Im Raum Celle gibt es einige düstere Sagen und Legenden. Bei manchen dieser Geschichten ist bis heute nicht abschließend geklärt, ob es frei erfundene Märchen sind, oder ob es sich um Erzählungen aus alten Zeiten handelt, deren Ursprung längst vergessen ist.
Zur Heimatforschung gehört es nicht nur die faktisch greifbaren Zusammenhänge zu betrachten. Auf diese Weise wäre langfristig kein Erkenntnisgewinn zu verbuchen. Vielmehr ist es ebenso notwendig Sagen und Legenden zu untersuchen. So manche Geschichte beinhaltet Hintergründe, die sich an einstige Geschehnisse anlehnen. Der nachfolgende Beitrag widmet sich daher einer Legende aus dem nördlichen Landkreis, die bisher vielen unbekannt sein dürfte.
Bereits vor einiger Zeit habe ich in diesem Blog über die Legende vom "weißen Kind bei Scheuen" berichtet. Die mündlich überlieferte Sage berichtet von einem Gespenst in Gestalt eines Kindes. Der Sage nach, gingen eingespannte Pferde in einem Bereich bei Scheuen durch. Bauern haben das weiße Kind angeblich gesehen.
Die Legende wurde schriftlich festgehalten in der Sammlung von H. Harrys, Volksagen, Märchen und Legenden Niedersachsens, Bd. 1, Celle 1840.
Bilder: Legende vom weißen Kind bei Scheuen. Quelle: H. Harrys, Volksagen, Märchen und Legenden Niedersachsens, Bd. 1, Celle 1840.
Die Legende vom "weißen Kind bei Scheuen" ist inhaltlich recht einfach gehalten. Daher lassen sich auch leider kaum Rückschlüsse auf den möglichen Ort des Geschehens ziehen. Dieser lässt sich anhand der Sage nur auf eine "morastige Wiese" bei Scheuen eingrenzen.
Im Bereich des Ortes Scheuen finden sich jedoch zahlreiche Stellen, die auf diese Beschreibung zutreffen. "Morastig" waren einst viele Wiesen und Gegenden. Hieraus lassen sich also kaum Rückschlüsse ziehen.
Umso spannender ist es, dass kürzlich eine ähnliche Legende aufgetaucht ist, die im selben räumlichen Gebiet angesiedelt ist. Ein Zufall? Dies soll nachfolgend untersucht werden.
Die Sage von der "Spukkuhle auf dem Arloh" lautet folgendermaßen:
Auf dem Arloh, rechts am Wege von Celle nach Rebberlah, befindet sich eine Bodenvertiefung, Spukkuhle genannt. Während des Dreißigjährigen Krieges soll hier ein Reiter seine Braut und deren Kind ermordet haben. Viele behaupten, hier einen Reiter zu Pferde, auch ein Mädchen mit einem weinenden Kinde auf den Armen gesehen zu haben. Den Fuhrleuten sind häufig an dieser Stelle die Pferde wild geworden.
Bilder: Legende vom weißen Kind bei Scheuen. Quelle: Cellesche Zeitung, Januar 1930.
Es ist beeindruckend eine derart ähnliche Geschichte in ein- und derselben Gegend anzutreffen. Die Gemeinsamkeiten der Legenden sind offensichtlich. In beiden spielt ein Kind eine maßgebliche Rolle. Aus dem Umstand, dass in beiden Versionen Pferde scheu wurden lässt sich schließen, dass die Legenden aus derselben Zeit stammen könnten.
In der letzteren Legende "die Spukkuhle auf dem Arloh" findet sich der Hinweis auf sogenannte Fuhrleute. Die Zeit der Fuhrleute lässt sich konkret zwischen 1800 und 1880 datieren. In dieser Zeit entwickelte sich das Frachtfuhrwesen in der Heide. Später übernahmen zunächst Eisenbahnen und später die ersten motorgetriebenen LKW die Aufgaben der einstigen Frachtfuhrleute.
Natürlich lässt sich die Legende nur eingeschränkt überprüfen. Für ihren endgültigen Beleg wäre es notwendig die erwähnten Geistererscheinungen eindeutig zu beweisen - dies ist hier natürlich nicht möglich. trotzdem lassen sich einige Indizien anführen, die zumindest den Kontext der Legende belegen bzw. widerlegen können.
Die Sage erwähnt eine Bodenvertiefung rechts des Weges von Celle nach Rebberlah. Karten sind in diesem Bereich leider erst ab der Kurhannoverschen Landesaufnahme (1780) in ausreichender Genauigkeit verfügbar. Entsprechend schwer ist es den genauen Ort der erwähnten Bodenvertiefung zu lokalisieren. Im Grunde ist dies anhand der vorliegenden Informationen unmöglich. Auch ein direkter Vergleich der historischen Karten mit aktuellenSatellitenbildern liefert diesbezüglich keine hilfreichen Erkenntnisse.
Bilder: Vergleich der Kurhannoverschen Landesaufnahme mit dem aktuellen Satellitenbild. Quelle: Kurhannoversche Landesaufnahme, 1780 / Google Earth.
Trotzdem lässt sich zumindest der einstige Straßenverlauf als solcher nachvollziehen. In der legende heißt es die "Spukkuhle" habe sich rechts der Straße zwischen Celle und Rebberlah befunden.
