f Karte zeigt Zerstörungen: 8. April 1945 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Mittwoch, 8. April 2020

Karte zeigt Zerstörungen: 8. April 1945

Bild: Bombenschäden im Stadtgebiet Celle zwischen Klein-Hehlener-Straße und Mondhagen. Quelle: NLA HA Kartensammlung Nr. 32 c Celle 78 m (Public Domain). 

Der 8. April 1945 markiert einen Tiefpunkt in der Geschichte der Stadt Celle. Was später als sogenannte "Celler Hasenjagd" in die Historie einging, wirft bis heute ungeklärte Fragen auf. Eine kürzlich aufgefundene Karte zeigt das Ausmaß der Zerstörungen im Detail. 

Der 8. April 1945 war ein warmer, sonniger Frühlingstag an dem bestes Fliegerwetter herrschte. Obgleich sich das nahende Ende des zweiten Weltkrieges abzeichnete, ahnte niemand von dem, was der Stadt Celle an diesem Tag bevorstand. Zwar hatten Stadt und Landkreis in den zurückliegenden Monaten durchaus unmittelbare Auswirkungen des Luftkrieges erfahren. Es gab zahlreiche Bombenabwürfe - meist Notabwürfe - und auch einige Abstürze alliierter Bomber, u.a. bei Langlingen. Dennoch war die Stadt bis dato durch massive Luftangriffe verschont geblieben. 

Allerdings wurde die Stadt ständig von alliierten Bomberstaffeln auf deren Weg in mittel-ost-deutsche Gebiete überflogen. Die Gemeinden waren zum Luftschutz aufgerufen - es sollten Deckungsgräben an den Straßen errichtetet werden. Es ereigneten sich vermehrt Tieffliegerangriffe auf die lokalen Infrastruktureinrichtungen - u.a. auf die Bahnstrecke Celle-Gifhorn sowie die Bahnstrecke Celle-Hamburg

Bild: B-26 Marauder Bomber. Quelle: Wiki-Commons, Public License.

Am 22. Februar 1945 wurde Celle schließlich unmittelbares Ziel eines alliierten Bombenangriffs im Zuge der Operation "Clarion". Ziel dieser Offensive waren vornehmlich Einrichtungen der Rüstungsindustrie sowie Infrastrukturknotenpunkte. Allerdings erlitt der Innenstadtbereich im Zuge dieses Angriffs keine Beeinträchtigungen. Getroffen wurde lediglich ein Teil des Güterbahnhofs und die Umgebung eines Bahnübergangs in Altencelle. Getroffen wurde bei diesem Angriff ebenfalls ein Transportzug mit ungarischen Soldaten, die auf dem Weg nach Bergen-Belsen waren. 

Auch wenn das unmittelbare Stadtgebiet verschont blieb, war spätestens ab dem 22. Februar 1945 klar, dass Celle im alliierten Bombenkrieg keine Ausnahme darstellen würde. Interessant ist in diesem Zusammenhang insbesondere der imediate Interpretation Report No. K. 3911. In diesem Bericht wurden der Luftangriff vom 22. Februar 1945 auf Celle ausgewertet und analysiert. Unumgänglich flossen die Auswertungen in den Bericht des folgenschweren Angriffs vom 8. April 1945 ein. 

Zum Bericht für den 22. Februar 1945 steuerte das 540 Squadron der Royal Air Force entsprechende Luftaufnahmen bei. Der Angriff durch acht Flugzeuge der USAAF erfolgte um 13:29 Uhr. Laut Bericht der USAAF war der Güterbahnhof zu diesem Zeitpunkt nur mittelmäßig ausgelastet. Der ausführliche Interpretation Report No. F. 629 enthält detaillierte Beschreibungen der Lage und Beschaffenheit der Celler Bahnhofsanlagen. 

Bild: Celler Bahnhofsanlagen heute. Quelle: Altmann, 2019.

Unter anderem wurde beobachtet, dass die Passenger Station, d.h. der Personenbahnhof, über acht Gleisstränge, drei doppelte Bahnsteige sowie zwei einseitige Bahnsteige und mit einer durchschnittlichen Länge von 380m verfügte. Ähnlich detaillierte Informationen wurden zu den Bereichen des Hauptgüterbahnhofs (Main Goods Depot), das Zugdepot, Brücken, Lagerschuppen usw. festgehalten. 

