f Erdölbohrungen bei Wienhausen 1934 bis 1945 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Donnerstag, 15. August 2013

Erdölbohrungen bei Wienhausen 1934 bis 1945


Einleitung


Einige der älteren Wienhäuser können sich vielleicht noch an die Ereignisse erinnern, die schon einmal in der 30er Jahren und dann wieder im Zweiten Weltkrieg unweit des Ortes stattfanden: die Suche nach Erdöl. 

Heute gibt es keine Hinweise mehr auf Förderanlagen oder dergleichen. Es stellt sich also die Frage, was aus der Suche nach dem schwarzen Gold wurde. Es scheint fast so, als müsste man etwas weiter ausholen, um die Zusammenhänge zu verstehen, die 1943 dazu führten, alte Bohrlöcher wieder neu zu untersuchen...


Hintergründe


Bereits im Ersten Weltkrieg hatte sich Erdöl zu einem äußerst wichtigen und kriegsnotwendigen Rohstoff entwickelt. Die zunehmende Technisierung brachte es mit sich, dass der Bedarf an Erdöl, zunächst in der verarbeitenden Industrie und als Schmierstoff drastisch zu steigen begann. Die treibende Kraft war in Deutschland dabei gar nicht mal so sehr das Benzin, zumal Anfang der 20er Jahre nur ein Automobil auf 200 Personen kam. 

Wichtig wurde das Öl im Ersten Weltkrieg vor allem bei den neu entwickelten und erstmals eingesetzten Panzern ("Tanks"). In der zivilen Industrie wurde der Rohstoff vor allem bei der Herstellung neuartiger Produkte immer bedeutender. 

Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren fossile Rohstoffe zur Energiegewinnung eingesetzt worden. Es wurde auch bereits Erdöl gewonnen, wobei man sich meist bis zur Jahrhundertwende auf natürlich Zutage tretende Vorkommen beschränkte (sog. "Teerkuhlen"). 

Schon im Jahr 1652 wird im Celler Landkreis von einer solchen natürlichen Quelle berichtet. Sie lag auf einem Acker, der dem Wietzer Hinrich Lohmann gehörte. Dort soll in besagtem Jahr eine natürliche Teerquelle Zutage getreten sein. Bis 1859 wurde der Teer bzw. das Öl mit Handbohrern oder auch mittels Kellen gewonnen und abgeschöpft. Diese primitiven Mittel reichten aus, um den Bedarf zu decken, denn das Öl wurde meistens nur für, aus heutiger Sicht, nebensächliche Zwecke verwendet. 

Beispielsweise wurden Heilmittel daraus gewonnen, Schmiere zum Abdichten hergestellt und es kam sogar zum Export Wietzer Öl nach Hamburg. Erst in den Jahren 1859 bis 1885 wurde die systematische Ausbeutung der Ölfelder westlich von Celle begonnen. Der gestiegene Bedarf schuf eine lukrative neue Branche: das Geschäft mit Bohrungen und der Forderung des "schwarzen Goldes".  


Bild: Bohrbetriebe bei Wietze, um 1905. 
Quelle: Speicher. 

Die Anzahl der Bohrungen im Raum Wietze nahm über die Jahre ein so erhebliches Ausmaß an, dass Beobachter teilweise von einem "deutschen Baku" sprachen. 

Im Jahre 1904 erbaute die Celle-Wietze-Aktiengesellschaft eine Raffinerie, die fortan 200 Fässer Erdöl am Tag verarbeiten konnte. Als Haupterzeugnis entstand Petroleum. Damit wurde gleichzeitig ein Versuch unternommen den deutschen Markt von Importen unabhängig zu machen. 


Bild: Förderanlagen bei Wietze, um 1905. 
Quelle: Speicher. 

Auch die Gebiete um Nienhagen versprachen hohe Förderraten. So kam es im Raum Nienhagen bereits in den Jahren nach 1860 zu zahlreichen Flachbohrungen und ab 1920 auch zu den ersten Tiefbohrungen nach Erdöl. 1920 bohrte die neugegründete Gesellschaft "Elwerath" erstmals in eine Tiefe von über 500m und wurde dabei fündig. Die Quelle war so ergiebig, dass das Öl über ein Jahr lang frei aus dem Bohrloch sprudelte. Die Förderung des Erdöls wuchs im Jahr 1930 auf eine so hohe Menge an, dass in Nienhagen ca. 51% des Erdölbedarfes des Deutschen Reiches gefördert wurden. Zusammen mit den Ölfeldern bei Wietze lag somit das größte deutsche Ölfeld vor dem Zweiten Weltkrieg in der Region um Celle. 

