Abseits von besiedelten Gebieten und wichtiger Infrastrukturverbindungen entstand unmittelbar zu Beginn des Zweiten Weltkrieges eine geheime militärische Anlage im Bornriethmoor südöstlich von Oldendorf. Da historische Quellen nur noch in geringem Umfang vorliegen, geben archäologische Methoden weiteren Aufschluss zu den Zusammenhängen.
Wie kaum in einer anderen Zeit entstanden ab der Phase der Wiederaufrüstung ab Mitte der Dreißigerjahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wichtige technologische Neuerungen, die darauf abzielten militärische Vorteile zu erzielen. Durch ihrerseits neuartig hervorgebrachte Entwicklungen versuchten die jeweils gegnerischen Kriegsparteien fortlaufend einander zu übertrumpfen – der Zweite Weltkrieg war somit auch ein Kampf um die Innovation neuer Technologien. Diese dienten nicht zuletzt zur Aufklärung feindlicher Standorte, Anlagen und Stellungen, d.h. zur Gewinnung militärisch relevanter Informationen.
Bereits im Ersten Weltkrieg erlangte die Aufklärung aus der Luft durch Beobachtungsflüge und fotografische Aufnahmen gesteigerte Bedeutung für das Militär. Im Zweiten Weltkrieg kamen diese grundsätzlichen Methoden erstmals großflächig und auf der Grundlage verbesserter Kameratechnik zum Einsatz. Den Nutzen für die militärische Aufklärung belegen unter anderem tausende alliierter Luftbilder, die bis heute zur Rekonstruktion der damaligen Geschehnisse herangezogen werden können. Auch wenn einzelne Zeitzeugenberichte etwas anderes nahelegen, dürften den Westalliierten die meisten Rüstungs- und Militärstandorte im Raum Celle im Laufe des Krieges unter anderem durch die Luftaufklärung bekannt geworden sein. Um Angriffen vorzubeugen, wurden umfangreiche Luftschutzmaßnahmen ergriffen – so auch für den Fliegerhorst Faßberg.
Neben Tarn- und Verdunkelungsmaßnahmen im Bereich des Fliegerhorstes wurde gegen Ende August 1939 eine Tagesscheinanlage (Tag-Scheinflughafen) mit entsprechenden Attrappen bei Beutzen angelegt.[1] Der Standort dieser Scheinanlage konnte im Gelände bereits nachgewiesen werden. Darüber hinaus wurde in der Misselhorner Heide – im Bereich unweit des Tiefental – eine Nachscheinanlage (Nacht-Scheinflughafen) installiert. Diese Anlage wurde jedoch bereits drei Tage später als ungeeignet befunden und ebenfalls nach Beutzen verlegt.[2] Der dortige Standort unweit des Bornriethmoores bot ideale Voraussetzungen. Er entsprach auch den allgemeinen Luftwaffendienstvorschriften, wonach ein die Scheinanlagen einen Sicherheitsabstand von mindestens 1 km zu allen Seiten einhalten mussten.[3]
Bild: Bornriethmoor um 1936. Quelle: Messtischblatt Nr. 3226 Sülze, 1:25.000, 1936.
Das Bornriethmoor wurde früher lediglich zum Torfabbau genutzt – in zeitgenössischen Karten sind zahlreiche Torfstiche im Bereich des Moores zu erkennen.[4] Der Torf wurde vor allem insbesondere für den Betrieb der Salzsiedepfannen in der Saline Sülze benötigt. Zwischen 1590 und 1720 soll der Torfverbrauch von 5 Millionen Stück Torf auf über 10 Millionen Stück gestiegen sein.[5] Daher wurden die größeren Moore in der Umgebung der Reihe nach ausgebeutet.
Bis auf die Höfe Beutzen, Dehningshof und Severloh gab es in dieser Gegend keine Besiedlung und auch keine größeren landwirtschaftlich genutzten Flächen – wirtschaftliche Schäden waren daher kaum zu befürchten. Mangels anderweitiger Lichtquellen in der näheren Umgebung konnte die Nachtscheinanlage darüber hinaus die gewünschte Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Bild: Hof Beutzen um 1929. Quelle: privates Fotoalbum, Archiv Altmann.
Die Scheinanlagen hatten grundsätzlich den Zweck feindlichen Luftstreitkräften die gesuchten oder sonstige angriffswürdige Ziele vorzutäuschen und von den wirklichen Zielen abzulenken.[6] Wenn möglich, wurden die Scheinanlagen in der Nähe oder zumindest im Wirkungsbereich von Flakstellungen oder in der Nachbarschaft von Fliegerhorsten errichtet, wo die einmal militärisch und wirtschaftlich leichter zu betreuen waren und zum anderen bewirken sollten, feindliche Flugzeuge in die Nähe von Stellungen der aktiven Luftverteidigung zu locken.[7] Es ist daher nicht verwunderlich, dass nahezu alle Flugplätze in der Umgebung über entsprechende Scheinanlagen verfügten (z.B. Dedelstorf, Wesendorf und Hustedt).
