f Die vergessene Mondlandschaft bei Nienhagen ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Dienstag, 7. Januar 2014

Die vergessene Mondlandschaft bei Nienhagen


Auch vielen jüngeren Cellern dürfte der 8. April 1945 aus Erzählungen und Berichten ein Begriff sein. An diesem Tag fand der schlimmste und folgenschwerste Luftangriff auf Celle statt. das Ziel des amerikanischen Luftschlages war an diesem Tag der Celler Güterbahnhof gewesen. Bodo Grote, der auf zwei Krücken humpelnd für 14 Tage Genesungsurlaub aus dem Lazarett nach Celle zu seiner Mutter gekommen war, erinnerte sich. Sie wohnten damals in der Bahnhofstraße 35a. Grote, der als Fliegeroffizier diente, sah am Nachmittag des 8. April ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug. Es flog einen großen Bogen über Celle und entfernte sich dann in südwestliche Richtung. Grote wusste schlagartig, was bevorstand. 

Was jedoch kaum jemand wusste: gegen 16 Uhr war ein Evakuierungs-Transportzug aus dem Konzentrationslager Mittelbau Dora, bei Nordhausen (Thüringen) auf dem Güterbahnhof  in Celle eingetroffen. Bereits einige Tage zuvor hatte ein anderer Transport Celle passiert und war in Richtung Bergen-Belsen gefahren (dazu mehr: Drei Gräber bei Wienhausen). 

Man hatte entschieden, dass der KZ-Transport nicht auf der Bahnstrecke Celle-Gifhorn bleiben sollte. Der Grund für diese Entscheidung: gegen Mittag des 8. April 1945 wurden die Ölwerke in Nienhagen durch amerikanische Bomber angegriffen. Man glaubte also, dass der KZ-Transport unmittelbar in Gefahr gewesen sei. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich am Nachmittag des gleichen Tages herausstellen sollte. 

Der Zug, welcher ca. 4.000 Häftlinge des KZ Mittelbau Dora transportierte, schaffte es nur mit Mühe in den Celler Güterbahnhof auf Gleis 9. Die Dampflokomotive musste ausgewechselt werden - dies kostete wertvolle Zeit. Als der amerikanische Luftschlag begann, wurde der Güterbahnhof in mehreren Angriffswellen voll getroffen. Etliche Häftlinge starben direkt durch die Bomben, verbrannten und erstickten. Vielen gelang es, sich vom Güterbahnhof zu entfernen. Im späteren Verlauf ereignete sich das wohl dunkelste Kapitel der Stadtgeschichte, als SS und SA zusammen mit Freiwilligen Jagd auf die fliehenden Häftlinge machten. Etliche wurden erschossen, misshandelt und litten unvorstellbare Qualen (mehr dazu: Die Zeit: das Massaker von CelleWiki: Massaker von CelleCelle im NationalsozialismusTreibjagd auf KZ-Häftlinge, Bomben auf Celle). 

Bild: Kulisse der Zerstörung - Celle am 8. April 1945.
Quelle: CZ vom 6. April 1985. 



Weitere Angriffe


Celle wurde am 8. April völlig unvorbereitet von den amerikanischen Bomben getroffen. Zwar ist fraglich, inwiefern Vorkehrungen etwas gebracht hätten. Psychologisch jedoch hätte es sicher Auswirkungen gehabt, zumal man sich in der Stadt auf die herannahenden Briten vorbereitete und niemand mehr davon ausging, dass Celle aktiver Kriegsschauplatz werden würde. 

Es hatte bereits zuvor kleinere Bombenangriffe in Celle und im umliegenden Landkreis gegeben (z.B. im Rahmen der Operation "Clarion" - dazu mehr: Operation Clarion). Einen derart großen Luftschlag sah niemand kommen, zumal Celle strategisch nicht dafür in Frage kam. So beobachteten die Celler zwar die mit Bombenlast beladenen Flugzeuge über die Stadt in Richtung Osten fliegen, sahen sich aber keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt. 

