f Heimatforschung im Landkreis Celle

Mittwoch, 28. November 2018

Einrichtung einer SA-Führerschule in der ehemaligen Burgkaserne


Die Celler Burgkaserne ist längst aus dem Stadtbild verschwunden. Ein interessantes Detail blieb in der lokalen Geschichtsschreibung bisher unerwähnt. Aktuelle Aktenfunde belegen, dass in der alten Kaserne  im Dritten Reich ursprünglich eine Führerschule der SA eingerichtet werden sollte. Es kam allerdings anders als geplant... 

In der am 04.08.2018 erschienenen Ausgabe des Sachsenspiegels berichtete Florian Friedrich ausführlich über die Geschichte der Celler Burgkaserne. Bei der umfangreichen Recherche Friedrichs musste ein Bestand, der sich im Niedersächsischen Landesarchiv in Hannover befindet, außer Acht bleiben, da dieser bei einer gezielten Suche nach der Burgkaserne unmöglich aufzufinden war. Obwohl der Bestand digital erfasst wurde, deutete jedoch keiner der hinterlegten Suchbegriffe auf eine inhaltliche Verbindung zur Celler Burgkaserne hin. Durch anderweitige Recherchen kamen die Unterlagen nun ans Tageslicht – ihr Inhalt soll dem interessierten Leser in Ergänzung zum Beitrag Friedrichs nachfolgend vorgestellt werden.

Die alte Burgkaserne befand sich einst am heutigen Standort des Schulzentrums Burgstraße und wurde im Rahmen einer Feuerwehrübung am 05.08.1935 niedergebrannt. Seit der Errichtung befand sich das Kasernengebäude im Eigentum der jüdischen Unternehmerfamilie Rheinhold, die es zunächst an die Militärverwaltung vermietete.[1] Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Kaserne als zivile Unterkunft genutzt und überwiegend an sozialschwache Familien vermietet. Auf Drängen der Nationalsozialisten verkaufte Otto Rheinhold die ehemalige Burgkaserne am 15.03.1934 unter Wert an die Stadt Celle. Im weiteren Verlauf erfolgte die Umsiedlung der Bewohner und letztlich der „warme Abriss“ der maroden Gebäude.


[1] Friedrich, 1935 brannte die Burgkaserne, in: CZ, Sachsenspiegel vom 04.08.2018.

Bild: ehem. Burgkaserne, Postkarte. Quelle: Archiv Altmann. 

Es stellt sich die Frage, warum die Stadt das Gebäude niederbrennen ließ, statt dieses selber zu nutzen. Die von Florian Friedrich ausgewerteten Verwaltungsberichte und zeitgenössischen Pressemitteilungen lassen darauf schließen, dass „durch diese Maßnahme der Stadtverwaltung (...) einer der unwürdigsten unsozialen Zustände im Sinne der (damaligen) Zeit beseitigt (wurde)“.[1] Allerdings hatte die Celler Stadtverwaltung offenbar ursprünglich völlig andere Pläne mit der alten Burgkaserne verfolgt, wie eingangs erwähnte Bestände des Niedersächsischen Landesarchivs bestätigen.

Die ausgewerteten Unterlagen belegen, dass der Celler Oberbürgermeister Ernst Meyer bereits am 07.03.1934 einen schriftlichen Antrag auf Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 200.000 Reichsmark für die Einrichtung einer SA-Führerschule in der ehemaligen Kaserne unterzeichnete.[2] Das Antragsschreiben war an die „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG“ in Berlin gerichtet und umfasste zunächst eine allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Beschreibung der Stadt Celle. Insbesondere wird darin die kulturelle Bedeutung Celles - aber auch die wichtige Rolle der Stadt als Behörden-, Industrie- und Militärstandort angepriesen. Letztgenanntes ist vor allem deswegen interessant, da sich Celle in dieser Zeit zu einem aufstrebenden Militär- und Rüstungsstandort entwickelte.[3]

