Im Wald zwischen Sandlingen und Wienhausen erkennt man noch heute ein
altes Flussbett. Der Flurname „Laake“[1]
lässt nicht unmittelbar darauf schließen, dass es sich bei diesem Flusslauf um
die alte Oker[2]
handelt, die sich einst zwischen Wienhausen und Bockelskamp mit der Aller
vereinigte. Bekanntermaßen mündet die Oker heute bei Müden in die Aller.
Schon vor 1650 muss dieser künstliche Flussabschnitt zwischen Meinersen
und Müden hergestellt worden sein.[3]
Karten, der im Jahr 1519 ausgebrochenen Hildesheimer Stiftsfehde belegen den
von Menschenhand geschaffenen Flussverlauf nördlich von Meinersen.[4]
Nach der Verlegung des fließenden Stroms verlandete die alte Oker mit dem Lauf
der Jahre. Historische Karten belegen den als Altarm erkennbaren Fluss noch bis
ins Jahr 1771.[5] Vor
dem Hintergrund des Handelsverkehrs, der zwischen den Hansestädten Braunschweig
und Bremen stattfand, könnte die Oker eine wichtige Rolle eingenommen haben.[6]
Im Schrifttum ist jedoch umstritten, wie bedeutend die Schifffahrt tatsächlich war.[7]
Nicht nur in Bezug auf den Handel war die alte Oker (möglicherweise)
relevant.[8]
Auch hinsichtlich bedeutsamer Ortsbeschreibungen[9]
war der Fluss maßgeblich – insbesondere für die Frage nach dem Standort der frühmittelalterlichen
Mundburg.[10] Insgesamt
erscheint sogar ein Zusammenhang zwischen der Entstehung der heutigen Stadt
Celle und dem Niedergang der Schifffahrt auf der Oker bzw. Aller naheliegend.
Quelle: Altes Flussbett im Wald zwischen Sandlingen und Wienhausen. Quelle: H. Altmann.
Bereits Steffens bringt die
Entstehung Celles in Zusammenhang mit der Schifffahrt auf der Aller.[11]
Seine Überlegungen stützen bis heute die Vermutung, dass die Stadt Celle ihren
Ursprung in einem mittelalterlichen Hafen hat.[12]
Die Hintergründe wurden intensiv untersucht.[13]
Zuletzt wurden im Jahr 2014 im Bereich Altencelles archäologische
Untersuchungen vorgenommen, die im Ergebnis historische Hafenanlagen nachweisen
konnten.[14]
Die Oker-Schifffahrt ist quellenmäßig schlaglichtartig überliefert.[15]
Dabei stellt Meibeyer zutreffend
fest, dass ein Ausbau der unteren Oker erst im späten Mittelalter erfolgt sein
kann.[16]
Es finden sich ab dem Jahr 1367 quellenmäßige Nachweise zur Nutzung der Oker für
die Schifffahrt.[17] Die wenigen
schriftlichen Belege der Oker-Schifffahrt geben jedoch nur unzureichend
Rückschluss auf den geografischen Flussverlauf. Insofern kann zumindest
angenommen werden, dass die Oker bis 1371 derart verlandet war, dass der Celler
Herzog Magnus sich dafür einsetzte, das Okerbett ausräumen zu lassen, damit der
Fluss wieder mit Schiffen in Richtung Celle befahrbar wurde.[18]
Meibeyer verneint
allerdings, dass der Fluss schon im Hochmittelalter als wichtige Wasserstraße
ausgebaut wurde.[19] Dieser
Umstand kann hier aber vernachlässigt werden, da sich die wirtschaftspolitische
Relevanz der Flussverbindung erst im Rahmen der hansischen Rivalitäten zwischen
Magdeburg und Lüneburg gegen Braunschweig um 1439 deutlich zeigte.[20]
Spätestens zum Anfang des 15. Jahrhunderts wurde der Oker zwischen Meinersen
und Müden ihr heutiger Lauf gegeben.[21]
Der ursprüngliche Verlauf der Oker blieb somit bis ins späte Mittelalter
erhalten.
Quelle: Altes Flussbett im Wald zwischen Sandlingen und Wienhausen. Quelle: H. Altmann.
Interessanter für Celle und die Orte im Flotwedel ist jedoch die Frage,
welchem Verlauf die Oker vorher gefolgt ist. Unter anderem ist die Standortbeschreibung
der Mundburg („am Zusammenfluss von Aller und Oker“) der Biografie des
Hildesheimer Bischofs Bernward zu entnehmen und war bereits Gegenstand eines
vorangegangenen Beitrags.[22]
Insofern sprechen die Quellen dafür, dass die besagte Mundburg nicht bei Müden,
sondern bei Wienhausen zu suchen ist.[23]
Wie bereits Cassel zutreffend
herausstellte, war für die Entwicklung der Stadt Celle die Anbindung an die
Aller / Oker maßgeblich.[24]
Ausgehend von ihrer ersten Gründung in Altencelle[25]
verlagerte sich die Stadt Celle weiter flussabwärts.[26]
Hierbei spielten wirtschaftspolitische Interessen in Verbindung mit wichtigen
Handelswegen eine maßgebliche Rolle, wie schon Kittel erläuterte.[27]
Der Prozess der Verlagerung wird somit dynamisch erfolgt sein.
