In den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges geriet Celle und die Umgebung der Stadt vermehrt in den Fokus alliierter Luftangriffe. Am 14. Februar 1945 traf es einen Munitionszug im Bereich des Garßener Bahnhofs.
Häufig liest man die Stadt Celle sei - bis auf den folgenschweren Bombenangriff am 8. April 1945 - von alliierten Luftangriffen verschont geblieben. In Vergleich zu größeren Städten mag dies aus damaliger Sicht zutreffen. Tatsächlich wurde das Stadtgebiet nur durch kleinere Angriffe in Mitleidenschaft gezogen. Größere Einwirkungen durch Fliegerbomben entstanden erstmals als bei der sogenannten Operation Clarion am 22. Februar 1945 Teile der Stadt direkt betroffen waren. Allerdings bereitete man sich innerhalb des Stadtgebietes durchaus auf die Bedrohung durch Fliegerangriffe vor - es wurden unter anderem Splitterschutzgräben und ein massiver Luftschutzbunker an der Petersburgstraße in Klein Hehlen errichtet. Ob diese Maßnahmen im Erstfall ausgereicht hätten mag dahingestellt bleiben.
Auch wenn die Stadt Celle bis Anfang April 1945 nicht zum Ziel massiver Luftangriffe wurde, schlugen alliierte Tiefflieger im Landkreis immer wieder zu. Insbesondere Bahnstrecken und darauf befindliche Züge gerieten vielerorts in den Fokus angreifender Flugzeuge - so unter anderem auf der Bahnstrecke zwischen Wienhausen und dem Haltepunkt Offensen. In diesem Streckenabschnitt wurde am 19. Februar 1945 ein Personenzug unter Beschuss genommen. Bereits am 22. Januar 1945 war ein Personenzug bei Winsen durch Tiefflieger angegriffen worden.
In den Lagemeldungen der Ordnungspolizei über Luftangriffe auf das Reichsgebiet findet sich für den 14. Februar 1945 ein weiterer Eintrag den Raum Celle betreffend. Die Lagemeldung für diesen Mittwoch lautet:
"Garßen Krs. Celle: 13.25 Uhr: Tieffliegerangriff auf Munitionszug. 7 Waggons vernichtet. 25 Wohnhäuser schwer (beschädigt). Telefon- und Bahnleitungen total. 1 Wehrmachtsangehöriger gefallen, 6 Leichtverwundete."
Der Munitionszug war zuvor in der Heeresmunitionsanstalt Scheuen abgefertigt worden und gelangte über das Anschlussgleis der Kleinbahn zum Zwischenhalt auf den Bahnhof Garßen.
Bild: Kleinbahnstrecke zwischen Garßen und Scheuen. Einst rollten hier auch Munitionstransporte zur Hauptstrecke. Quelle: H. Altmann; 01/2020.
Der Angriffszeitpunkt gegen 13:25 Uhr lässt vermuten, dass es Flugzeuge der USAAF waren, die den Angriff ausführten. Grundsätzlich führten die US Luftstreitkräfte ihre Operationen tagsüber - die britische Royal Air Force dagegen nachtsüber - aus.
Der Tätigkeitsbericht der USAAF für den 14. Februar 1945 erwähnt den Angriff zwar nicht explizit - hier ist lediglich die Rede von einem Angriff auf einen Bahnhof. Allerdings schlagen sich in den Combat Operations zumeist Einsatzberichte der Bomberstaffeln nieder, während die Operationen durch Tiefflieger oft nur randläufige Erwähnung finden.
Die Garßener Schulchronik berichtet für den 14. Februar, dass es während des Unterrichts eine "mächtige Detonation" gab, da feindliche Flugzeuge einen Munitionszug auf dem Bahnhof getroffen hatten. Eins der Flugzeuge, das in den Bereich des Luftdrucks der Detonation gekommen war, lag zerschmettert im Lehmkuhlenbusch. Der Pilot wurde auf dem Garßener Friedhof beigesetzt.
Für die Celler Stadtverwaltung ergaben sich noch ganz andere Probleme - man sah die Celler Trinkwasserversorgung gefährdet.
Bild: Schreiben an den Präsidenten der Reichsbahndirektion vom 21.02.1945. Quelle: Archiv Altmann.
In einem Schreiben an den Präsidenten der Reichsbahndirektion Hannover beschwerte sich die Verwaltung:
"Vor einigen Tagen ist in der Gegend des Bahnhofs Garßen ein Munitionszug durch Beschuss feindlicher Flugzeuge teilweise zur Explosion gebracht worden. Dadurch hat unser in der Nähe liegendes Wasserwerk recht erheblichen Schaden gelitten. Bei einer etwas größeren Explosion würd die Wasserversorgung der Stadt Celle, der Muna Scheuen usw. in schwerster Weise beeinträchtigt worden sein. Unter diesen Umständen bitte ich darum doch darauf Bedacht zu nehmen, dass auf dem Bahnhof Garßen oder in seiner Nähe keine derartig gefährlichen Bahntransporte zu Stehen gebracht werden, sondern diese so weit weiterzurollen dass eine Gefährdung unserer Wasserwerksanlagen nicht mehr eintreten kann."