Als „außerordentlich einschneidend“ wird gemäß des Antrags die Einrichtung einer SA-Sport- und -Führerschule bezeichnet, die im Frühjahr des Jahres (1934) erfolgen sollte und die für die Ausbildung von 800 bis 1.200 SA-Leuten in regelmäßigen Lehrgängen vorgesehen werden sollte.[4] Ursprünglich war die Sturmabteilung (SA) eine Kampforganisation der NSADP, die bereits in Zeiten der Weimarer Republik den politischen Aufstieg der Nationalsozialisten unterstützte, als innerpolitische Kampftruppe auftrat und als Ausbildungs- und Erziehungsinstrument der Partei eingesetzt wurde.[5] Die Celler SA hatte Anfang der Dreißigerjahre zwar noch so wenige Mitglieder, dass bei Aufmärschen SA-Abteilungen von außerhalb nach Celle geholt wurden[6] - allerdings stiegen die Mitgliederzahlen bis 1933 an und die Nähe zur kommunalen Verwaltung intensivierte sich.[7]


[1] CZ vom 07.08.1935.
[2] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[3] Wienecke, Besondere Vorkommnisse nicht bekannt, S. 46.
[4] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[5] Organisationsbuch der NSDAP, 3. Aufl. 1937, S. 358.
[6] Rohde / Wegener, Celle im Nationalsozialismus – Ein zeitgeschichtlicher Stadtführer, S. 17.
[7] Ebd. S. 19.

Bild: SA Gruppe Niedersachsen, Zigarettenbilder. Quelle: Deutsche Uniformen, Album SA, SS, HJ, Sturm Zigarettenfabrik Dresden-A, 1933. 


Im Antrag vom 07.03.1934 wurde die Burgkaserne als „Elendsviertel“ beschrieben. „Fast keine der Wohnungen ist ordnungsmäßig in sich abgeschlossen; vielmehr sind die ehemals als Mannschaftsstuben benutzen Räume durch Bretterwände unterteilt (...).[1] Weiter noch: es sei deshalb kein Wunder, dass die (...) Burgkaserne eine Brutstätte „asozialer Gesinnung“  und „kommunistischer Bestrebungen“ sei. „Eine restlose Räumung der Burgkaserne ist deshalb mit größter Beschleunigung durchzuführen.“[2] Zur Untermauerung dieser Aussagen wurde dem Antrag eine statistische Übersicht der Ortspolizeibehörde beigefügt, die für die Jahre 1932 und 1933 alleine 52 Strafsachen belegt, „für welche als Täter Bewohner der Burgkaserne in Frage kamen (...).“[3] 21 Fälle erfüllten danach den Tatbestand von Hoch- bzw. Landesverrat.

Vor diesem Hintergrund wurde Seitens der Stadtverwaltung der Umbau der ehemaligen Burgkaserne zu einer SA-Führerschule angestrebt. Derartige Institutionen – später auch als Reichsführerschulen (RFS) bezeichnet – dienten als Schulungsstätten der verschiedenen NS-Kampfverbände und sollten den Nachwuchs der einzelnen Organisationen ausbilden.

Aus der Antragsbegründung vom 07.03.1934 gehen insbesondere die Vorteile hervor, die sich die Stadt durch die Einrichtung der SA-Führerschule versprach. Unter anderem rechnete man mit dem Zuzug von rund 40 neuer „konsumfähiger“ und „zahlungskräftiger“ Familien. „Sehr bedeutsam (sei) ferner zu werten, daß die Umgebung der Burgkaserne durch die Säuberung von asozialen Elementen in erheblichem Umfange an Wert steigen wird“, heißt es in der Antragsbegründung weiter. „Nach Amortisation der für den Ankauf und Umbau der Burgkaserne aufgewendeten Mittel wird schließlich die Stadt ein überaus wertvolles Grundstück und Gebäude ihr Eigen nennen können (...)“[4]

Dem Antragsschreiben wurden detaillierte Baupläne sowie ein Kostenüberschlag des Oberregierungs- und Baurats vom 13.03.1934 beigefügt.[5] Darin wurden die Kosten für Instandsetzungsarbeiten, Neuanlagen, Einrichtung und sonstige Positionen mit insgesamt 450.000 Reichsmark veranschlagt. Die Ausstattungskosten für eine Belegung mit 800 Mann wurden in Summe mit 96.000 Reichsmark kalkuliert – hierbei waren unter anderem bereits Kosten für Trinkbecher (0,30 RM), Handtücher (2 x 0,56 RM), Bettlaken (2,78 RM) und anteilige Tischkosten (2,50 RM) berücksichtigt.[6]