Die Erweiterungen der Elwerath in der Nienhagener Umgebung lagen auf Platz Eins der Produktionsstatistik im Deutschen Reich. Bis zum Jahr 1938 wuchsen die Gewinne entsprechend der Fördermenge exponentiell an. Dabei war stets zu beobachten, dass die Fördermenge und der Bedarf stark miteinander korrelierten, d.h. von einander bedingt waren. Ohne den enormen Bedarf an dem Rohstoff Öl wäre es vermutlich nie zu den Explorationen in der Region gekommen. 

Im Jahr 1938 verkalkulierte sich die Elwerath durch teilweise unvorhersehbare Fehlbohrungen (Mölme, Fallstein, Broistedt, Abbensen, Meckelfeld). Zudem wurden die Gewinne aus dem gewonnenen Erdöl nicht strategisch reinvestiert, sodass die Elwerath ab 1938 vor dem Problem stand sich neue Lagerstätten anzueignen, bzw. neue Vorkommen zu erschließen (Kockel, T., Deutsche Ölpolitik 1928-1938). 


Andere Entwicklungen...


Schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stand fest, dass dieser Krieg anders sein würde, als vorhergegangene. Das war auch den deutschen Strategen und Hitler selbst bewusst. Sein Ziel war es in vielen Belangen Unabhängigkeit von den Nachbarländern zu erreichen. Während also im Iran und um das Kaspische Meer die riesigen Welt-Erdölvorkommen entdeckt wurden, entwickelten deutsche Ingenieure fieberhaft eine Technologie, die das Dritte Reich von Importen unabhängig machen sollte. 

Recht schnell wurde den Forschern klar, dass in Deutschland keine ausreichenden Erdölvorkommen lagerten. Wohl aber gab es enorme Kohlevorkommen. Es war daher möglich mittels neuer, aufwendiger Verfahren langkettige Kohlenstoffe in kürzere Kohlenwasserstoffe zu spalten. Dieses Verfahren bezeichnet man auch als "Cracken" (Aufbrechen). Im Reich wurden sogenannte "Hydrierwerke" errichtet, die genau dies erzielen sollten (mehr dazu: Hier). 

Es ist umstritten, ob Shell oder Esso zuerst in der Lage waren dieses Verfahren anzuwenden. Ein interessanter Spiegel-Artikel zu diesem Thema findet sich hier: Spiegel-Artikel 1954. (Auch relevant: Westdeutschlands größte Raffinerie, Zeit, 1954). 

Die Hydrierwerke waren somit in der Lage Benzin synthetisch herzustellen und schufen so einen gewissen Gegenpool zum Erdölmarkt. Allerdings waren die Investitionen in derartige Anlagen so hoch, dass bei Ausbruch des Krieges nicht ausreichend Hydrierwerke existierten, um den deutschen Gesamtbedarf zu decken. Es waren also auch weiterhin Importe notwendig. Die Bedarfssituation konnte daher nur in Teilen entspannt werden. Die Nazis nutzen diesen Umstand selbstverständlich für Propagandazwecke. Schließlich galt es, das deutsche Volk auf einen Krieg einzuschwören - da kam die Nachricht, man sei in der Lage von Importen unabhängig zu sein, gerade recht. Auch wenn dies nicht der Realität entsprach. 

Als die deutsche Wehrmacht im Spätsommer 1939 Polen überfiel, fuhren die Panzer zur Hälfte mit synthetisch erzeugten Benzin. Hitler hatte schon frühzeitig Verträge mit Rumänien und Russland geschlossen, um die Rohstoffversorgung zu sichern. Als Polen eingenommen und durch den Nichtangriffspakt Hitlers mit Stalin die deutsche und russische Grenze zusammenfielen, rollten auch zahlreiche Tankwagen mit russischem Öl ins Deutsche Reich. 

Für die Strategie der "Blitzkriege" war es wichtig über enorme Ressourcen zu verfügen. Die deutschen Panzer verschlangen in den Angriffsschlachten etliche Tonnen Treibstoff. 

