Bild: Cellesche Zeitung am 17. Februar 1943.
Quelle: CZ 17.02.1943.
Gegen Anfang des Jahres 1943, also etwa um diese Zeit vor 71 Jahren, war es zu einer tragischen Wendung im Zweiten Weltkrieg gekommen. Die 6. Armee unter Führung des Generals der Panzertruppe Friedrich Paulus, war in Stalingrad an der Wolga eingekesselt worden. Nach einem vergeblichen Kapitulationsangebot, welches der deutschen Armeeführung am 10. Januar unterbreitet wurde, kam es in den folgenden Tagen zu einer sowjetischen Großoffensive. Die fast völlig verwüstete Stadt fiel, hunderttausende Soldaten fielen oder gerieten in Gefangenschaft. Aus historischer Sicht kam der Schlacht vor allem deswegen eine so erhebliche Bedeutung zu, da sie für viele den beginnenden Zusammenbruch des Dritten Reiches markierte.
Bild: Sowjetische Soldaten im zerstörten Stalingrad.
Quelle: RIA Novosti archive, image #602161 / Zelma / CC-BY-SA 3.0 (Wikipedia)
Nicht nur die militärischen Verluste an Soldaten und Gerät wogen auf deutscher Seite schwer. In der Heimat kam die deutsche Führung erstmals massiv in die Situation sich zu rechtfertigen - schließlich konnte man sich keine Schwäche gegenüber dem Feixnd eingestehen.
Als am 17. Februar 1943 folgende Artikel in der Tagesausgabe der Celleschen Zeitung erschienen, kämpften immer noch versprengte deutsche Truppen in Stalingrad. Doch die Schlacht war verloren, zumal sich Paulus am 31. Januar 1943 in sowjetische Gefangenschaft begeben hatte. Vor allem in den unterirdischen Kanälen der Stadt wurde noch mehrere Wochen weitergekämpft.
Davon stand natürlich nichts in einer deutschen Tageszeitung. Hier wurde der verlustreiche Ausgang der Schlacht um Stalingrad glorifiziert.
Es war wohl die Rede von einem "verstärkten Widerstand" im Osten, im Hauptartikel der Titelseite vom 17. Februar 1943 wurde der Name "Stalingrad" aber nicht ein einziges Mal erwähnt. Es findet sich eine sachlich-nüchterne Beschreibung der Lage aus dem Führerhauptquartier, bekanntgegeben vom Oberkommando der Wehrmacht.
Darin werden u.a. die Kämpfe im Kuban- und im Donezgebiet erwähnt. Auch die Räume um Krakau und Kursk werden dahingehend mit "zähen" und heftigen Feindeinwirkungen umschrieben - diese seien aber, laut Bericht, bereits zurückgeschlagen worden.
Auch die Regionen des Wolchow und Ladogasees, sowie südöstlich des Ilmensees werden erwähnt. Besonders in der letztgenannten war es bereits zuvor zu einer weiteren Einkesselung deutscher Truppen im Raum Demjansk gekommen, die jedoch durch eine immens aufwändige Luftbrücke stabilisiert werden konnte. Eine Taktik, die in Stalingrad nicht mehr geholfen hat. (Bild zum Vergrößern anklicken!)
Bild: Artikel "Verstärkter Widerstand im Osten"
Quelle: CZ 17.02.1943.
Wie sollte man also mit der Katastrophe von Stalingrad medienwirksam umgehen, ohne sich das eigene Unvermögen, nicht mehr Herr über die Lage zu sein, eingestehen zu müssen?
Wie so oft, besann man sich auf die Geschichte und suchte nach Vergleichen. Die Schlacht sollte nicht als tragischer Wendepunkt, sondern als Beginn eines neuen Aufbegehrens glorifiziert werden. "Nun gerade!", lautete die Botschaft, welche der einstige Artikel auf der Titelseite der Zeitung verkündete.
"Nun gerade!" - dieser trotzige Ausspruch richtete sich nun an diejenigen, die durch die Ereignisse im Osten von beginnender Furcht ergriffen wurden.
Friedrich der Große, Scharnhorst und Blücher sind nur einige, die für diese Propaganda herhalten mussten. Mit anderen Worten sagt der Artikel im Grunde aus, dass jeder große Feldherr Verlusten offensiv gegenübertreten muss, um dann später wieder siegreich zu sein. Schnell ist dabei natürlich auch die Parallele zur verlorenen Schlacht in Stalingrad gezogen.
Anders als zu Zeiten Friedrichs des Großen richtete sich dieser Aufruf nun aber auch an die Zivilbevölkerung. "Jeder, ob Mann, ob Frau, Ob Junge oder Mädel" solle sich nach Leibeskräften anstrengen, sich nun erst recht für die Kriegsziele und Politik des Dritten Reiches einzusetzen. Und wie praktisch: die Gleichschaltung des Bürgers und innere Organisationsstruktur des Reiches macht es einem jeden auch sehr leicht möglich sich nach Leibeskräften anzustrengen.
Vom Ausgang dieser Bestrebungen allein sei es abhängig, ob man mit dem Namen "Stalingrad" Niederlage oder Sieg verbindet, so der Autor in seinem Artikel. Wie man vor dem Hintergrund hunderttausender gefallener und vermisster Soldaten von einem Sieg sprechen kann, scheint an dieser Stelle mehr als fraglich.