Mit Schreiben vom 09.03.1934 bestätigte der Präsident des Landesarbeitsamtes, dass er den Antrag der Stadtgemeinde Celle auf Bewilligung des Darlehens für die Einrichtung einer SA-Führerschule befürwortete.[7] Laut Schreiben war die Maßnahme dem sogenannten „Reinhardtprogramm“ zugeordnet, d.h. einer Maßnahme im Rahmen der Arbeitsbeschaffung, die maßgeblich auf dem am 01.06.1933 in Kraft getretenen Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit fußte.[8]


Bild: Lage der ehem. Burgkaserne. Quelle: Katasterkarte, 1925; Kartenlayer Google Earth; Repro Altmann. 

Bis zum 13.03.1934 waren somit alle Voraussetzungen erfüllt – lediglich das Gebäude befand sich noch im Eigentum des Unternehmers Otto Rheinhold. Wie Florian Friedrich in seinem Beitrag bereits berichtet hatte, erschienen nach Aussage von Walter Rheinhold, dem Sohn Ottos, am 14.03.1934 Vertreter der Celler Stadtverwaltung im Büro seines Vaters.[9] Tags darauf erfolgte der Verkauf durch Otto Rheinhold – aus der Zwangslage heraus.

Bereits am 25.04.1934 erreichte den Regierungspräsidenten in Lüneburg das Bewilligungsschrieben der „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG“ aus Berlin.[10] Die Gesellschaft erklärte sich bereit der Stadt Celle das Darlehen in Höhe von 200.000 RM für die Einrichtung einer SA-Führerschule zu gewähren.[11] Die Auszahlung sollte entsprechend dem Baufortschritt erfolgen. Dem Beginn der Baumaßnahmen stand somit im Frühjahr 1934 eigentlich nichts mehr im Wege. Es kam jedoch zu einer unerwarteten Wendung.

Spätestens mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 30.01.1933 und der hiermit einhergehenden Machtergreifung eskalierte die Hackordnung, die seit jeher zwischen den einzelnen nationalsozialistischen Organisationen bestanden hatte. Die SA hatte die NSDAP und Hitler massiv im Aufstieg unterstützt – entsprechend dankbar zeigte sich der neue Reichskanzler gegenüber dem SA-Stabsführer Ernst Röhm. Insbesondere Hermann Göring, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler fürchteten um ihre eigenen Machtpositionen und dass die SA unter Ernst Röhm eine Vormachtstellung unter den NS-Organisationen einnehmen könnte.

Es wurden Gerüchte verbreitet, wonach Röhm mit der SA einen Aufstand plane. Um diesem zuvor zu kommen, mobilisierte Hitler die SS sowie die Reichswehr und stattete Röhm am Morgen des 30.06.1934 einen überfallsartigen Besuch in Bad Wiessee ab, wo sich dieser auf einer Kur wegen eines rheumatischen Leidens befand.[12] In der Folge des sogenannten „Röhm-Putsches“ kam es zu Verhaftungen und Erschießungen von SA-Leuten im gesamten Reichsgebiet. Die Ermordung Röhms am 01.07.1934 und etwa 200 seiner Gefolgsleute führte die SA in die Bedeutungslosigkeit – ihre Machtkompetenzen wurden auf andere Bereiche verteilt.

Der Niedergang der SA zeigte offenbar ebenfalls Auswirkungen auf die Planungen zur Einrichtung einer SA-Führerschule in Celle. Kurz gesagt: die Pläne waren damit vom Tisch. Gemäß Tagesordnungspunkt Nr. 12 der Ratssitzung vom 19.06.1934 lautete es hierzu:[13]

„Inzwischen haben sich die Verhandlungen mit der SA dahin geklärt, dass nicht mehr die Absicht besteht, eine SA-Führerschule in Celle zu gründen, und also die Burgkaserne als solche nicht mehr von der SA in Anspruch genommen wird.“


[1] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Antrag vom 07.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[5] Kostenüberschlag vom 13.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[6] Ebd.
[7] Der Präsident des Landesarbeitsamtes Niedersachsen, Schreiben vom 09.03.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[8] RGBl. I Nr. 60, S. 323.
[9] Friedrich, 1935 brannte die Burgkaserne, in: CZ, Sachsenspiegel vom 04.08.2018.
[10] Schreiben der Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG vom 20.04.1934; NLA Hann. 180 Lüneburg, Acc. 4/01 Nr. 54.
[11] Ebd.
[12] Frei, Der Führerstaat – Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, S. 1.883.
[13] Tagesordnungspunkt 12, Ratssitzung vom 19.06.1934, StadtA CE Best. 15 Best. 15 B Nr. 0236.