Am 8. April wurden zunächst die Ölwerke in Nienhagen angegriffen. Die Celler Feuerwehr rückte also dorthin aus. Als gegen Nachmittag die Stadt selber bombardiert wurde, waren noch nicht alle Hilfskräfte wieder vor Ort. Dies führte zu einer Verschlimmerung der Situation in Celle. 

Während man in Celle eigentlich überhaupt keine Spuren des Bombenangriffs vom 8. April 1945 sehen kann, sieht es bei Nienhagen anders aus. Zumal dieser Ort und die Bombardierung unmittelbar mit den Ereignissen in Celle am selben Tag zusammenhängen, sollen die Geschehnisse des 8. April 1945 bei Nienhagen näher betrachtet werden. 




Vor Ort...


Betrachtet man das Satellitenbild in Google Earth (aus 2010) erkennt man auffällig viele schwarze Punkte nördlich der ehemaligen Elwerath-Werke (heute Exxon Mobile) bei Nienhagen. Auf anderen Satelliten-Aufnahmen würde man sie ebenfalls sehen, meist zeigen die Aufnahmen jedoch nur das grüne Blätterdach des heutigen Naturschutzgebietes. 

Das Satellitenbild aus 2010 entstand im Herbst / Winter, sodass die kahlen Bäume den Blick auf den Untergrund freigeben. 


Bild: "schwarze Löcher" im Wald bei Nienhagen.
Quelle: Google Earth.


Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass es sich um Einschlagskrater von Fliegerbomben handeln muss.  


Bild: Muster der Einschlagskrater im Wald bei Nienhagen. Gelbe Pfeile deuten nicht auf die Flugrichtung hin! 
Quelle: Google Earth. 


Begibt man sich vor Ort, wird schnell deutlich, dass es sich nicht um zufällige Tümpel im Wald handeln kann. Keine Fischteiche und keine Laune der Natur. Hier war einst gewaltige Sprengkraft am Werk...


Bild: Einschlagskrater im Wald bei Nienhagen.
Quelle: eigenes Bild.


Bild: Einschlagskrater im Wald bei Nienhagen.
Quelle: eigenes Bild.


Bild: Einschlagskrater im Wald bei Nienhagen.
Quelle: eigenes Bild.


Bild: Einschlagskrater im Wald bei Nienhagen.
Quelle: eigenes Bild.


Bild: Einschlagskrater im Wald bei Nienhagen.
Quelle: eigenes Bild.


Bild: Einschlagskrater im Wald bei Nienhagen.
Quelle: eigenes Bild.


Heute sind die Einschlagskrater mit Wasser gefüllt und teilweise tief im Wald verborgen. Nichts erinnert so gesehen an die Hölle die gegen Mittag des 8. April 1945 hier getobt haben muss. Und doch sind diese Krater Zeugen dieses Tages. Kaum 5 Stunden später schlugen Bomben desselben Typs in der Stadt Celle ein. 

Bild: Die ehemaligen Elwerath-Werke bei Nienhagen heute (heute Exxon Mobile).
Quelle: eigenes Bild.



Hintergründe...


Zum 8. April 1945 findet sich folgender Eintrag in der Chronologie der 9. US-Luftflotte: 


TACTICAL OPERATIONS 
First Tactical Air Force (Provisional): The 367th Fighter Squadron, 358th Fighter Group, moves form Toul, France to Sandhofen, Germany with P-47s.

Ninth Air Force: In Germany, around 620 A-20s, A-26s, and B-26s bomb the Munchenbernsdorf oil storage depot, the Sonderhausen communications center, Nienhagen oil refinery, Celle marshalling yard, and 8 city areas; fighters escort the bombers, attack an airfield, fly patrols and armed reconnaissance, and operate in conjunction with the US VIII, XII, and XX Corps (…)



Die 9. USAAF griff also sowohl die Ölwerke, als auch den Celler Güterbahnhof an. Beteiligt waren dabei Flugzeuge des Typs B-26s Marauder. Beteiligt waren an der Bombardierung die 387, 394 und die 397 Bombing Group. 

