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Mittwoch, 13. Januar 2021

Spektakulärer Waffenfund bei Bokel im Landkreis Gifhorn


Was ein spektakulärer Fund von Waffen und Ausrüstungsgegenständen über die letzten Kriegstage in den Landkreisen Celle und Gifhorn verrät. 

Es ist eher ungewöhnlich aber nicht gänzlich ausgeschlossen, dass 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch Relikte auftauchen, die mehr sind als nur bloße Fundstücke. Als im Jahr 2004 zwölf Aktenordner mit Dokumenten – dem schriftlichen Nachlass der 4. Armee – in einem Waldstück im Grenzbereich der russischen Exklave Kaliningrad (ehem. Königsberg) und Polen gefunden wurden, war dies eine Sensation. Vielleicht etwas weniger ungewöhnlich aber nicht weniger geschichtsträchtig ist nun der Fund von rund 90 Stahlhelmen und mehreren Waffen im beschaulichen Bokel im nördlichen Landkreis Gifhorn. Spektakulär ist, dass diese militärischen Überbleibsel offenbar weitere Erkenntnisse zum Kriegsende liefern. 

Am 7. Januar 2021 berichtete zuerst das Isenhagener Kreisblatt, wie ein Bokeler bei der Suche mit einem Metalldetektor auf dem eigenen Grundstück auf die Kriegsrelikte gestoßen war. Der Kampfmittelbeseitigungsdienst rückte aus und entfernte die teilweise scharfen Kriegsrelikte. Es handelte sich um mehrere Maschinengewehre, Panzerfäuste, Handgranaten sowie um besagte rund 90 deutsche Stahlhelme. 

Insbesondere die Anzahl der Helme lässt aufhorchen, da man schließlich annehmen kann, dass in jedem dieser Helme damals ein Kopf gesteckt haben könnte – es also eine größere Ansammlung von Soldaten vor Ort gegeben haben müsste. In welchem Zusammenhang die Waffen und Ausrüstungsgegenstände auf das Grundstück gelangten, war bislang jedoch unklar. Im Ort konnte sich bisher niemand an entsprechende Ereignisse aus jener Zeit erinnern. Was war damals geschehen? 

Bild: Panzerfäuste in einer Kiste. Quelle: US Military Intelligence Service, War Department, German Infantry Weapons, 1943. 

Am Morgen des 12. April 1945 waren britische Einheiten in Celle einmarschiert und hatten es geschafft, an diversen Stellen die Fuhse und die Aller zu überqueren. Zwar hatte Generalmajor Paul Tzschökell die Sprengung der wichtigen Allerbrücken im Stadtgebiet veranlasst[1] – den alliierten Vorstoß konnte dies aber nur für einige Stunden bremsen. Der Zeitgewinn sollte dazu dienen, eine mutmaßliche Verteidigungslinie in Höhe Unterlüß-Weyhausen aufzubauen, berichtete der Generalmajor später nach Kriegsende. 

Trotz mehrerer Straßensprengungen der ehemaligen Reichsstraße (heute: B191) zwischen Celle und Weyhausen, gelang es britischen Verbänden, die deutsche Verteidigung auszuhebeln und in nordöstliche Richtung vorzustoßen. Generalmajor Tzschökell konnte einer Vereinnahmung durch britische Einheiten nur noch knapp entkommen – ein schwerer britischer Panzer stand bereits vor dem Haus in dem er Quartier bezogen hatte.[2] Schon am 14. April 1945 standen die Briten kurz vor Uelzen. 

Bild: Maschinengewehr 42. Quelle: US Military Intelligence Service, War Department, German Infantry Weapons, 1943. 

Ohnehin war die militärische Lage für die Reichsführung mehr als aussichtslos geworden. Im Osten gab es kein Halten für die Rote Armee. Im Westen waren britische und US Truppen seit Überschreiten des Rheins weit ins Landesinnere vorgedrungen und hatten dabei nahezu die gesamte Heeresgruppe B im sogenannten „Ruhrkessel“ vom Nachschub und Anschluss an die eigene Truppen abgeschnitten. 