Bild: ehem. Burgkaserne, Postkarte. Quelle: Archiv Altmann. 

Offenbar beabsichtigte die Stadt das Darlehen, das ja bereits bewilligt worden war, trotzdem zum Ausbau der Burgkaserne aufzunehmen. Den entsprechenden Antrag an den Rat der Stadt begründete Oberbürgermeister Ernst Meyer unter anderem mit laufenden Verhandlungen mit der Reichswehr, um die Burgkaserne nach der Instandsetzung gegebenenfalls für militärische Zwecke zu nutzen.[1] Hierzu kam es allerdings nicht, sodass man nun im Besitz einer völlig maroden und unrentablen Immobilie war, deren erhoffter Nutzen selbst bei einer teuren Renovierung mehr als fraglich blieb.

Am 05.08.1935 brannte die Burgkaserne schließlich im Rahmen einer Feuerwehrübung nieder. Zur Einrichtung einer politischen Ausbildungseinrichtung ist es somit nicht mehr gekommen.

Allerdings wird aus den gesichteten Unterlagen deutlich, wie eng die nationalsozialistischen Organisationen mit der politischen Verwaltung kooperierten und auch umgekehrt. Andernfalls hätte die Bearbeitungszeit eines derartigen Antrags wohl kaum weniger als einen Monat gedauert – was bei derartigen Prozessen schon ziemlich sportlich ist. Und noch etwas geht implizit aus den Unterlagen hervor: durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und eine rücksichtslose Politik auf Rechnung schwächerer Bevölkerungsschichten gelang es den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung ihre Stellung zu festigen.

H. Altmann



[1] Protokoll der Ratssitzung vom 19.06.1934, StadtA CE Best. 15 Best. 15 B Nr. 0236.





Donnerstag, 15. November 2018

DWH Unterlüß


Während des Zweiten Weltkriegs wuchs Unterlüß von einem beschaulichen Dorf zu einer beträchtlichen Siedlung heran. Bis heute finden sich aus dieser Zeit noch zahlreiche Spuren und Relikte - gelegentlich fallen diese auf den ersten Blick gar nicht mehr so sehr auf, wie beispielsweise das ehemalige Siedlungsgelände des einzigen "Deutschen Wohnungshilfswerks"... 

In unmittelbarer Nähe der Siedlung "am Hochwald", die sich heute gegenüber vom Allwetterbad in Unterlüß befindet, soll es noch Reste von Fundamenten geben, die aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammen. Ehemalige Anwohner erinnert sich, dass die gesamte Siedlung früher einmal eingezäunt gewesen sei. Darüber hinaus habe es Schächte zu einer Kanalisation gegeben, die allerdings kurz nach Kriegsende zugeschüttet wurden, weil Kinder sie immer wieder als Spielgelände nutzten. Worum handelte es sich bei diesen Anlagen? Eine Spurensuche. 

Bild: Siedlung am Hochwald, Unterlüß. Quelle: H. Altmann, 2018. 

Auf den ersten Blick wirkt die Siedlung am Rande von Unterlüß sehr beschaulich. Man trifft hier auf kleinere, einstöckige Gebäude mit kleinen Anbauten umgeben von überschaubaren  Gartenparzellen. Hinter der ersten Hausreihe schließt sich eine weitere an - dahinter beginnt der Wald. Zunächst scheint es, als würde es sich um eine ganz normale Wohnsiedlung zu handeln. 

Historische Luftbilder, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von alliierten Aufklärungsflugzeugen aufgenommen wurden, belegen jedoch, dass die heute beschauliche Wohnsiedlung ursprünglich offenbar viel größer angelegt werden sollte. Die Straßen, die diese Siedlung damals begrenzen sollten, umfassen ein ca. 12 ha großes Areal. 

