Um die Entstehung der Dörfer im Landkreis Celle zu verstehen kommt man nicht umhin einige Begrifflichkeit zu klären, die aus dem heutigen Sprachgebrauch entschwunden sind. Oft liest und hört man etwas von "Meiern" und "Köthnern" - aber was hat es mit diesen Bezeichnungen auf sich? Die Dorfbewohner bildeten früher die kleinste Einheit in einem Ort - in diesem Beitrag sollen die unterschiedlichen Klassen von einst vorgestellt werden.
Die heutigen Dörfer haben nur wenig mit ihrem traditionellen Erscheinungsbild gemeinsam. So lassen sich mancherorts kaum noch die historischen Dorfkerne erkennen - sie scheinen außerdem fast verschwindend klein im Vergleich zu den angesiedelten Neubauten. Orte wie Lachendorf beispielsweise sind um ein Vielfaches gewachsen und haben sich in den letzten 100 Jahren massiv ausgedehnt. Wo einst die ausgedehnten Felder des alten Dorfes lagen, stehen heute Ein- und Mehrfamilienhäuser.
Quelle: preuß. Messtischblatt 1900, Google Earth.
Dabei hat sich natürlich das Gesamtbild des Dorfes und die wirtschaftlichen Betätigungsfelder seiner Bewohner erheblich gewandelt. Auch wenn nach wie vor Ackerbau auf den umliegenden Fluren betrieben wird, so stellt diese keinen Vergleich zu einst dar. Vielmehr findet sich in den Dörfer heute eine auf Handel und Dienstleistung ausgerichtete Wirtschaft.
Auch die Art und Weise wie sich das Dorf entwickelt hat sich geändert. Heute hängt die Möglichkeit Bauland zu erwerben und ein Haus zu errichten maßgeblich vom zur Verfügung stehenden Einkommen des Einzelnen ab. Früher existierte neben diesen Faktoren ein weiterer wichtiger Aspekt: der gesellschaftliche Stand der betreffenden Person.
Die Dorfbewohner gehörten einst unterschiedlichen Klassen an, von denen vieles im alltäglichen Leben abhing - unter anderem wo gesiedelt werden durfte und in welchem Ausmaß Land bestellt werden durfte. Die Entwicklung des Dorfes lässt sich aus heutiger Sicht nur dann sinnvoll nachvollziehen, wenn man diese Klassen berücksichtigt.
In Dorfchroniken finden sich die Begriffe "Meier", "Kötner", "Häuslinge", "An- und Abbauer" oft ohne dass sie erklärt werden. Für das geschichtliche Verständnis der Dorfstruktur sind diese Bezeichnungen allerdings äußerst wichtig und sollen daher in diesem Beitrag vorgestellt werden.
Die Meier
In frühester Zeit gab es nur zwei unterschiedliche Klassen der Dorfbewohner: die Meier und die Kötner. Der wesentliche Unterschied zwischen ihnen war nicht vorrangig die Größe ihrer Höfe und Ländereien, sondern vor allem ein rechtlicher. Es gab Meier- und Köthnerland. Meier waren die älteste, wohlhabendste und angesehenste Klasse im Dorf. Das Meierland wurde von einem Meierhof bewirtschaftet. Ein Vollmeierhof verfügte in der Regel über 4 Hufen (= 120 Morgen) Land. Im Falle einer Teilung entstanden zwei Halbmeierhöfe mit jeweils 60 Morgen Land. Derartige Teilungen kamen durchaus häufig vor, sodass es auch 1/8 Meierhöfe gab, was für den jeweiligen Hof einen Landbesitz von gerade einmal 15 Morgen bedeutete. Damit verfügte ein solcher Meierhof im Grunde über weniger Land als mancher Köthnerhof. Dennoch wurde die Bezeichnung für solche zersplitterten Meierhöfe beibehalten - die Klasse der Meier stand somit im Vordergund der Unterscheidung.
Grundsätzlich bestand das Meierland aus den ältesten und besten Flurstücken, d.h. in Bezug auf die Lage und Bodengüte war das Meierland im Regelfall besser als die Ländreien der anderen Klassen.
Die Köthner
Neben den Meiern gab es einst die Köthner. Sie waren die, in einer Kote (= Haus) sitzenden, also selbst Besitzer eines Hofes. Köthnerhöfe waren oft Erweiterungen des Dorfes, wobei die Köthner grundsätzlich vollberechtigte Gemeindemitglieder waren. Teilte sich ein Köthnerhof auf, so konnten zwei Halbköthnerhöfe entstehen, deren Besitzer wiederum vollberechtigte Gemeindemitglieder waren. In vielen Fällen entstanden allerdings bei Teilungen nicht zwei neue Köthnerhöfe, sondern eine Abbauerstelle.
