f August 2020 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Donnerstag, 6. August 2020

Die Karpathen Öl AG bei Garßen


Vermögenswerte in Millionenhöhe erreichten im Sommer 1944 per Bahntransport den Ort Garßen bei Celle. Es handelte sich um Ausrüstung und Betriebsmaterial eines Unternehmens, dessen Geschichte heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. 

Während die Karpathen Öl AG in der lokalen Geschichtsüberlieferung überhaupt keinen Niederschlag findet, sind auch die archivalischen Quellen zu diesem, seinerzeit unter anderem in Celle ansässigen, Großunternehmen, äußerst mager. Möglicherweise ist dies den Wirren der letzten Kriegstage geschuldet – vielleicht aber auch dem Umstand, dass die Karpathen Öl AG ursprünglich weiter entfernt, im besetzten Polen, tätig war. Um die Zusammenhänge bei Kriegsende zu verstehen, ist es notwendig einen Blick in die Unternehmensgeschichte der Gesellschaft zu werfen. 

Die Gründung der Karpathen Öl AG erfolgte am 28. August 1942 und markierte einen Wendepunkt der deutschen Ölpolitik im polnischen Galizien. Am Eigenkapital der Gesellschaft beteiligten sich namenhafte deutsche Unternehmen: die DEA, die Deutsche Gasolin AG, die Gewerkschaft Elwerath, die Kohle Oel Union von Busse KG, die Continentale Oel AG, die Preußische Bergwerks- und Hütten AG und die Wintershall AG. In Spitzenzeiten waren bei der Karpathen Öl AG fast 33.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, die Bohrfelder und Verarbeitungsbetriebe erstreckten sich über knapp 400 Kilometer in West- sowie Ostgalizien und die Raffineriekapazitäten des Unternehmens reichten aus, um jährlich mehr als 600.000 Tonnen Rohöl zu verarbeiten. Dafür, dass deutsche Unternehmen derart ihre Interessen im Ausland verfolgen konnten, war nicht zuletzt der Expansionspolitik der nationalsozialistischen Führung geschuldet. 

Es ist anzunehmen, dass zur Mitte der Dreißigerjahre sowohl das Deutsche Reich, als auch Russland erhebliches Interesse an den polnischen Ölfeldern in Galizien hatten. Zunächst hatte Reichsaußenminister Ribbentrop versucht, auch für die ostgalizischen Ölgebiete im Rahmen des deutsch-sowjetischen-Nichtangriffspaktes („Molotow-Ribbentrop-Pakt“) den deutschen Einfluss zu sichern. Dies Misslang, sodass diese Gebiete zunächst, nach Einmarsch der Wehrmacht am 1. September 1939, durch sowjetische Truppen besetzt wurden. 

Der ungünstige Kriegsverlauf – insbesondere das Scheitern der Offensive im Kaukasus – und die Steigerung alliierter Luftangriffe auf Förderstätten, Raffinerien und chemische Anlagen im Reichsgebiet, führten Anfang 1943 zu einer Ausweitung der galizischen Ölproduktion. Dies wurde nicht zuletzt durch den massiven Einsatz von Zwangsarbeitern bewerkstelligt, die ohnehin bereits im Rahmen der Produktion tätig waren. Ab Mitte 1943 regte sich hinsichtlich dieser Zwangsmaßnahmen in der Bevölkerung Widerstand und Anfang 1944 kam es sogar zu Angriffen ukrainischer Nationalisten auf einzelne Betriebsstandorte der Karpathen Öl AG. 