Quelle: Altes Flussbett im Wald zwischen Sandlingen und Wienhausen. Quelle: H. Altmann.
Celle war ein wichtiger Umschlagplatz für den Warenverkehr und erlebte im
Schatten der Hansestädte Bremen, Braunschweig, Lüneburg und Hamburg sowie
Magdeburg einen rasanten Aufstieg. Diese Entwicklung fällt unmittelbar in die Übergangsphase
von der Kaufmannshanse hin zur Städtehanse. Dies stützt sich unter anderem auf
die Bedeutung der bei Celle erhobenen Zölle, die bereits 1225 Erwähnung[28]
finden – also noch bevor Herzog Otto den Celler Bürgern das Lüneburger
Stadtrecht verlieh.[29]
Die „Verlagerung“ der Stadt Celle war weniger geplant, als durch
politische und wirtschaftliche Interessen beeinflusst, wie schon Cassel[30]
und Kittel[31]
festhielten. Der Standort der heutigen Stadt Celle bot seinerzeit günstigere
Bedingungen für den Warenverkehr – hier konnte das Umladen von Gütern aufgrund von
Stromschnellen vermieden werden.[32]
Weiterhin passierte im Bereich des „neuen“ Celles eine wichtige
Fernhandelsstraße die Aller.[33]
Die Stadt Braunschweig erlangte zur Mitte des 13. Jahrhunderts hansische
Privilegien und wurde später in den Reigen der Hansestädte aufgenommen.[34]
Als es dazu kam, hatten sich die wirtschaftspolitischen Gegebenheiten allerdings
bereits weiterentwickelt und in der neuen Stadt Celle („Nitzellis“)[35]
wurde verstärkt auf den Handel über Land gesetzt.[36]
Insofern existierten für das „neue“ Celle durchaus triftige Interessen den
Schiffshandel über die Oker zu behindern – schließlich verkörperten die Landverbindung
und Flussquerung weiter flussabwärts und die damit verbundenen Zolleinnahmen wichtige
Grundlagen der neuen Stadt.[37]
Braunschweig gelang der Aufstieg zur Hansestadt - auch ohne auf den
Schiffshandel über die Oker angewiesen zu sein, wie bereits Meibeyer herausstellte.[38]
Bild: Alter Okerverlauf nördlich von Sandlingen. Quelle: Preußisches Messtischblatt 1899; Google Earth.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die aufstrebende Stadt Celle
an ihrem heutigen Standort von der rückläufigen Nutzung der alten Oker
profitieren konnte. Die Handelswaren konnten im Bereich des einstigen
„Kreuzenwerders“[39]
leicht abgewickelt und verzollt werden. Von hier gelangten sie nach Lüneburg,
Hamburg und Bremen – regelmäßig ohne, dass mehrfaches Verladen erforderlich
war. Der Aufstieg des „neuen“ Celles bis 1292 belegt die gestiegene Bedeutung
der Handelsstraßen. Vor dem Hintergrund, dass es bis 1371 praktisch keine
schriftlichen Nachweise einer umfangreichen Schifffahrt auf der Oker gab,
passen also plausibel ins Bild.[40]
Bis ins hohe Mittelalter ist die Oker daher offensichtlich ihrem natürlichen
Bett im Flotwedel gefolgt.
Quelle: Altes Flussbett im Wald zwischen Sandlingen und Wienhausen. Quelle: H. Altmann.
Im Ergebnis gehören die Ausläufer der alten Oker im Wald zwischen
Wienhausen und Sandlingen somit zu den letzten Zeugnissen einer
regionalhistorisch bedeutsamen Zeit – auch, wenn die Schifffahrt auf der Oker nur
indirekt zum Aufstieg der neuen Stadt Celle an ihrem heutigen Standort beitrug.
Hendrik
Altmann
[1] Alpers/Barenscheer, Celler Flurnamenbuch, Celle 1952,
S. 83.
[2] Seiler, Die Aller – ein Fluss verändert seinen Lauf,
Celle 2002, S. 45.
[3] Merian, Ducatus Luneburgensis, 1650-1655; Mellinger,
Ducatus Luneburgensis, um 1645.
[4] Krabbe, Chorographia der Hildesheimer Stiftsfehde,
1591.
[5] Karte der „Environs von der Stadt Celle“ 1771,
Staatsarchiv Hannover, 31c-1pm.
[6] Hill, Die Stadt und ihr Markt, Bremens Umlands- und
Außenbeziehungen im Mittelalter (12. – 15. Jahrhundert), Stuttgart, S. 160 ff.
[7] Meibeyer, Gab es wirklich eine „bedeutende“
Fracht-Schifffahrt auf der unteren Oker im hohen Mittelalter, in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 83, Braunschweig 2002, S.
205-210.