In der Tat befand sich das Celler Wasserwerk zu dieser Zeit bereits in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Bahnhof Garßen.
Bild: Lage des Wasserwerks und des Bahnhofs Garßen. Quelle: War Office; 1945.
Tatsächlich lagen die Anlagen des Celler Wasserwerks nur ca. 400m Luftlinie entfernt vom ehemaligen Garßener Bahnhof. Die Sorge vor einer Beschädigung dieser wichtigen Versorgungseinrichtung war also durchaus berechtigt.
Noch heute befindet sich das Celler Wasserwerk in diesem - mittlerweile geschützten und gesperrten - Bereich. Über einen eigenen Bahnhof verfügt Garßen heute nicht mehr.
Bild: Lage des Wasserwerks und des Bahnhofs Garßen. Quelle: H. Altmann, 2014.
In den weiteren Tagen und Wochen bis zum Kriegsende intensivierten sich die alliierten Luftangriffe stetig. Am 21. Februar kam es zu einem weiteren folgenschweren Tieffliegerangriff auf einen Munitionszug im Bahnhof von Eschede.
Am 22. Februar begannen die USAAF und die RAF mit der Umsetzung der "Operation Clarion", in deren Zuge auch in Celle Infrastruktureinrichtungen zerstört werden sollten. Hierbei wurden unter anderem Bomben auf den Celler Güterbahnhof sowie auf die Nebenbahnstrecke Celle-Gifhorn - etwa in Höhe des Altenceller Bahnhofs - abgeworfen.
Bild: Wasserwerk heute. Quelle: H. Altmann; 01/2020.
In den Wäldern zwischen Garßen und Scheuen finden sich noch heute Spuren von den Luftangriffen auf die strategisch wichtigen Eisenbahnstrecken. Mächtige Bombenkrater zeugen von den einstigen Ereignissen.
Ob die Krater tatsächlich von dem Tieffliegerangriff auf den Garßener Bahnhof am 14. Februar 1945 stammen, ist allerdings nicht einwandfrei belegt, denn auch der Streckenabschnitt der zur ehemaligen Heeresmunitionsanstalt Scheuen führte, geriet ins Visier alliierter Luftangriffe.
Bild: Bombenkrater zwischen Garßen und Scheuen heute. Quelle: H. Altmann; 01/2020.
Bei der systematischen Auswertung von Luftbildern und den Informationen aus Laserscandaten wird erkennbar, dass im Raum Celle deutlich mehr Fliegerbomben niedergingen, als man es aus heutiger Sicht vermuten könnte. Inwiefern es sich hierbei um sogenannte "Notabwürfe" oder gezielte Angriffe handelte, lässt sich aus heutiger Sicht in vielen Fällen nur in Abgleich mit den historischen Informationen zu den jeweiligen Orten ermitteln.
Tieffliegerangriffe wie jener auf den Garßener Bahnhof sind heute meistens nur noch anhand von Archivbeständen und Zeitzeugeberichten nachvollziehbar. Umso wichtiger ist es diese Zusammenhänge zu dokumentieren, denn sie zeigen, dass welche Auswirkungen der Zweite Weltkrieg in der unmittelbaren Umgebung entfaltete.
H. Altmann
Eine kleine Anmerkung:
AntwortenLöschen"Grundsätzlich führten die US Luftstreitkräfte ihre Operationen tagsüber - die britische Royal Air Force dagegen nachtsüber - aus. "
Naja. Jein. Das trifft zwar auf die strategischen Bomberangriffe zu, aber weniger auf Jabo-("Tiefflieger-")Einsätze in dieser späten Kriegsphase. Die gab es eigentlich fast nur tagsüber. Somit würde ich das in diesem Fall keineswegs an der Tageszeit festmachen. Die RAF hat im Frühjahr 1945 genauso wie die USAAF mit Jagdbombern (Tempest, Typhoon...) tagsüber über Norddeutschland operiert.
1941 gab es auch einen Angriff auf Garßen, bei dem fünf Brandbomben westlich des Sportplatzes an der Hamburger Straße gefallen sind, die aber keine größeren Schäden verursacht und keine Opfer gefordert haben
AntwortenLöschen(s. "Gersnethe - Garßen - Celle Garßen", H. Meine, Stadt Celle, 2010, S. 61f.)