Diese Straße verlief tatsächlich einst am Rande des Arloh. Noch in der topografischen Spezialkarte aus dem Jahr 1822/1823 lässt sich der Verlauf der einstigen Straße nachvollziehen.
Diese Straße verlief tatsächlich einst am Rande des Arloh. Noch in der topografischen Spezialkarte aus dem Jahr 1822/1823 lässt sich der Verlauf der einstigen Straße nachvollziehen.
Bilder: Verlauf der alten Straße. Quelle: Topografische Spezialkarte 182271823.
Kartografisch lässt sich somit belegen, dass zwischen Celle und Rebberlah einst eine wichtige Straße verlief. Die Straße zwischen Celle und Eschede wurde erst später angelegt - vermutlich nach 1815, also nach der Besatzungszeit durch französische Truppen.
Bilder: Verlauf der alten Straße. Quelle: Google Earth.
Damit lässt sich zumindest der Straßenverlauf zwischen Celle und Scheuen, der sich einst am Arloh entlang zog, bewahrheiten. Tatsächlich befand sich hier seinerzeit eine alte Straßenverbindung, die bereits in die älteste Zeit zurückreichen dürfte.
Es wäre scheint daher durchaus plausibel, dass in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges eine wichtige Straße von Celle über Rebberlah nach Norden führte. Allerdings hat sich die Landschaft durch landwirtschaftliche Einflüsse und vor allem durch die Flurbereinigungen im Rahmen der Verdoppelungsmaßnahmen grundlegend gewandelt. Der historische Straßenverlauf lässt sich noch in Teilen nachvollziehen. Allerdings sind sonstige landschaftliche Merkmale nur noch selten erkennbar.
In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gab es um Celle keine unmittelbaren Kampfhandlungen. Trotzdem zeigten sich die Auswirkungen dieses länderübergreifenden Konflikts auch ein dieser Region. Immer wieder wird von den Repressionen berichtet, denen die einfache Bevölkerung durch vagabundierende Truppen ausgesetzt war. In mehreren Orten im Kreis Celle wird noch heute von Geschichten aus dieser schlimmen Zeit berichtet.
Schließlich verlegte Hermann Löns die Geschichte des "Werwolfs" bewusst in diese Region. Es spricht also vieles dafür, dass sich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 - 1648) auch im Raum Celle Ereignisse zutrugen, die im Zusammenhang zum krieg standen.
Natürlich lassen sich einzelne Ereignisse aus dieser Zeit heute im Detail nur noch schwer nachvollziehen. Es ist also quasi unmöglich den Wahrheitsgehalt der Legende zu überprüfen. Hinzu kommt, dass sich das Landschaftsbild stark verändert hat. Es wäre der höhere Zufall, dass sich die besagte "Spukkuhle" bis heute erhalten hat.
Bilder: Verlauf der alten Straße. Quelle: H. Altmann.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Legende inhaltlich plausibel ist. Hinsichtlich der historischen Straßenverbindung und des geschichtlichen Zusammenhangs wäre es objektiv möglich, dass sich an der einstigen Straße zwischen Celle und Rebberlah im Dreißigjährigen Krieg ein Mord ereignet hat.
Inwiefern die Sichtungen von Geistern und das angebliche Verhalten der Zugtiere realistisch ist, kann nicht abschließend geklärt werden. Zu jeder Zeit haben derartige Geschichten die Phantasie angeregt. Teilweise war damit auch eine bestimmte Intention verbunden - insbesondere, wenn die Geschichten eine Moral vermitteln sollten. Vorliegend ist diese nicht erkennbar. Bereits die Verwendung des Begriffs "Spukkuhle" und die Art und Weise auf welche sich die Erscheinungen ereignet haben sollen, schließt planbares Verhalten aus.
Es scheint sich also vorliegend nicht um eine Geschichte zu handeln, die eine bestimmte Wertvorstellung vermitteln soll. Vielmehr handelt es sich um eine Gruselgeschichte, die der Unterhaltung dienen sollte. Die Geschichte ist so angelegt, dass ein Hörer sich mit ihr identifizieren kann. Dieses Stilmittel ist auch heute noch ein fester Grundsatz bei Horror- und Gruselfilmen. Würde sich der Leser, Zuschauer oder Zuhörer nicht in die entsprechende Lage versetzen können, wäre die Geschichte nicht mehr gruselig. Es deutet also vieles darauf hin, dass diese Legende bewusst so angelegt wurde.
Auffällig ist, dass dieselbe Geschichte in zwei Versionen vorliegt. Dies spricht möglicherweise weniger führ ihren Wahrheitsgehalt, als dafür, dass sie einst häufiger erzählt worden ist. Weiterhin ist die Ähnlichkeit zur Geschichte der weißen Frau aus der Sprache bei Lachtehausen. Es finden sich viele ähnliche Motive (schicksalhafter Tod, Frau, Kind usw.). Es wäre spannend herauszufinden, ob die Geschichten vielleicht aneinander angelehnt wurden und sich möglicherweise nur geografisch verlagert haben.
Im Ergebnis ist die Legende der Geistererscheinungen an der alten Straße zwischen Celle und Rebberlah absolut spannend. Sie verbindet historische Zusammenhänge mit einstigen Beobachtungen. Aus heutiger Sicht ist es daher aufregend diese Zusammenhängen zu untersuchen.
H. Altmann
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