[8] Altmann, Die Mundburg – Analyse und Auswertung von
Einflussfaktoren auf den möglichen Standort,
https://found-places.blogspot.de/2014/03/die-mundburg-analyse-und-auswertung-von.html,
abgerufen: 03.04.2017, 21:36 Uhr.
[9] Thangmar, Thangmari Vita S. Bernwardi episcopi
Hildesheimensis, in: Lebensbeschreibungen einiger Bischöfe des 10. – 12.
Jahrhunderts, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte Bd. 22, Darmstadt
1973, S. 272-361.
[10] Meibeyer, Lag Bischof Bernwards Mundburg bei
Wienhausen?, in: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Stuttgart 2002,
Bd. 71, S. 47-51.
[11] Steffens, Historische und diplomatische Abhandlungen
in Briefen, Celle 1763, S. 14 ff.
[12] Kittel, Das alte Celle – die Mutter der heutigen
Stadt Celle, Celle 1929, S. 20 f.
[13] U.a. in: Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle
1930, Bd. 1, S. 31 ff.; Pröve/Ricklefs, Heimatchronik der Stadt und des
Landkreises Celle, Köln 1956, S. 27.
[14] CZ vom 18.07.2014, Archäologen entdecken Hinweise auf
Altenceller Hafen; Altmann, Wurde de Altenceller Hafen gefunden?,
https://found-places.blogspot.de/2014/07/wurde-der-altenceller-hafen-gefunden.html,
abgerufen: 03.04.2017, 22:02 Uhr.
[15] Hansisches Urkundenbuch, Halle 1896, Bd. 4, S. 84;
Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 6, Urkunde 610, Magdeburger
Urkundenbuch, Halle 1894, Bd. 2, Urkunde 395.
[16] Meibeyer, Gab es wirklich eine „bedeutende“
Fracht-Schifffahrt auf der unteren Oker im hohen Mittelalter, in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 83, Braunschweig 2002, S.
205-210.
[17] Hansisches Urkundenbuch, Halle 1896, Bd. 4, S. 84.
[18] Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 6, Urkunde
610.
[19] Meibeyer, Gab es wirklich eine „bedeutende“
Fracht-Schifffahrt auf der unteren Oker im hohen Mittelalter, in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 83, Braunschweig 2002, S.
205-210.
[20] Magdeburger Urkundenbuch, Halle 1894,
Bd. 2, Urkunde 395.
[21] Meibeyer, Gab es wirklich eine „bedeutende“
Fracht-Schifffahrt auf der unteren Oker im hohen Mittelalter, in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 83, Braunschweig 2002, S.
205-210.
[22] Thangmari vita
Bernwardi ep. c. 7, ap. Pertz IV 761; Altmann, Ein Ort mit Geschichte:
Betrachtungen zum Ursprung Wienhausens, CZ v. 15.10.2017.
[23] Meibeyer, Lag Bischof Bernwards Mundburg bei
Wienhausen?, in: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Stuttgart 2002,
Bd. 71, S. 47-51.
[24] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, Bd.
1, S. 31.
[25] Busch, Die Burg in Altencelle – Ihre Ausgrabung und
das historische Umfeld, Celle 1990, S. 27f.; Cassel, Geschichte der Stadt
Celle, Celle 1930, Bd. 1, S. 13f.
[26] Kittel, Das alte Celle – die Mutter der heutigen
Stadt Celle, Celle 1929, S. 20 f.
[27] Kittel, Das alte Celle – die Mutter der heutigen Stadt
Celle, Celle 1929, S. 37f.
[28] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, Bd.
1, S. 29; Bremisches Urkundenbuch Abt. 12.
[29] Brosius, Urkundenbuch der Stadt Celle, Hannover 1996,
S. 1.
[30] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, Bd.
1, S. 31.
[31] Kittel, Das alte Celle – die Mutter der heutigen
Stadt Celle, Celle 1929, S. 37f.
[32] Steffens, Historische und diplomatische Abhandlungen
in Briefen, Celle 1763, S. 16.
[33] Engelke, Die Grenzen und Gaue der älteren Diozöse
Verden, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 21, Hildesheim
1949, S. 72.
[34] Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 5, Urkunde
350.
[35] Sudendorf, Urkundenbuch zur Geschichte der Herzöge
von Braunschweig und Lüneburg und ihrer Lande, Bd. 1, Hannover 1859, Urkunde
187.
[36] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, Bd.
1, S. 30.
[37] Cassel, Celler Land im Munde der Vorzeit, CZ v. 12.06.1925.
[38] Meibeyer, Gab es wirklich eine „bedeutende“
Fracht-Schifffahrt auf der unteren Oker im hohen Mittelalter, in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 83, Braunschweig 2002, S.
205-210.
[39] Cassel, Geschichte der Stadt Celle, Celle 1930, Bd.
1, S. 30.
[40] Meibeyer, Gab es wirklich eine „bedeutende“
Fracht-Schifffahrt auf der unteren Oker im hohen Mittelalter, in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 83, Braunschweig 2002, S.
205-210.
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