(Bild zum Vergrößern anklicken!)
Bild: Artikel "Nun gerade!"
Quelle: CZ 17.02.1943.
Ganz ohne Erfolge wollte man den Leser freilich nicht alleine lassen. So wurden aus den mickrigsten und für den Kriegsverlauf belanglosesten Meldungen auf einmal schlachtentscheidende Nachrichten. Und gab es auch solche nicht, musste eben die Kreativität des Schreibers herhalten und entsprechende Nachrichten oder Geschichten in den Verlauf der aktuellen Entwicklungen einbetten.
So auch in diesem Fall, in dem von "Heldentaten in schwerer Winterschlacht" die Rede ist.
Nur aufgrund fehlender Orts- und Eigennamen, sowie Regimentsbezeichnungen und Rängen, erkennt man, dass es sich hier um reine Fiktion handelt. Der vorliegende Artikel beschreibt anschaulich wie sich Grenadiere unter widrigsten Umständen kriegsheldenhaft gegen den Feind zur Wehr setzen. Die Betonung liegt zumeist auf der Unterordnung des persönlichen Schicksals gegenüber der Truppe. Gemäß dem Spruch "der Zweck heiligt die Mittel" wird beschrieben, wie sich einzelne Soldaten schonungslos gegen den Feind stellen.
Anders als in der Realität ist hier noch von konsequenten Vorwärtsbewegungen die Rede. Dass sich die deutschen Heeresgruppen zu dieser Zeit an fast kaum einer Stelle mehr in solchen Vorwärtsbewegungen befanden, wird im Artikel selbstverständlich nicht erwähnt. Die Wirklichkeit sah an den meisten Orten völlig anders aus: unzureichende Mittel an Waffen, Ausrüstung und Verpflegung lähmten die Truppen. Das Wetter in Form von Eis und Schnee, sowie unüberwindbarem Schlamm bei Tauwetter, machten größere Angriffsbewegungen quasi unmöglich.
Das alles konnte man natürlich nicht in einer Zeitung in der Heimat schreiben. Daher mussten derartige Heldengeschichten herhalten - inspiriert von Einzelschicksalen oder reiner Fiktion.
(Bild zum Vergrößern anklicken!)
Bild: Artikel "Heldentaten in schwerer Winterschlacht!"
Quelle: CZ 17.02.1943.
Bild: 329. Inf. Div. an der Ostfront.
Quelle: H. Kaune.
Und während das Heer im Osten unter massiver Feindeinwirkung und schlimmen Witterungsverhältnissen vielerorts um das blanke Überleben kämpfte, schlug die deutsche Propagandaführung in der Heimat ganz andere Töne an. Reichspropagandaminister Josef Goebbels prägte bei seiner Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 den Begriff des "totalen Krieges".
Bereits am 17. Februar 1943, also einen Tag vor der berüchtigten Rede im Sportpalast, berichtete die Cellesche Zeitung über Maßnahmen im Artikel "Alle Kräfte für den totalen Krieg". Darin beziehen Goebbels und Funk (Reichswirtschaftsminister) Stellung zu der Frage nach der Stilllegung nicht kriegswichtiger Produktionen.
Bild: Artikel "Alle Kräfte für den totalen Krieg" (Bild zum Vergrößern anklicken!)
Quelle: CZ 17.02.1943.
Die damit verfolgte Intention ist eindeutig: es sollten alle Kapazitäten auf den Krieg ausgerichtet werden. Kriegsnotwendige Produktionen sollten daher Versorgungsvorrang erhalten und die Arbeitskräfte in relevante Industrien umgegliedert werden. Die Verkleinerung des Verwaltungsapparates und die Ausrichtung auf das einheitliche Ziel, den Krieg vehement und unter Einsparung alles "Unnötigen" doch noch einmal zu den eigenen Gunsten zu wenden, sollte dabei im Vordergrund stehen. Schließlich wusste wohl auch Goebbels, dass er in seiner Rede am darauffolgenden Tag schier Unfassbares von seinen Zuhörern verlangte.
Derartige Verlautbarungen in den Tageszeitungen des Reiches sollten wohl dafür sorgen, dass zumindest leichtgläubige Bürger davon der Propaganda Glauben schenkten. Realistisch kann ein solches Vorhaben, welches massive wirtschaftliche Eingriffe erforderte, nicht als aussichtsreich bewertet werden.
Aber wer wollte zu dieser Zeit schon wissen, was realistisch war?
Man kann die Nachrichten, welche in den dargestellten Artikeln auch die Celler Bürger erreichten, nur als Zustandsberichte zwischen Ohnmacht und Selbsterkenntnis deuten. Einerseits wog die Niederlage in der Schlacht um Stalingrad zu groß, um eine solche Nachricht wirklich für die eigene Medienlandschaft zu nutzen. Der Versuch, darin die Opferbereitschaft des eigenen Volkes zu glorifizieren scheint vor dem Hintergrund der Ereignisse völlig unpassend. Andererseits sollte bei den Bürgern "nun gerade" die Selbsterkenntnis zur eigenen Opferbereitschaft gefördert werden.
Viele Grüße,
Hendrik.
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