Anders als das Meierland entstammte das Köthnerland nicht einer einzigen Herkunftsquelle. Es kam vielmehr im Lauf der Jahre durch verschiedene Rechtsgeschäfte, wie Ankäufe und Tausche zusammen. Daher besaß das Köthnerland grundsätzlich auch nicht den geschlossenen rechtlichen Zusammenhang wie das Meierland.
Die Bezeichnungen der einzelnen Klassen waren im alltäglichen Leben präsent. In offiziellen Briefen wurden Meier, Köthner u.a. mit dem entsprechenden Zusatz benannt.
Die Bezeichnungen der einzelnen Klassen waren im alltäglichen Leben präsent. In offiziellen Briefen wurden Meier, Köthner u.a. mit dem entsprechenden Zusatz benannt.
Bild: Ausschnitt aus einem Briefkopf 1889 der Gemeinde Schwachhausen.
Quelle: Archiv Altmann.
Im 18. Jahrhundert erreichten die meisten Dörfer bereits ihre maximale Ausdehnung - zumindest auf die in Verwendung genommenen Flächen bezogen. Es wurden zwar nach wie vor Flächen urbar gemacht, aber dies geschah meist nur in den ohnehin rechtlich gesteckten Grenzen. Im Bereich der Dörfer entstanden in dieser Zeit die sogenannten Brinksitzerstellen.
Die Brinksitzer
Brinksitzer wurden allgemein nicht mehr als "Höfe" bezeichnet. Die Brinksitzer bauten ihre Häuser auf dem "Brink" - dem Gemeindeanger, also Wiesen die zum Allmendebesitz der Meier und Köthner zählten. Die Allmende konnte von jedem (Meier, Köthner) gleichermaßen zum Weiden der Tiere genutzt werden und war daher Gemeinschaftsbesitz. Ob ein Brinksitzer auf dieser Fläche siedeln dürfe hing daher von der Zustimmung der eingesessenen Dorfbewohner abhängig.
Die Rechte der Brinksitzer in der Gemeinde waren von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit sehr unterschiedlich. Inwiefern sie Anteile am Gemeindebesitz hatten wurde erstmals im Rahmen der Verkoppelung festgeschrieben. So könnte es dem Brinksitzer gestattet sein eine Kuh auf den Gemeindeanger zu stellen und diese dort weiden zu lassen. Allerdings musste er dafür ein entsprechendes Weideentgelt leisten.
Die An- bzw. Abbauern
Eine weitere Klasse im Dorf waren die An- bzw. Abbauern. Sie besaßen weder Höfe noch übten sie selbstständig landwirtschaftliche Tätigkeiten aus. Oft waren die An- oder Abbauern Tagelöhner und Handwerker. Sie hatten zwar einen Anteil am Gemeindebesitz, jedoch regelmäßig kein Eigentum daran. Damit sind die An- und Abbauern eine jüngere Ausprägung der Brinksitzer. Sie standen außerdem meist in einem direkten Verhältnis zu einem vorhandenen Hof und bewirtschafteten zum eigenen Bedarf oft ein kleines Stück Gartenland.
Die Häuslinge
Vom Besitz am Boden ausgeschlossen waren die Häuslinge, auch "Einlieger" genannt. Sie wohnten auf den Höfen und in den Gebäuden der anderen Klassen zur Miete. Während es früher vergleichsweise wenige Häuslinge gab, stieg ihre Anzahl aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert stark an.
Die Altenteiler
Eine Untergruppe der Häuslinge, da in den bestehenden Rechten ähnlich ausgestattet, waren die Altenteiler. Solche hatten den Hof übergeben und sich auf Lebenszeit eine Wohnung als Nießbrauchsrecht vorbehalten. Diese Unterkunft könnte direkt auf dem Hof oder aus abseits davon liegen.
Im Dorf lebten einst auch viele Personen die Hilfstätigkeiten ausübten. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Gesinde des Bauern, also die Knechte und Mägde zu nennen. Auch Handwerker lebten einst in der Gemeinschaft des Dorfes, allerdings bezieht sich die Bezeichnung Handwerker nicht auf eine feste Klasse, sondern vielmehr auf eine ausgeübte Tätigkeit. Der Vollständigkeit halber sind somit ebenfalls die Beamten (Lehrer, Pfarrer, Förster) zu nennen.
Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert beherbergte das Dorf nicht selten auch "die Reiter". Sie stellten eine ständige Einquartierung dar und gehörten somit nicht direkt zum Dorf, lebten aber dort. Ihre Pferde wurden auf dem sogenannten Reuteranger geweidet. Noch heute finden sich in vielen Dörfern Flurbezeichnungen wie "Reuterwiese" - sie deuten auf diese Zeit.
Im nächsten Abschnitt wird die geschichtliche Entwicklung der Dörfer behandelt.