Für Tagscheinanlagen war ein relativ hoher Aufwand erforderlich, um die Gebäude und Infrastrukturanlagen einer tatsächlich genutzten Einrichtung nachzustellen. Wirkungsvoller - und deutlich einfacher umsetzbar - waren Nachtscheinanlagen, die durch entsprechende Beleuchtung militärische Ziele suggerierten. Von einfachen Petroleumlampen und Rauchöfen bis zu elektrischen Beleuchtungsanlagen, die teilweise sogar wechselnde Lichtwirkungen erzeugen konnten, war so ziemlich alles vertreten, was in geeigneter Weise Lichterscheinungen hervorrief, die zum Bombenabwurf reizen konnten.[8] Zu eben jenem Zweck wurde die Scheinanlage unweit des Bornriethmoores östlich von Beutzen errichtet.
Bild: Übersichtskarte Scheinflugplatz. Quelle: Open Street Map.
Besetzt soll die Anlage von bis zu acht Soldaten gewesen sein, die für die Instandhaltung und Bedienung zuständig waren.[9] Ob die Mannschaften in einer Baracke südlich von Oldendorf – im Bereich des heutigen „Haus der Natur“ – untergebracht waren, konnte noch nicht abschließend geklärt werden. Grundsätzlich lag die Betreuung und Bedienung der Scheinanlagen in der Hand von Einheiten der Luftschutztruppe z.b.V. („zur besonderen Verfügung“), die im Regelfall in nahegelegenen Baracken untergebracht waren.[10]
Bild: gemauerter Schaltbunker. Quelle: Altmann, 2020.
Die Scheinanlage bei Beutzen dürfte über verschiedene Bestandteile für Täuschungsmanövern verfügt haben. Im Gelände finden sich noch massiv gemauerte Relikte eines Gebäudes, das sehr wahrscheinlich als splittersicherer Unterstand einen Trafo oder sonstige Schalttechnik beherbergte. Darüber hinaus sollen auf dem Scheinflugplatz auch Attrappen von Flugzeugen vorhanden gewesen sein.[11] Dies ist durchaus plausibel, denn die Scheinanlage konnte tagsüber durch feindliche Aufklärer leicht als solche identifiziert werden. Die Flugzeugattrappen sollten offenbar zumindest einen gewissen Flugbetrieb suggerieren, um den Schein zu wahren.
Der Scheinflughafen bei Beutzen soll sich nach zeitgenössischen Aussagen für den Fliegerhorst Faßberg bewährt haben. Alliierte Flugzeuge sollen die Scheinanlage demzufolge mehrfach bombardiert haben, wobei allerdings keine größeren Schäden entstanden sind.[12] Tatsächlich belegen alliierte Luftaufnahmen mehrere Bombenkrater im Bornriethmoor.[13] Auf aktuellen Satellitenbildern sind die Krater nicht zu erkennen. Ebenso zeigen moderne Laserscandaten, die Unebenheiten der Bodenoberfläche normalerweise detailliert wiedergeben, keine besonderen Auffälligkeiten. Der Grund hierfür: der weiche, moorastige Untergrund dampfte die Explosionswirkung und nachströmendes Wasser füllte die Bombenkrater, sodass diese mit der Zeit verlandeten.
Bild: Bombenkrater, Bornriethmoor. Quelle: Altmann, 2020.
Bild: Bombenkrater, Bornriethmoor. Quelle: Altmann, 2020.
Im Rahmen von Ortsbegehungen konnten die Einschlagskrater allerdings eindeutig als solche identifiziert werden. Sie liegen verstreut im Gelände und lassen keine Rückschlüsse auf einen einzigen koordinierten Angriff zu – vielmehr scheint es sich um die Spuren mehrerer Luftangriffe auf den Scheinflugplatz zu handeln. Insoweit ist jedenfalls belegt, dass die Scheinanlage bei Beutzen ihren Bestimmungszweck erfüllt hat – offensichtlich hat es tatsächlich Luftangriffe gegeben, deren Spuren sich noch heute erkennen lassen.
Bild: Barackenfundamente. Quelle: Altmann, 2020.
Neben den Relikten des befestigten Unterstandes und einigen Bombenkratern sind noch weitere Spuren des ehemaligen Scheinflugplatzes im Gelände feststellbar. Einige Betonfundamente deuten auf Baracken im südlichen Bereich des angetäuschten Flugfeldes hin. Unmittelbar am Rand des Bornriethmoores befinden sich mindestens zwei große quadratische Gruben – diese könnten möglicherweise als Feuerlöschteiche gedient haben.