In dieser, an sich ausweglosen, Situation wurde vom Generalstab des Heeres am 4. April 1945 mit dem Befehl „Zeppelin 2648“ die Aufstellung der 45. Panzerdivision „Clausewitz“ befohlen. Zusammen mit der ebenfalls neu aufzustellenden RAD-Infanteriedivision „Schlageter“ sowie Resten der zuvor bei Wesel aufgeriebenen 84. Infanteriedivision sollte die Pz.Div. Clausewitz das XXXIX. Panzer-Korps bilden, dass eigentlich zusammen mit der 12. Armee unter General Walther Wenck östlich der Elbe operieren sollte.[3] 

Durch den schnellen Vormarsch – insbesondere der 5. US Panzerdivision – bis an die Elbe, wurde vom ursprünglichen Vorhaben abgelassen. Stattdessen sollte die Pz.Div. Clausewitz nun aus dem Raum Uelzen in südliche Richtung vorstoßen, dabei den britischen sowie den US Vormarschkorridor durchqueren und sich im Harz mit der dort stehenden 11. Armee vereinigen. [4] Tatsächlich waren die erforderlichen Einheiten bis Mitte April noch nicht vollständig aufgestellt und befanden sich noch in Entstehung, als die Briten die Stadt Celle bereits hinter sich gelassen hatten. 

Bild: Bokel im Jahr 1944, die britischen Truppen trafen aus südwestlicher Richtung ein. Quelle: War Office, G.S.G.S. Map 1:25.000, sheet 3129 Wieren, published 1944, public license. 

Was damals in Bokel, Luftlinie ca. 15 km südlich von Uelzen geschah, lässt sich anhand der britischen Militärberichte gut nachvollziehen. So heißt es im War Diary des 4th Tank Battalion „The Coldstream Guards“ für den 14. April 1945, dass sich die Panzer und Infanterie bei Sprakensehl neu formierten und anschließend in nordöstliche Richtung auf Bokel vorgingen.[5] Weiter heißt es darin, die Einheiten seien in Bokel nicht auf Widerstand gestoßen, jedoch habe sich eine Anzahl deutscher Soldaten kampflos ergeben. Der Vormarsch des 4th Tank Battalion führte weiter in nördliche Richtung auf Nienwohlde / Nettelkamp / Stadensen, wo sich in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 ein schweres Nachtgefecht mit gepanzerten Einheiten der in Aufstellung befindlichen 45. Pz.Div. Clausewitz zutrug. 

Im War Diary des 15th Scottish Reconnaissance Regiment (Aufklärung) heißt es für den Nachmittag des 14. April 1945, dass Bokel gegen 16:10 Uhr feindfrei erklärt wurde und 170 PW ( = Prisoners of War, Kriegsgefangene) gemacht worden waren.[6] Die deutschen Soldaten wurden laut Bericht offenbar vollkommen durch die britischen Einheiten überrascht. 

Bild: Blick auf Bokel aus Richtung Behren. Der Ort Bokel befindet sich in einer Tallage, tiefer als das Umland. Quelle: H. Altmann, 2021. 

Dieser Ablauf des 14. April 1945 wird gestützt durch Aussagen von Zeitzeugen, die sich in der Bokeler Ortschronik finden. So berichtete Irene Plieth, dass am 14. April 1945 deutsche Soldaten mit LKW-Kolonnen aus Richtung Behren angekommen waren, die im Ort mit Nahrungsmitteln versorgt wurden.[7] Aus Richtung Behren/Sprakensehl anrückende britische Einheiten nahmen die Ansammlung deutscher Soldaten unter Feuer, wobei zwei deutsche Soldaten tödlich getroffen wurden. 