Dauernde Luftangriffe führten Mitte August 1944 dazu, dass die Karpathen Öl AG einen Antrag an den Celler Oberbürgermeister stellte, damit sie ihr Berliner Büro in den Stadtkreis Celle verlegen durfte. Man habe sich für Celle entschieden, weil „die Interessen unseres Unternehmens eng mit denen der hannoverschen grossen deutschen Erdölfirmen durch ihre Gesellschafter verknüpft“ seien. Nicht zuletzt die günstige verkehrs- und nachrichtenmäßige Anbindung ließen die Wahl auf Celle fallen. In Celle befand sich zudem die Deutsche Bohrmeisterschule, deren Vorstandsvorsitzender, Karl Große, ebenfalls Generaldirektor der Karpathen Öl AG war. Zur Unterbringung ihres Büros hatte die Firma bereits einen Mietvertrag mit der Harry Trüller AG für den Trüller Musterladen im Südwall in Celle geschlossen. 

Bild: Schriftwechsel der Karpathen Öl AG mit der Stadt Celle. Quelle: Stadtarchiv Celle, Best. 05 O, Nr. 0051. 

Mit dem Näherrücken der Roten Armee geriet die Karpathen Öl AG unter Zugzwang ihre Betriebsstätten aufzugeben und zumindest das Material weiter in westliche Richtung zu verlagern. Ende März wurde die Hauptverwaltung des Unternehmens in Lemberg (Polen) geräumt. Obwohl die Eroberung Ostgaliziens durch die Rote Armee mehrere Monate dauerte, gingen die dortigen Betriebsstätten schlussendlich verloren. Ab August 1944 vollzog sich der geordnete Rückzug der Karpathen Öl AG aus Galizien. Insgesamt 1.664 Waggonladungen mit Ausrüstungen und Betriebsmaterialien konnten evakuiert werden und gelangten in Ausweichlager nach Brandenburg, Niedersachsen und Hessen. Der Gesamtwert der ausgelagerten Materialien wurde auf rund 21,8 Millionen Reichsmark geschätzt. 

Das Celler Ausweichlager der Karpathen Öl AG befand sich, außerhalb des Stadtgebietes, bei Garßen. Es lag ungefähr im Bereich der heutigen Oderstraße – früher verfügte dieser Bereich über einen Bahnanschluss, der zur Kleinbahn führte. Auf historischen Karten ist das Gleis noch verzeichnet. 

Bild: Standort des Ausweichlagers der Karpathen Öl AG bei Garßen. Quelle: GSGS 1:25.000, AMS, 3rd Ed. 1951. 

Bei Kriegsende verfügte die Karpathen Öl AG noch über immense Werte in Form von Anlagen und Vorräten in den einzelnen Ausweichlagern. Diese wurden jedoch in den Tagen nach Kriegsende teilweise geplündert – in Garßen offenbar durch ukrainische Arbeiter, die zuvor bei der Gesellschaft beschäftigt waren. In Aufstellungen, die nach Kriegsende erstellt worden sind, wird die Karpathen Öl AG in Garßen als eines der Unternehmen im Stadtkreis Celle genannt, das Zwangsarbeiter beschäftigte. 

Im Rahmen der Verwertung von militärischen und gewerblichen Anlagen wurde die Karpathen Öl AG in einem Schreiben des Regierungspräsidenten an den Celler Landrat vom 25. August 1945 genannt. Laut Schreiben handelte es sich bei den vorhandenen Anlagen um Hallen und Baracken. Im späteren Verlauf beschlagnahmte die britische Militärverwaltung die noch vorhandenen Werte größtenteils. In den Sechzigerjahren führten ehemals bei der Karpathen Öl AG beschäftigte Zwangsarbeiter Entschädigungsprozesse gegen die einst beteiligten Gesellschaften. Im Regelfall blieben diese erfolglos. Das Landeskriminalamt Bremen wertete im November 1965 Listen aus, die bei der Celler Niederlassung der Karpathen Öl AG gefunden worden waren. 

Bild: Auszug aus: Aufstellung gewerblicher Betriebe. Quelle: Kreis-Archiv Celle, L 133b

Luftaufnahmen der Sechzigerjahre zeigen den Bereich des einstigen Ausweichlagers bereits mit neuer Bebauung. Lediglich der Verlauf der ehemaligen Bahntrasse ist noch gut zu erkennen. Bei genauem Hinsehen erkennt man außerdem eine alte Baracke, die sich seinerzeit noch an Ort und Stelle befand. 