Die Erkenntnisse basierten auf der Auswertung von Luftbildern, die am 9. März 1945 durch das 540. Squadron der Royal Air Force (RAF) aufgenommen wurden. An diesem Tag starteten der Pilot Griffiths und sein Navigator Mallison mit ihrer Maschine des Typs De Havilland DH.98 Mosquito (XVI NS. 814) gegen 10:40 Uhr auf dem britischen Luftstützpunkt Benson. Ziel ihres Aufklärungsfluges waren diverse Bahnanlagen im Raum Hamburg, Hannover und Osnabrück. Beiläufig konnten sie ebenfalls Aufnahmen von Celle (Stadtgebiet und Gleisanlagen) sowie der Ölindustrie bei Hannover (Misburg-Anderten) anfertigen. Die Records of Events (AIR 27 2007/60) belegen eindrucksvoll wie umfangreich die Aufklärungsmissionen des 540. Squadron zu jener Zeit waren. 

Um 12:45 Uhr machten Griffiths und Mallison die Luftaufnahmen über Celle, die laut Interpretation Report hinsichtlich der Abdeckung und Qualität mit "full, fair", d.h. vollständig und angemessen, bezeichnet wurden. 

Diese Bilder bildeten eine Grundlage für den Luftangriff am 8. April 1945. 

Bild: Titelseite am 7./8. April 1945. Quelle: CZ. 

Am 8. April 1945, einem heiteren Sonntag, zeichnete sich das nahende Kriegsende bereits ab. Britische und amerikanische Truppen rückten auf breiter Front vor. In der Zeitung erschienen Durchhalteparolen. In diesen Tagen war völlig unklar, ob Celle verteidigt werden sollte. Eine höchst unangenehme und ungewisse Situation für die Bevölkerung. 

Bereits an den vorangegangenen Tagen wurde der Celler Bahnhof von langen Güterzügen passiert, die KZ-Häftlinge aus frontnahen Konzentrationslagern nach Bergen-Belsen  bzw. Neuengamme bei Hamburg brachten. Zeitzeugen aus Bockelskamp erinnerten sich später, wie diese langen Züge gespenstisch die Bahnstrecke am Ort "vorbeischlichen". 

Vorsicht war mehr als geboten - immer wieder wurden Zugtransporte in diesen Tagen durch Tiefflieger beschossen. Bei einem dieser Zugtransporte kam es zu einem Halt im Waldgebiet vor Wienhausen. Hierbei wurden tote Häftlinge in einem Massengrab neben der Bahnstrecke verscharrt. Schwache - aber noch lebende - Häftlinge wurden von den Begleitmannschaften erschlagen bzw. erschossen. 

Gegen Nachmittag des 8. April 1945 wurden die Ölanlagen bei Nienhagen durch einen schweren Luftangriff getroffen. Die Celler Feuerwehr rückte aus, um die Löscharbeiten zu unterstützen. Ein Großteil der Bomben traf allerdings unbewohntes Gebiet und verfehlte somit das eigentliche Ziel. Allerdings waren auch über Celle Aufklärungsflugzeuge gesichtet worden und man befürchtete nun das Schlimmste. 

Aus Sorge vor Luftangriffen entschied der Celler Bahnhofsvorsteher am 8. April 1945 einen weiteren Transportzug von der Strecke bei Wienhausen zu holen. Dieser wurde anschließend gegen Spätnachmittag auf dem Celler Güterbahnhof abgestellt. Um 18:15 Uhr hätte der Zug weiter nach Bergen-Belsen rollen sollen - hierzu kam es jedoch nicht mehr. 

Um 17:45 Uhr heulten die Celler Luftschutzsirenen los. Schutzräume gab es in der Stadt nur wenige. Der Zeitzeuge Gisbert Selke erinnerte sich später, wie er als vierjähriges Kind den Luftangriff im Schutzbunker in Klein Hehlen an der Petersburgstraße erlebte. 


Der Angriff traf im Masse den zentralen Bereich des Güterbahnhofs auf dem sowohl der Zug mit den KZ-Häftlingen aus Salzgitter-Drütte stand als auch ein Personenzug der Wehrmacht sowie ein Zug, der mit Munition beladen war. Die Wirkung war verheerend - einige Wagen erhielten Volltreffer, die Munition detonierte - die Szene kam einem Inferno gleich. 