Bild: quadratische Teiche. Quelle: Altmann, 2020.
In historischen Quellen findet der Scheinflugplatz Beutzen kaum Erwähnung. In einer umfangreichen Nachkriegsaufstellung ehemaliger militärischer Anlagen im Raum Celle werden zwar andere Scheinanlagen in der näheren Umgebung aufgelistet – die Anlage bei Beutzen wird jedoch nicht genannt.[14] Dies ist eigentlich auch nicht weiter verwunderlich – immerhin gab es im Raum Celle eine erhebliche Anzahl ehemals militärisch genutzter Anlagen. Die vergleichsweise kleine Scheinanlage bei Beutzen lag abseits von besiedelten Bereichen und wichtiger Infrastrukturanlagen – vermutlich war sie aus damaliger Sicht einfach nicht erwähnenswert. Später wurden die Flächen des ehemaligen Scheinflugplatzes wieder einer land- bzw. Forstwirtschaftlichen Verwendung zugeführt.
Aus heutiger Sicht wirkt die Scheinanlage am Bornriethmoor vergleichsweise unspektakulär. Sie belegt allerdings die aufwendigen Bemühungen, die im Zweiten Weltkrieg im Rahmen von Luftschutzmaßnahmen ergriffen worden sind.
H. Altmann
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[1] Stärk, Fassberg S. 84.
[2] Stärk, Fassberg S. 84.
[3] Hampe, Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg, S. 559.
[4] Messtischblatt Nr. 3226, 1:25:000, 1936.
[5] V..d. Kammer/Saur/Scheidt, Niedersächsische Bauern in der Lüneburger Heide, S. 24.
[6] Hampe, Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg, S. 559.
[7] Hampe, Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg, S. 559.
[8] Hampe, Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg, S. 561.
[9] Glombek, Chronik der Gemeinde Faßberg, S. 287.
[10] Hampe, Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg, S. 361.
[11] Glombek, Chronik der Gemeinde Faßberg, S. 287.
[12] Stärk, Fassberg S. 90.
[13] 14th Squadron USAAF, 25.04.1945, Frame 3133.
[14] NLA Hannover, Nds. 120 Lüneburg, Acc. 51/79, Nr. 61.
Klasse Bericht. Vielleicht findet sich was in alten Unterlagen der englischen Einheit die ab April 1945 auf Hof Beutzen stationiert waren. Der Name der Einheit ist bekannt.
AntwortenLöschenDa meine Großeltern aus Oldendirf kamen, kenne ich eine Geschichte nach der angeblich bei trockenen Sommern eine Flugzeugkanzel aus dem Moor geschaut haben soll. Ob das aber stimmt, oder es vielleicht nur eine Atrappe war, weiß ich natürlich nicht.
Gruß Frank Dening
Luftschutztruppe z.b.V. ....oder vllt. doch eher eine Landesschützenkp. z.b.V. ? Eine Solche müßte es auf dem Fliegerhorst Faßberg ja gegeben haben.
AntwortenLöschenBeste Grüße
Jan-Hendrik
Moin Jan-Hendrik,
Löschendie "LS Truppe z.b.V." dürfte bei Hampe (s.o.) stellvertretend für die LS Abteilungen z.b.V. der einzelnen Luftgaukommandos stehen. Jedem Luftgaukommando war eine LS Abt. z.b.V. zugeteilt und unterstellt, die je nach Größe und Anzahl der Scheinanlagen innerhalb des Luftgaugebietes in beliebig viele Kompanien unterteilt war...
Beste Grüße
Hendrik
Guten Tag aus Schneverdingen. Habe erstmals diesen Block entdeckt. Mein Name ist Peter Böhme. Mein Vater war der britische Jagdflieger Peter Corin Brown. Meine Verwaqndtschaft in England habe ich bereits gefunden. Mein Vater ist leider viel zu früh verstorben. Ich habe 58 Jahre nach ihm gesucht. Nun, da ich einiges über ihn erfahren habe, interesseirt mich inwieweit er in Celle-Wietzenbruch oder Fassberg stationiert war. Die englischen Unterlagen geben nicht sehr viel her. Nach Aussage meiner Mutter hat sie ihn auf dem Flugplatz Wietzenbruch kennen gelernt. Er war jedoch lt. englischen Unterlagen nur kurz auf dem Flugplatz und nicht stationiert. Wissen Sie mehr ?
AntwortenLöschenGruß Peter Böhme
Schneverdingen
peterboehme2@gmx.de