Die Flächenbombardements der Alliierten und der Überfall auf Russland brachten das Deutsche Reich im Verlauf des Krieges recht bald an den Kollaps, was die Erdölversorgung betraf. Die Hydrierwerke lagen in weiten Teilen in Schutt und Asche. Sie waren meistens Überirdisch errichtet worden, da niemand zu Beginn des Krieges mit Luftangriffen gerechnet hatte. Nun wurden Raffinerien und Hydrierwerke zu einem der Hauptziele alliierter Angriffe. Man hatte erkannt, dass dies eine der empfindlichsten und verwundbarsten Stellen des Deutschen Reiches war. 

Durch den Überfall auf Russland kamen zudem keine Rohstoffe aus den reichen Erdölgebieten Stalins mehr ins Deutsche Reich. Darüber hinaus wurde die Versorgung durch rumänisches Erdöl durch Partisanenangriffe und schließlich die Bedrohung durch die Rote Armee gefährdet. 



Alternativen


Schon 1943 war die Lage im militärischen Treibstoffsektor derart desolat, dass man Auswege suchte, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. Wie bereits eingangs erwähnt, orientierte sich die deutsche Fördermenge seit Beginn des 20. Jahrhunderts stark am Bedarf - und dieser war im Zuge des Krieges immens geworden. Alleine im Wüstenkrieg wurden etliche Reserven verbraucht. Auch die weiten Russlands erforderten ein unglaubliches Maß an Treibstoff - ohne diesen kamen ganze verbände zum Stehen. Teilweise konnten sich ganze Frontabschnitte nicht bewegen, alleine weil es am kostbaren Treibstoff mangelte. 

Diesen Missstand erkannten auch die deutschen Förderbetriebe. Es mussten Alternativen her, um zumindest dem akuten Notstand entgegenzuwirken. 

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatten deutsche Erdölbetriebe die Felder erkundet. Recht früh hatte die Elwerath die Untersuchung der Umgebung Wienhausens begonnen und schon Anfang der Dreißigerjahre einige Tiefenbohrungen vorgenommen. 


Bild: Bohrungen um Wienhausen.
Quelle: NIBIS Kartenserver, LBEG 2013.


Legende: 


Bild: Legende zu den Bohrungen bei Wienhausen. 
Quelle: NIBIS Kartenserver, LBEG 2013. 


Auf einem Ackerstück am alten Postweg südöstlich von Wienhausen brachte die Elwerath Anfang 1937 die tiefste Bohrung Deutschlands hervor. Mit einer Tiefe von ca. 3.400m war dies eine europaweit rekordverdächtige Tiefenbohrung. Sie trug den Namen "Wienhausen 10". Die Bohrung wurde durchgeführt von der Deutag, einer Bohrfirma die auch heute noch existiert. Sie erfolgte in der Zeit zwischen Mai und Dezember 1936. Allerdings wurde die Bohrung schon wenige Monate später von einer anderen Tiefenborhung vom ersten Platz abgelöst. 

Es scheint fast so als wären diese Bohrungen bei Ausbruch des Krieges 1939 bereits vergessen gewesen. Dann 1943 aber wurden sie wieder aufgenommen. Dabei wurden zahlreiche neue Bohrlöcher im Bereich des Mühlenkanals angelegt. Bis in den Januar 1945 wurde bei Wienhausen gebohrt, wobei etwa die Hälfte der Bohrungen nicht zur Freigabe kam. Insgesamt 28 Tiefenbohrungen unterschiedlicher "Endteufe" (Endtiefe) wurden im Raum Wienhausen-Postweg-Mühlenkanal schließlich vorgenommen.

Die Vorkommen bei Wienhausen waren sicherlich nicht ergiebig genug, als dass sich ein Ausbau der Förderanlagen gelohnt hätte. Es fehlte zudem an Ressourcen und Möglichkeiten die Vorkommen wirtschaftlich auszubeuten. 


Bild: Lage des Bohrloch Nr. 10 am Postweg bei Wienhausen. 
Quelle: Google Earth. 