Häftlinge, die sich aus dieser Hölle befreien konnten, suchten Schutz und versuchten dem Bereich zu entkommen. In der Folge ereignete sich das, was später als Massaker von Celle - als sogenannte "Hasenjagd" in die Geschichte einging. Einheiten der SS, SA, Polizei und Zivilisten machten Jagd auf die entflohenen Häftlinge, die teilweise ins Neustädter Holz geflohen waren. Es kam zu schweren Ausschreitungen. 

Eine genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt - was vermutlich auch den chaotischen Zuständen damals geschuldet ist. 190 KZ-Häftlinge wurden später in Sammelgräber auf den Celler Waldfriedhof umgebettet. 

Bild: Gedenktafel auf dem Celler Waldfriedhof. Quelle: Altmann, 2019. 

Laut Aufzeichnungen der Ordnungspolizei, die sich im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde befinden, heißt es zu den Ereignissen des 8. April 1945 wie folgt: 

Celle: 

18:10 bis 19:15 Uhr: Angriff durch etwa 80 Flugzeuge unter Abwurf von 360 Minen- und Sprengbomben. 60 Wohngebäude total (zerstört), 40 schwer, mehrere 100 mittel und leicht (beschädigt). 3 Industriebetriebe total (zerstört), darunter Städt. Werke. Bahnanlagen angegriffen, Transportzug mit 3.500 KZ-Häftlingen getroffen. Hier etwa 6-800 Tote. In Stadtgebiet zahlreiche Verschüttete. Bisher geborgen 8 Gefallene, 35 Verwundete. 

Diese Darstellung liefert wohl nur ein selektives und stark verkürztes Bild der Ereignisse. Von den Massakern an den KZ-Häftlingen ist keine Rede. 

Bild: Gedenkstätte auf dem Celler Waldfriedhof. Quelle: Altmann, 2019. 

Viele Leichen konnten erst in den folgenden Tagen und Wochen geborgen werden. In Straßengräben und provisorischen Gräbern hatte man sie vor ihrer Umbettung verscharrt. 

Da die Toten keine Erkennungsmarken bei sich trugen und die Leichname bereits stark verwest waren, konnten die meisten nicht mehr namentlich identifiziert werden - sie liegen heute als unbekannte Tote auf dem Waldfriedhof. 

Bild: Gedenkstätte auf dem Celler Waldfriedhof. Quelle: Altmann, 2019. 

Viele Zusammenhänge des 8. April 1945 konnten bisher nicht abschließend geklärt werden. Mehrfach gab es öffentliche Kritik zur Auseinandersetzung mit den historischen Zusammenhängen des Massakers. Auch der Luftangriff als solcher wirft bis heute Fragen auf. 

So wurde in der Vergangenheit angenommen, dass das tatsächliche Ziel die Bahnanlagen im Bereich des Celler Hauptbahnhofs gewesen seien (u.a. M. Bertram, in: Der Luftangriff auf Celle und das Schicksal der KZ-Häftlinge aus Drütte, S. 12). Die Zerstörung wäre in diesem Bereich besonders effektiv gewesen, wenn es darum gegangen wäre Verkehrsverbindungen zu unterbrechen. So ist es ebenfalls im Einsatzbericht der 322. Bomb Group überliefert, die bei diesem Angriff die erste Angriffswelle flog. In der Box Nr. 1 flog der Bombenschütze, der für die Verlagerung des ersten Angriffspunktes verantwortlich war. 

Allerdings scheint es im Lichte der aktuellen Forschungen fraglich, ob das ursprüngliche Ziel  verfehlt - und stattdessen der Güterbahnhof angegriffen wurde. Es liegen mittlerweile die Interpretation Reports der Bombardierungen am 22. Februar 1945 sowie der anschließenden Luftbildauswertungen vom 9. März 1945 vor. Hieraus geht eindeutig hervor, dass das Interesse der Luftaufklärung und des Bomber Commands nicht speziell auf dem Hauptbahnhof lag - vielmehr zählte der gesamte Korridor zwischen dem Hauptbahnhof und der heutigen Tangente zum Einsatzziel. 

Von zwölf ausgemachten Zielpunkten im Bereich der Celler Bahnhofsanlagen war der Hauptbahnhof im Norden lediglich einer - und noch dazu der Äußerste. Die Masse der Ziele lag laut der Luftaufklärung im Bereich des Güterbahnhofs - wo schließlich auch der Angriff erfolgte. Das Ziel ist also völlig konsequent entsprechend der Aufklärung angegriffen worden. 