Bei den Toten handelte es sich um den Obergefreiten Hans Hahn, geb. 15.08.1902 und den RAD-Mann Werner Schmetjen, geb. 24.09.1927 – letzterer war also gerade einmal 17 Jahre alt. Beide wurden auf dem Bokeler Friedhof bestattet. 

Die restlichen gefangengenommenen deutschen Soldaten wurden über Nacht in einer Scheune in Bokel eingesperrt und am 15. April 1945 abtransportiert, so Irene Plieth. 

Bild: Soldatengräber auf dem Friedhof Bokel. Quelle: H. Altmann, 2021. 

Vor diesem Hintergrund scheint naheliegend, dass die gefundenen Waffen und Ausrüstungsgegenstände von jenen deutschen Soldaten stammen dürften, die am 14. April 1945 durch britische Truppen in Bokel überrascht und gefangen genommen worden sind. Insbesondere die große Anzahl gefundener Stahlhelme spricht dafür, dass hier ein Zusammenhang vorliegen könnte. Auch die Fundumstände legen nahe, dass das Kriegsmaterial „entsorgt“ werden sollte. Ob dies vor oder nach Eintreffen der britischen Truppen geschah, bleibt ungewiss. 

Im Regelfall wurden Waffen und andere militärisch relevante Gegenstände unmittelbar nach Ankunft der Alliierten unbrauchbar gemacht. Man fürchtete Partisanen- bzw. sogenannte „Werwolf-“Angriffe. Es wäre daher ungewöhnlich, dass die britischen Truppen ein derart großes Waffenarsenal offen zurückgelassen hätten. Nicht auszuschließen ist, dass die Waffen und Ausrüstungsgegenstände auf anderen Wegen nach Bokel gelangten. Möglicherweise könnten die nun aufgefundenen militärischen Gegenstände von den schweren Gefechten bei Nettelkamp / Stadensen stammen. Die Zusammenstellung der Funde spricht aber eher dafür, dass sich im Ort deutsche Truppen abgerüstet haben und erscheint vor dem Hintergrund der militärischen Berichterstattung durchweg plausibel. 

Im Ergebnis bleibt die Erkenntnis, dass auch 76 Jahre nach Kriegsende noch Funde gemacht werden, die Aufschluss über die Abläufe jener Zeit geben können. Vermutlich wäre die Geschichte um das Kriegsende in Bokel ohne diesen beachtlichen Fund noch länger im Dunkeln geblieben. 

Nichtsdestotrotz zeigt der Fund auch, dass die Nutzung von Metalldetektoren berechtigterweise einigen Vorgaben unterliegt. In Niedersachsen ist für die Suche nach im Boden verborgenen Objekten mithilfe eines Metalldetektors eine sogenannte Nachforschungsgenehmigung (NFG) erforderlich - hierauf verweis ebenfalls der Gifhorner Kreisarchäologe, Dr. Eichfeld (Braunschweiger Zeitung v. 13.01.2021). Die NFG kann bei der örtlich zuständigen unteren Denkmalbehörde beantragt werden und ist an weitere Voraussetzungen geknüpft. Weitere Informationen hierzu sind beim Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege verfügbar. 

H. Altmann 


Weitere Informationen:


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[1] U. Saft, Krieg in der Heimat, S. 79f. 


[2] U. Saft, Krieg in der Heimat, S. 241. 


[3] Unrein, Bericht über Einsatz der Panzerdivision „Clausewitz“. 


[4] Gellermann, Die Armee Wenck – Hitlers letzte Hoffnung, S. 32ff. 


[5] War Diary 4th Tank Battalion „The Coldstream Guards“ für den 14. April 1945. 


[6] War Diary 15th Scottish Reconnaissance Regiment für den 14. April 1945. 


[7] Irene Plieth, in: Karfeld/Wagner/Cohrs/Cohrs/Helms/Karfeld/Plieth/Schulenburg: Bokel – ein Dorf, wie es im Buche steht. 



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