Bild: Siedlung am Hochwald, Unterlüß. Quelle: Luftbild 1945; Google Earth. 

Die Siedlung am Hochwald befand sich gegen Ende des Krieges offenbar im Aufbau - sie in Karten allerdings nur in Teilen verzeichnet. Die in der Nachkriegszeit erschienenen Flächennutzungspläne geben wenig Aufschluss zur historischen Nutzung. Topografische Karten zeigen ebenfalls nur den erhalten gebliebenen Bebauungszustand. Gesonderte Karten weisen diesen Bereich lediglich als "D.W.H." aus. 

Bild: Siedlung am Hochwald, Unterlüß. Quelle: Messtischblatt 1952; Google Earth. 

Das Deutsche Wohnungshilfswerk (DWH) war 1943 ins Leben gerufen worden, um dem immer stärker werdenden Wohnungsnotstand zu begegnen. Zu dieser Zeit waren bereits zahlreiche Städte durch alliierte Bombardierungen betroffen - hunderttausende Gebäude waren zerstört, etliche Menschen hatten kein festes Dach mehr über dem Kopf. 

Um dem ansteigenden Notstand Einhalt zu gebieten wurde das DWH gegründet. Örtliche Gauleiter der NSDAP wurden zu sogenannten Gauwohnungskommissaren erklärt und mit der Lenkung der Aktion beauftragt. Der Schwerpunkt lag auf der örtlichen Instanz - Ortsgruppenleiter und Bürgermeister waren für eine rasche und erfolgreiche Durchführung der Maßnahmen verantwortlich. 

In einem am 22.09.1943 ergangenen Schreiben zur "Errichtung von Behelfswohnheimen für Luftkriegsbetroffene" benannte der Reichswohnungskommissar Dr. Ley konkrete Punkte der Durchführung des Behelfswohnheimprogramms. 

Bild: Briefkopf, DWH. Quelle: Schreiben zur Errichtung von Behelfsheimen für Luftkriegsbetroffene, 22.09.1943. 

Das vorliegende Schreiben umfasst allgemeine Hinweise zur Organisation, den Bauherren sowie zur Bauwortwahl, Geländefragen und zu verschiedenen Typen der Behelfsheime. Es sollte insbesondere Wert auf möglichst weitgehende luftschutzmäßige Sicherung der künftigen Bewohner gelegt werden. Das Hauptaugenmerk wurde daher auf Dörfer und Kleinstädte gelegt, die "durch aufgelockerte Bauweise von vornherein gegen Luftangriffe unempfindlicher sind als die Großstädte." 

     

Bild: Schreiben zur Errichtung von Behelfsheimen für Luftkriegsbetroffene, 22.09.1943. 


Für den Bau der Behelfsheime wurden allerdings lediglich Vorlagen ausgehändigt und sogenannte "Baufibeln" in Umlauf gebracht. Es gab bei der konkreten Umsetzung somit gewisse Spielräume und Unterschiede. Dies wird auch darin deutlich, dass es sich beim DWH und "namentlich bei der Errichtung der Behelfsheime um Aufgaben handelt, die nicht mit den üblichen Methoden des sogenannten Geschäftsganges gemeistert werden können, sondern ein völlig unbürokratisches (...) Handeln erfordern." 

Die Weisungen des Reichswohnungskommissars waren daher insoweit bewusst "elastisch gefasst, dass sie für ein initiatives und selbstverantwortliches Handeln genügend Raum" ließen. 

Rechtlich wurde der entsprechende Raum insbesondere dadurch geschaffen, indem für den Bau der Behelfsheime die bestehenden baubehördlichen Genehmigungsverfahren weitgehend außer Kraft gesetzt wurden. 

Bild: Schreiben zur Errichtung von Behelfsheimen für Luftkriegsbetroffene, 22.09.1943. 

Auch an die Gemeinden im Kreis Celle wurde dieses Schreiben des Reichswohnungskommissars nebst einer beiliegenden Broschüre des DWH zum Behelfsheimbau versendet. 

Die Broschüre beinhaltet unter anderem den Aufbau, Grundriss und die Raum- bzw. Grundstücksaufteilung eines mustermäßigen Behelfsheims. 