Die geheimen Tagesberichte des Oberkommandos der Wehrmacht erwähnten den Angriff auf die Ölwerke ebenfalls. Es hieß: 

Nienhagen (bei Celle): Zahlreiche Spreng- und Brandbomben. Masse der Bomben in freies Feld. 

Die amerikanischen Überlieferungen zum Resultat der Bombardierung sagen etwas anderes. Darin heißt es der Einsatz der 387, 394 und 397 Bombing Group und der Einsatz der B-26s Marauder Flugzeuge habe die Raffinerie bei Nienhagen voll getroffen. Es ist die Rede von "spektakulären" Ergebnissen dieses Einsatzes. Die Rauchwolken seien so groß und heftig gewesen, dass sie einigen Piloten die Sicht nahmen. 


Bild: B-26s Marauder.
Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:B_26.jpg  (Public domain).


Ob nun die deutschen Überlieferungen etwas beschönigen wollten, oder ob die amerikanischen Darstellungen etwas übertreiben, kann man nicht einwandfrei sagen. 

Laut Zeugenaussagen sah man die Rauchwolken der brennenden Ölwerke bis nach Bockelskamp (Entfernung (Luftlinie): ca. 8 Km). Das spricht jedenfalls dafür, dass nicht alle Bomben der 9. USAAF am 8. April 1945 ins "freie Feld" fielen. Die Krater im Wald nördlich der einstigen Ölwerke zeugen jedoch davon, dass zumindest nicht alle Bomben ihr Ziel trafen. Noch viele Jahre nach dem Krieg existierte ein Flak-Bunker aus Beton auf dem Gelände der ehemaligen Ölwerke. 

Insgesamt ist festzuhalten, dass der 8. April als Datum der Bombardierung der Stadt Celle in die Geschichte einging. Oft werden dabei die tragischen Zusammenhänge vergessen, die dazu führten, dass ein voll besetzter KZ-Transportzug nach Celle gelangte. Der Luftangriff auf die Ölwerke bei Nienhagen hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass der Zug schnell nach Celle weitergeleitet wurde. 

Die Kraterlandschaft im Wald bei Nienhagen verdeutlicht, welches Inferno die Bomben am 8. April 1945, auch in Celle, angerichtet haben müssen. 



Viele Grüße, 
Hendrik








2 Kommentare:

  1. Moin Hendrik. Das ist so nicht ganz richtig. Die Bomber flogen nicht, so wie es die Pfeile andeuten, aus Nord/West na, sondern aus Nord/Ost. Die Einschlagskrater ziehen sich von den Erdölwerken bis hin zum Baugebiet "Papenhorster Strasse". So wurden z.B Bei der Erschließung des Baugebietes "Bütenhorst" und zuletzt 2010 im Forst Brand (welchen die von dir gezeigten Bilder darstellt) jeweils zwei Blindgänger entschärft. Interessant dabei ist aber, das die Alliierten trotz des gezielten Angriffs auf die Gewerkschaft Elwerath Niewnhagen, heute Exxon Mobil, kaum Treffer erzielten. Fast alle Bomben gingen zu früh und damit im Wald nieder.

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    1. Vielen Dank für Deinen Kommentar, Mirco.
      Das klingt sehr interessant - wie man sieht: man lernt nie aus. Ich hatte wirklich angenommen, die Einschlagskrater würden für eine Nord/West-Richtung sprechen. Das hatte aus meinem Verständnis auch vor dem Hintergrund der Frontverläufe Sinn gemacht, aber es sind eben nur Beobachtungen. Sehr interessant und hilfreich, dass Du an dieser Stelle weitere Details und Richtigstellungen einbringen konntest! Ich freue mich immer über solche Kommentare :)

      Viele Grüße,
      Hendrik

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