Auch der Einsatzbericht der 322. Bomb Group passt hierzu, denn er spricht davon das Primärziel getroffen zu haben. Tatsächlich musste die dritte Welle, die an diesem Tag durch die 391. Bomb Group geflogen wurde, wegen der starken Rauchentwicklung im Bereich des Güterbahnhofs abermals eicht abschwenken und stattdessen den Bahnknotenpunkt am Abzweig nach Wietze bzw. Gifhorn ins Visier nehmen. Auch dieses Ziel war bereits im Rahmen der Luftaufklärung des 9. März 1945 berücksichtigt worden. 


Vieles spricht also dafür, dass der Luftangriff am 8. April 1945 sein Ziel planmäßig traf. Der Korridor zwischen der heutigen Tangente bis hin zum Hauptbahnhof wurde getroffen. Auch die Gegend unmittelbar östlich des Hauptbahnhofs, in der sich damals u.a. das städtische Gaswerk befand, wurde schwer beschädigt. Der Bahnhof selber wurde ebenfalls schwer beschädigt. 

Bild: Celler Bahnhof nach dem Luftangriff. Quelle: Archiv Altmann. 

Eine nach Kriegsende erstellte Karte zeigt das Ausmaß der Zerstörungen und Beschädigungen sehr detailliert. Die Karte ist als Digitalisat im Niedersächsischen Landesarchiv verfügbar (Permalink: https://www.arcinsys.niedersachsen.de/arcinsys/digitalisatViewer.action?detailid=v4541935). 

Auf der Karte ist deutlich erkennbar, dass der Luftangriff den gesamten Bereich der Gleisanlagen traf. Besonders massiv wurde der Güterbahnhof getroffen (gelb) - hier wurden zahlreiche Gebäude vollkommen zerstört, während links und rechts der Heese vergleichsweise wenige Zerstörungen / Beschädigungen dokumentiert sind. 

Bild: Bombenschäden im Stadtgebiet Celle zwischen Klein-Hehlener-Straße und Mondhagen. Quelle: NLA HA Kartensammlung Nr. 32 c Celle 78 m (Public Domain). 

Anhaltspunkte wonach der USAAF hätte bekannt gewesen sein können, dass bei dem Luftangriff KZ-Häftlinge getroffen werden könnten, liegen keine vor. Da der Zug erst kurz vorher auf den Güterbahnhof rangiert wurde, bahnte sich die folgenschwere Katastrophe nicht langfristig an. 

Ähnliche Bombardierungen waren zu diesem fortgeschrittenen Stadium des Zweiten Weltkrieges  längst keine Besonderheit mehr. Das dunkelste Kapitel in der Celler Stadtgeschichte markiert nicht alleine der Luftangriff, sondern ebenfalls die Ausschreitungen und Massaker an KZ-Häftlingen, die sich in seiner Folge ereigneten. Aus heutiger Sicht kaum mehr begreiflich, offenbart dieses Ereignis, wie es um Teile der Gesellschaft jener Zeit bestellt war: noch im Angesicht des nahenden Kriegsendes wurde die menschenfeindlichen Ideologie des NS-Regimes gelebt. 

Unverständlich erscheint vor diesem historischen Hintergrund die Forderung einzelner "doch endlich diese alten Sachen ruhen zu lassen." Mit Blick auf eine gelebte Erinnerungskultur kann man diesen Themen nicht aus dem Wege gehen - gerade, weil es immer noch ungeklärte Zusammenhänge gibt, die eben jene Zeit betreffen. 

H. Altmann 





2 Kommentare:

  1. Danke fuer diesen sehr informativen Bericht und die Bemuehungen, diesen Teil unserer Geschichte nicht in Vegessenheit gelangen zu lassen!

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  2. "Der 8. April 1945 markiert einen Tiefpunkt in der Geschichte der Stadt Celle. Was später als sogenannte "Celler Hasenjagd" in die Historie einging. . " Dabei wurden 170 der Fliehenden ermordet.

    Die Installation von Peter Barth erinnert an das Celler Massaker vom April 1945.

    Mit 170 fiktiven Porträts versucht der in Celle geborene Künstler, die Ermordeten aus dem Fluss des Vergessen herauszuholen und ihnen ein Gesicht zu geben - auch wenn ihr tatsächliches Aussehen nicht wiederzugeben ist.

    Die Ausstellung ist noch bis zum 23. August 2020 in der Celler Synagoge anzusehen.
    Oder online auf der Website des Künstlers https://www.peterbarth-art.de

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