Bild: Broschüre Behelfsheimbau, DWH. Quelle: Archiv H. Altmann. Hinweis: Symbole nach § 86a StGB entfernt. 

Bild: Broschüre Behelfsheimbau, DWH. Quelle: Archiv H. Altmann. Hinweis: Symbole nach § 86a StGB entfernt. 

Die Fensterwand sollte demnach nach Süden oder Südwesten ausgerichtet werden. Dies ist in der Siedlung am Hochwald in Unterlüß der Fall. An die Eingangsseite sollte sich ein kleiner Wirtschaftshof mit Garten anschließen. 

Die Ausführung des Grundmauerwerks, der Wände und des Daches konnte in verschiedensten Werkstoffen und Bauweisen erfolgen. Gleiches galt ebenfalls für den Fußboden. 

                
Bild: Broschüre Behelfsheimbau, DWH. Quelle: Archiv H. Altmann. 

Hinsichtlich des Grundrisses bestanden ebenfalls einige allgemeine Vorgaben. Als Ausstattung sollte das Behelfsheim zumindest einen Windfang, eine Wohnküche mit Schlafgelegenheit für die Eltern und eine Kammer für die Kinder umfassen. Die Ausstattung war laut vorliegender Broschüre "mit alten und neuen Möbeln möglich." 

Bild: Broschüre Behelfsheimbau, DWH. Quelle: Archiv H. Altmann.

Die Aufteilung des Grundstücks war recht einfach, platzsparend und wirtschaftlich gehalten. Während das eigentliche Behelfsheim rund ein Drittel der Grundstücksfläche einnehmen sollte, bot das verbleibende Areal Platz für Beerensträucher, einen Gemüse- und Obstgarten sowie eine kleine Rasenfläche. 

Die Toilette war in einem kleinen Schuppen außerhalb des Behelfsheims zu finden. Dieser diente ansonsten zur Aufbewahrung von Geräten. Auch ein Kleintierstall fand auf dem begrenzten Anwesen Platz. 

Bild: Broschüre Behelfsheimbau, DWH. Quelle: Archiv H. Altmann.

Die Siedlung am Hochwald in Unterlüß wurde ab 1943 errichtet, wie zeitgenössische Karten belegen. Diesen zufolge war ursprünglich eine Fläche von ca. 12 ha für die Anlage der Behelfsheime vorgesehen. Historische Luftbilder legen nahe, dass bereits umfangreiche Baumaßnahmen angestrengt wurden, um das Areal möglichst weitläufig zu erschließen. 

Allerdings kam es bis April 1945 nicht mehr zur Errichtung der DAW Siedlung. Lediglich ein kleiner Teil - ca. ein Fünftel - der angestrebten Behelfsheime wurden bis Kriegsende  auf der Fläche im Jagen 361 in Unterlüß fertiggestellt. 

Bild: Siedlung am Hochwald, Unterlüß. Quelle: H. Altmann, 2018. 

Auch wenn nur ein Bruchteil der geplanten Fläche bebaut wurde, bestand bereits die Infrastruktur für weitere Behelfsheime. Ehemalige Anwohner erinnerten sich, dass im nordwestlichen Teil der Anlage außerdem ein Findling aufgestellt worden war, in den ein Hakenkreuz eingraviert war. 

Mittlerweile ist hiervon nichts mehr zu finden - auch der ursprüngliche Baubestand ist nur noch teilweise erkennbar. Einige Gebäude wurden inzwischen neu errichtet bzw. äußerlich stark verändert. 

Bild: Siedlung am Hochwald, Unterlüß. Quelle: H. Altmann, 2018. 

Im rückwärtigen Teil der Siedlung zeugen noch eingelassene Betonfundamente von der Zeit in der die Gebäude errichtet worden sind. Offenbar befand sich hier einst eine Umzäunung. 

Bild: Zaunfundament, Siedlung am Hochwald, Unterlüß. Quelle: H. Altmann, 2018. 

Die einstigen Begrenzungswege der Anlage sind ebenfalls nur noch bei genauem Hinsehen erkennbar. Sie verlaufen heute noch genau so, wie auf den historischen Luftaufnahmen. Die Wege wurden früher offenbar grob im Gelände abgeschoben und verfügen heute noch über auffällige Böschungen. 