Bild: Luftbild, 60er Jahre, Lage des ehem. Ausweichlagers bei Garßen. Quelle: Befliegung, NLD, 1965. 

Die letzte verbliebende Baracke der Karpathen Öl AG wurde schließlich 2017 auf Initiative des Erdölmuseums Wietze in Garßen abgebaut. Im Juni 2017 berichtete die Cellesche Zeitung, dass die abgebaute Baracke in Kooperation mit der Böhmetalbahn im Wietzer Erdölmuseum wieder aufgebaut werden soll. 

Bild: Abbau der letzten verbliebenen Baracke. Quelle: Erdölmuseum Wietze 

In Garßen erinnert heute nichts mehr an die Zeit in der ein Großunternehmen kurzzeitig Millionenwerte dorthin verbrachte. Längst sind die Flächen des ehemaligen Ausweichlagers neu bebaut worden. Der Gleisanschluss wurde inzwischen zurückgebaut. In den Celler Archiven finden sich bis heute nur wenige Hinweise auf diese Zusammenhänge. 

Bild: Lage des ehem. Ausweichlagers bei Garßen heute. Quelle: H. Altmann, 2018. 

Möglicherweise fiel die Entscheidung, enorme Vermögenswerte nach Celle zu verlagern, aufgrund der verkehrsgünstigen Lage und der Tatsache, dass die Karpathen Öl AG bereits seit August 1943 ein Büro in Celle unterhielt. 

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich der historische Hintergrund der Karpathen Öl AG im Raum Celle äußerst leider nur sehr lückenhaft nachvollziehen lässt. Dies scheint einerseits darin begründet, dass die Gesellschaft erst in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges nach Celle (Garßen) verlagerte. Darüber hinaus wurden die Vermögenswerte der Karparthen Öl AG offenbar beschlagnahmt und befanden sich einige Monate nach Kriegsende nicht mehr im Zugriff der lokalen Behörden - dies könnte die Aktenknappheit möglicherweise erklären. 

H. Altmann 

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Quellen: 

Karlsch, Ein vergessenes Großunternehmen. Die Geschichte der Karpaten Öl AG, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. 

Stadtarchiv Celle

Kreisarchiv Celle



Montag, 3. August 2020

Abwehrstellung auf dem Horstberg bei Diesten (?)


Obwohl sie vergleichsweise noch nicht allzu lange zurückliegen, weisen die Ereignisse der letzten Kriegstage bis heute noch viele ungeklärte Zusammenhänge auf. Ungereimtheiten stellen sich häufig bereits ein, wenn es um die Frage nach den letzten Kampfhandlungen geht. Ein Beispiel findet sich im nördlichen Teil des Landkreises - auf dem Horstberg bei Diesten. 

Der Horstberg, westlich der Straße zwischen Huxal und Diesten gelegen, sticht deutlich aus der Umgebung hervor. Die Anhöhe mit ihren ca. 78 m üNN weist nicht umsonst einen trigonometrischen Punkt aus - sie diente aufgrund ihrer Höhe einst zur Landesvermessung. Allerdings scheint der Höhenzug noch weitere historische Überraschungen parat zu halten. Eine Auswertung aktueller Geodaten lieferte kürzlich interessante Ergebnisse - in regelmäßigen Abständen finden sich auf dem Horstberg Vertiefungen, wobei es sich um angelegte Stellungen handeln könnte. 

Im Rahmen von Ortsbegehungen scheint sich diese Vermutung zu bestätigen. Größe und Zustand der vermeintlichen Stellungen sprechen dafür, dass es sich um Relikte der letzten Kriegstage handeln könnte. Es sind einfache Deckungslöcher, die sicherlich ohne längere Vorbereitungszeit angelegt worden sind.

