nicht im Marinesperrzeugamt vernichtet worden sind. Stattdessen verbrachte man diese Munition in das rund sieben Kilometer entfernte Tiefental. Dieses Areal lag weit entfernt von Siedlungen und zivilen Infrastruktureinrichtungen. 

Bild: Sprengtrichter im Bereich des Tiefentals - Blick in Richtung Norden. Quelle: H. Altmann. 

Zeitzeugen berichteten nach Kriegsende von Munitionsfunden und den Auswirkungen der Sprengungen. Bis nach Lutterloh sollen diese spürbar gewesen sein, berichtete Bauer Fritz aus Lutterloh am 01.04.1955 im Gespräch mit der Heimatforscherin Hanna Fueß. Noch Jahre nach den Sprengungen fanden spielende Jugendliche desöfteren Munitionsreste und stellten damit abenteuerliche Versuche an. 

Bild: Sprengtrichter und Trümmer im westlichen Teil. Quelle: H. Altmann. 

Rund 70 große Sprengtrichter sind noch heute im Bereich des Tiefentals erkennbar. Einige davon wurden damals offenbar mehrfach für die Munitionsvernichtung verwendet. Die Trichter verlaufen halbkreisförmig um die alte Scheibenanlage des Schießplatzes. Während die Sprengkrater in der offenen Heidelandschaft bereits stark verlandet sind, blieben jene im bewaldeten Gelände vergleichsweise recht gut erhalten. 


Bild: Sprengtrichter im westlichen Teil. Quelle: H. Altmann. 

Das Tiefental hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Die Zeiten des ehemaligen Schieß- und Sprengplatzes gehören zwar längst der Vergangenheit an. Allerdings haben sie bis heute Spuren im Gelände hinterlassen, die sich bei genauem Hinsehen heute noch erkennen lassen. 

H. Altmann