Da das Deutsche Reich schon vor dem Zweiten Weltkrieg über die Hälfte seines Erdölbedarfes durch Importe decken musste, konnten die neuen Explorationen nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein bedeuten. Die Ölbetriebe der Elwerath in Nienhagen wurden währenddessen mehrfach durch alliierte Luftangriffe in Mitleidenschaft gezogen. Noch im unmittelbaren Vorfeld des verheerenden Angriffes auf den Celler Güterbahnhof am 8. April 1945 griffen amerikanische Bomberverbände Nienhagen an. 

Bereits vorher war das Öl verheerend knapp geworden: als am 16. Dezember 1944 die Ardennenoffensive begann, waren nicht ausreichend Reserven vorhanden. Zwar verfügte die deutsche Armee über schlagkräftige Panzerverbände - diese kamen aber vielerorts aus Treibstoffmangel nicht voran. Obwohl die Ardennenoffensive allgemein als letzter und verzweifelter Versuch angesehen wird, den Kriegsverlauf doch noch einmal entscheidend zu beeinflussen, war sie u.a. auch aus Versorgungsgründen im Vorhinein zum Scheitern verurteilt. 

"Wunderwaffen" die Hitler dem deutschen Volk versprochen hatte, nämlich die neuentwickelten Raketen (V1 / V2), konnten nicht wie geplant eingesetzt werden. An vielen Abschussrampen mussten die Waffen am Boden bleiben, da nicht genügend Treibstoff vorhanden war und der Nachschub nicht gewährleistet werden konnte. Dieses Schicksal traf auch die Luftwaffe. Neben geschulten und einsatzerprobten Piloten war der Treibstoffnachschub eines ihrer größten Probleme.

Als der Krieg endete, war zwar auch die deutsche Erdölindustrie massiv in Mitleidenschaft gezogen. Andererseits gab es aber auch nicht mehr das enorme Ausmaß an Maschinen, die versorgt werden mussten: der Bedarf war zunächst eingebrochen. Die Hydrierwerke wurden nicht wieder neu aufgebaut. 

Recht schnell zeichnete sich ab, dass die Erdölförderung in Deutschland nicht wieder aufleben würde, zumal ausländische Unternehmen und andere Nationen den internationalen Erdölmarkt dominierten. 


Fazit


Bis in die 50er Jahre wurden noch Bohrversuche bei Wienhausen unternommen. Allerdings entwickelte sich dort nie ein vergleichbares "Erdölrevier" wie in Wietze oder Nienhagen. Ein Grund dafür wird sicherlich gewesen sein, dass es anderen Ortes ergiebigere und leichter abbaubare Vorkommen gab. Außerdem waren die Bohrverfahren technisch noch nicht auf dem Stand kleinere Vorkommen effizient auszubeuten. Es wäre zu seiner Zeit unwirtschaftlich gewesen. So gesehen sind die Bohrungen bei Wienhausen eher als Probe-Bohrungen zu werten. Ein organisierter Förderbetrieb entstand nicht. 

Heute sind die Bohrungen in Vergessenheit geraten. Die Bohrlöcher sind in der Landschaft natürlich nicht mehr sichtbar. Nur auf Karten, wie dem NIBIS-Projekt der LBEG kann man den genauen Standort der Bohrungen nachvollziehen. 

Festzuhalten bleibt, dass es nie zu Bohrungen in der Umgebung Wienhausens gekommen wäre, wenn sich die Bedarfssituation und sich die Lage auf dem Erdöl-Markt, zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, nicht so dramatisch verschärft hätten. Durch die Erschließung der großen Erdölvorkommen in Saudi Arabien, in Zentralasien und Russland, wie auch in Mittel- und Südamerika, war jede Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit deutschen Erdöls gestorben. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis heute wird die Abhängigkeit vom internationalen Erdölmarkt deutlich. 

Auch wenn heute möglicherweise kleinere Vorkommen effizienter ausgebeutet werden könnten - rein technisch - ist es dennoch wirtschaftlich kaum sinnvoll derartige Projekte wieder aufzunehmen. Wie die Dokumentationen (beispielsweise im Erdölmuseum in Wietze ) zeigen, entwickelte sich der deutsche Erdölboom in einer Zeit, zu der "moderne" Themen, wie Umweltschutz oder erneuerbare Energien, keine Rolle spielten. Um die Jahrhundertwende (1900) kümmerte es keinen, wenn weite Ölteppiche auf dem Fluss Wietze trieben. 


Interessante Dokumentationen zum Thema: 







Viele Grüße, 

Hendrik
















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