Bild: Stellungsloch auf dem Horstberg bei Diesten. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Fünf größere und weitere, etwas kleinere Stellungen befinden sich verteilt über den Horstberg. Im Nordosten lassen sich darüber hinaus eine ganze Reihe kleiner, trichterförmiger Vertiefungen beobachten - diese könnten möglicherweise von einem alten Sprengplatz stammen. Die großen Stellungslöcher wurden bereits größtenteils wieder von der Natur zurück "erobert" 

Bild: Stellungsloch auf dem Horstberg bei Diesten. Quelle: H. Altmann, 2020. 

Soweit zu den Beobachtungen, die im Bereich des Horstberges gemacht werden konnten - wie sieht es mit dem historischen Hintergrund aus? Passen die vermeitlichen Stellungen überhaupt in das geschichtliche Gesamtbild der letzten Kriegstage vor Ort? 

In den letzten Kriegstagen befand sich die 15. schottische Division im Vormarsch auf Celle - die Stadt wurde am 12. April 1945 erreicht und ohne größere Kampfhandlungen besetzt. Vor ihrem Abrücken hatten sich die deutschen Truppen, die sich im Wesentlichen aus Wehrmachtsverbänden und Einheiten der Nebeltruppenschule zusammensetzten, strategische Flussübergänge gesprengt. Dies verschaffte zwar ein wenig Vorsprung vor den herannahenden britischen Truppen, konnte diese jedoch nicht aufhalten. Um die britischen Einheiten zu verlangsamen, wurden entlang der großen Vormarschrouten entsprechende Verteidigungspositionen besetzt - so u.a. an der Örtzebrücke bei Wolthausen und entlang der Reichsstraße in Richtung Weyhausen. 

Über Eversen kommend, schoben sich Einheiten des 2nd Fife and Forfar Yeomanry auf Hermannsburg vor. Diese britischen Einheiten waren unter anderem ausgestattet mit Panzern des Typs "Cruiser Tank A34 Comet" - einem relativ schnellen Kampfpanzer. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich südwestlich von Hermannsburg offenbar zwei Kompanien, die aus Angehörigen Soldaten der Panzertruppenschule Retsag (Budapest, Ungarn) gebildet worden war. Aufgrund der herannahenden Roten Armee hatte man sie ursprünglich aus Ungarn nach Bergen verlegt und in die dortige Panzertruppenschule eingegliedert. 

Die ungarischen Soldaten aus Retsag wurden der Kampfgruppe "Grosan" unterstellt und kamen in den letzten Kriegstagen zwischen Soltau und Faßberg zum Einsatz. Unter anderem verteidigten die Ungarn Beckedorf bei Hermannsburg, rund 3,5 km nördlich von Diesten. Sechs Gebäude wurden beim Schusswechsel mit britischen Einheiten in Brand geschossen. Die ungarischen Soldaten wichen daraufhin in Richtung Bonstorf aus. 

Kampfhandlungen am 15. April 1945. Quelle: U. Saft, Krieg in der Heimat, S. 225. 

Tatsächlich scheint es, dass sich die Stellungen auf dem Horstberg bei Diesten in den historischen Zusammenhang der letzten Kriegstage einordnen lassen. Aus militärischer Sicht ließ sich die heutige L 240 im Bereich zwischen Diesten und Huxal ausgezeichnet von der Anhöhe des Horstberges überwachen. Auch die direkt parallel zur Straße verlaufende Bahnstrecke hätte man von der Position des Horstberges aus gut im Blick gehabt. 

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich die vermeintlichen Stellungen ausschließlich auf der südlichen Seite des Horstberges befinden - eben in jener aus der im April 1945 die britischen Truppen herannahten. 

Horstberg bei Diesten. Quelle: GSGS, AMS M841, 4rd Ed. 1955. 

Vieles spricht somit dafür, dass es sich bei den Vertiefungen auf dem Horstberg bei Diesten tatsächlich um Stellungslöcher aus den letzten Kriegstagen handelt. Äußerst interessant wäre es, ob sich für diesen Ablauf noch weitere Belege finden lassen. 

H. Altmann

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Quellen: 

U. Saft, Die letzten Kriegstage