Bild: Begrenzungsweg, Siedlung am Hochwald, Unterlüß. Quelle: H. Altmann, 2018. 

Insgesamt zeigt sich in der Siedlung am Hochwald in Unterlüß, wie unscheinbar die Relikte aus jener Zeit mittlerweile geworden sind. Nach Kriegsende wurden die Gebäude vielfach von Flüchtlingsfamilien belegt. Selbst deren Nachfahren ist heute der historische Hintergrund der einstigen DWH Siedlung regelmäßig nicht mehr geläufig. 

Unterlüß verfügt noch heute über einen erheblichen Gebäudebestand aus der Zeit des Dritten Reiches. Wie in diesem Beitrag gezeigt werden konnte, war vor Ort ebenfalls das Deutsche Wohnungshilfswerk anzutreffen. 

H. Altmann




Montag, 12. November 2018

Blickwinkel #7 - Celle, Altes Rathaus


Schon in früheren Zeiten entstanden in Stadt und Landkreis herrliche Aufnahmen von Sehenswürdigkeiten, Straßenszenen und alltäglichen Begebenheiten. Manchmal sticht erst beim direkten Vergleich mit heutigen Aufnahmen ins Auge, was sich im Laufe der Zeit verändert hat. In der Serie Blickwinkel werden alte Fotografien im historischen und lokalen Kontext vorgestellt. 

Heute - wie auch früher - befindet es sich im Herzen der Stadt: das alte Rathaus. Aus dem Stadtbild ist das traditionsreiche Gebäude selbstverständlich nicht fortzudenken. Eine alte Postkarte aus den späten 40er Jahren gewährt eine schöne Sicht auf das alte Rathaus. Die komplette Historie würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen - daher nur einige interessante Fakten zu diesem Gebäude. 

Bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts finden sich Quellen, die vom alten Rathaus berichten. Zumindest indirekt, denn eigentlich ist vielmehr lediglich vom Schankrecht im Stadtkeller unter dem Rathaus die Rede. Die entsprechende Urkunde vom 8. Juni 1378 erlaube den Celler Ratsherren fremden Wein und fremd Biere im Ratskeller feilzuhalten, auszuschenken und zu verzapfen. 

Da zu dieser Zeit bereits ein Keller vorhanden war, dürfte das aufstehende Rathaus bereits einige Zeit existiert haben. Eine wesentliche Erweiterung des Gebäudes fand im 16. Jahrhundert statt. Zur Unterbringung einer Waage und zweier Bierkeller wurden zunächst Nachbarhäuser angemietet. Zudem wurden zwei weitere Gebäude Wohngebäude, die zwischen der Stechbahn und dem ersten rathausmau lagen, angekauft und abgerissen. 

Bild: Altes Rathaus, Celle, Postkarte 40er Jahre. Quelle: Archiv H. Altmann. 

In den Jahren 1577 - 1579 erhielt der nördliche Rathausteil die bis heute bestehende Weser-Renaissance-Fassade nach Hamelner Vorbild. Die ursprüngliche Raumaufteilung wurde zur Mitte des 19. Jahrhunderts neu gestaltet, sodass der Celler Stadtchronist Clemens Cassel später konstatierte: "Jetzt ist die innere Raumaufteilung, namentlich in neuerer Zeit, so umgestaltet worden, dass die ursprüngliche Anlage kaum mehr erkennbar ist.

Bild: Altes Rathaus, Celle, heute. Quelle: Archiv H. Altmann. 

Bei Renovierungsarbeiten in den Jahren 1884 und 1885 wurde an der Fassade ein auffälliger Diamantquaderanstrich entdeckt, der auf das Jahr 1697 datiert werden konnte. Trotz erheblichen öffentlichen Widerstands kam es daraufhin zur Restaurierung und dem heutigen Erscheinungsbild der Rathausfassade. 

Bild: Altes Rathaus, Celle, Bildmontage. Quelle: H. Altmann. 

Wie eh und je findet direkt vor dem alten Rathaus der Wochenmarkt statt. Auch wenn dieser nicht mehr auf die offizielle Rathaus-Waage angewiesen ist, trägt er dazu bei, dass dieses historische Gebäude jede Woche in seinem traditionellen Umfeld in Erscheinung tritt. 

H. Altmann