f Zwischen Uelzen und Celle: die Feldbahnübung von 1892 ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Dienstag, 7. März 2023

Zwischen Uelzen und Celle: die Feldbahnübung von 1892

Bild: Brücke über die Aller bei Celle. Quelle: DeGolyer Library, Southern Methodist University

Die ausgedehnten Heideflächen nördlich von Celle waren in der Geschichte mehrfach Schauplatz militärischer Manöver. Eine besonders spektakuläre Übung wurde unter großem Aufwand im Jahre 1892 abgehalten. In deren Rahmen wurde innerhalb weniger Tage eine eingleisige Feldbahnstrecke rund 70 Kilometer durch die Heide – zwischen Uelzen und Celle – verlegt und in Betrieb genommen.

Am 14. Juli 1892 setzte in Uelzen „ein sehr reges militärisches Leben“ ein.[1] An diesem Tag trafen die ersten Mannschaften der Berliner Eisenbahnbrigade aus Schöneberg ein. Fortwährend erreichten Zugtransporte mit Baumaterial und weitere Truppenkontingente den Uelzener Bahnhof. Ziel des Aufmarsches war eine praktische Übung der Eisenbahnbrigade, in deren Vorbereitung eine schmalspurige Feldbahnstrecke zwischen Uelzen und Celle errichtet und in Betrieb genommen werden sollte.

Ein vergleichbares Manöver hatte bis dato noch nie stattgefunden, denn die Militäreisenbahn war für damalige Verhältnisse ein relativ moderner Truppenbestandteil. Der Deutsch-Französischen-Krieg (1870-1871) hatte das Bewusstsein für die militärische Relevanz von Mobilität geschärft. Um diese für Truppen und Ausrüstung zu gewährleisten, wurden bereits ab 1866 gesonderte Eisenbahnabteilungen im Heer geschaffen. 

Die Eisenbahnregimenter sollten im Ernstfall insbesondere in der Lage sein, behelfsmäßige Feldbahnen in kurzer Zeit bereitzustellen, um im Kriegsfall die erforderliche Beweglichkeit größerer Kontingente zu gewährleisten. Mit der Einrichtung eines eigenen Standortes in Schöneberg bei Berlin verfügte die Truppe zwar über neue Kasernen – an Platz für praktische Übungen, nämlich für die Anlage von Feldbahngleisen über mehrere Kilometer – mangelte es vor Ort jedoch. 

Bild: Bahnhof Uelzen. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Vor diesem Hintergrund fiel die Wahl für ein entsprechendes Manöver auf die dünn besiedelte Heidegegend zwischen Uelzen und Celle. Die hiesige Landschaft bot sich für ein derartiges Unterfangen ideal an. Einerseits gab es wenig landwirtschaftlich genutzte Flächen, die im Rahmen der Übungen beschädigt werden konnten – andererseits war das Gelände recht abwechslungsreich. Es mussten mehrere Flüsse, sandige Steigungen und größere Moore überwunden werden. Gleichzeitig mussten die Eisenbahntruppen versorgt, transportiert und untergebracht werden. Die sogenannte Feldbahnübung des Jahres 1892 erfuhr daher auch überregional größere Beachtung.

Morgen, Dienstag den 12. d. Monats, rückt das königliche bayrische Eisenbahnbataillon nach der Lüneburger Haide ab, um dortselbst zusammen mit der königlichen preußischen Eisenbahnbrigade eine große vierwöchige Feldbahnübung durchzuführen.“, war in der Münchener Allgemeinen Zeitung damals zu lesen.[2] Letzte Kompanien des Bataillons erreichten Uelzen am 17. Juli 1892. Sie trafen in Kriegsstärke, d.h. mit je 182 Mann und 10 Offizieren ein.[3] Am 22. Juli 1892 waren bereits rund 1.000 Soldaten in Uelzen eingetroffen und wurden zunächst bei der örtlichen Bevölkerung einquartiert.

Bild: Depotkompanie nach Ankunft in Uelzen. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Das Baumaterial musste vollständig antransportiert werden. Schienen, Bahnschwellen sowie einige hundert Transportwagen und 50 Lokomotiven gelangten über Eisenbahntransporte auf der Normalspur zum Bahnhof Uelzen.[4] Bereits dort waren weitreichende infrastrukturelle Herausforderungen zu bewerkstelligen – Feldbäckereien und Feldschmieden wurden erreichtet, Platz für Neben- und Abstellgleise geschaffen, ein Wasserbrunnen zur Versorgung gebohrt und zahlreiche Nebengebäude errichtet. Unmittelbar nach Beginn dieser Arbeiten wurde mit dem Bau der Feldbahnstrecke begonnen.

Bild: Einbautrupp der 4. Reservebaukompanie. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

In nur neun Tagen konnte die rund 70 Kilometer lange Strecke fertiggestellt werden.[5] Die Baumaßnahmen erfolgten versetzt – die Arbeiten für den Unterbau erhielten einen Vorsprung von zwei Tagen, sodass anschließend der Oberbau erfolgen konnte. Am 11. Tag nach Beginn der Bauarbeiten konnte auf der fertigen Strecke der planmäßige Betrieb aufgenommen werden.[6]

Der Streckenverlauf führte von Uelzen zunächst nach Hansen und überquerte hier die Gerdau. Von dort aus lief die Strecke in südwestliche Richtung vorbei an Unterlüß und erreichte etwa bei Gerdehaus den schmalen Bachlauf der Sothrieth. Dieser und die vorgelagerten Feuchtwiesen wurden mit einer langgezogenen Brückenkonstruktion überquert. 

Bild: Übergang über die Sothrieth. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Im weiteren Verlauf erreichte die Feldbahnstrecke Hermannsburg – hier überwand sie die Lutter (auch bezeichnet als Weesener Bach) und führte dann weiter nach Süden. Später stieß die Strecke auf die alte Heerstraße in Richtung Celle und folgte deren Verlauf über die Anhöhe des Citronenberges westlich von Rebberlah. 

Bild: Brücke über die Lutter bei Hermannsburg. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Bild: Küche in Hermannsburg. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Auf freier Strecke waren in bestimmten Abständen kleinere Bahnstationen und Holzschuppen errichtet worden. So beispielsweise auch bei Streckenkilometer 50 südlich von Rebberlah. Von dort aus verlief die Feldbahn weiter in südwestliche Richtung durch den Arloh bis fast nach Scheuen. Hier befand sich ebenfalls eine kleine Bahnstation bei Kilometer 55.

Bild: Ankunft auf Kilometer 55. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Südlich von Scheuen führte die Feldbahnstrecke an der alten Ziegelei vorbei und dann kreuzte die neue Chaussee nach Hamburg unmittelbar östlich von Groß Hehlen. Bei Klein Hehlen wurde schließlich der Streckenkilometer 60 erreicht. Südlich von Klein Hehlen erreichte die Feldbahn schließlich ihr größtes natürliches Hindernis – die Aller. 

Hier wurde eine Brückenkonstruktion aus Stahl über den Fluss errichtet – wohlgemerkt: Nachts. Die Allgemeine Militärzeitung hielt hierzu später fest: „Ein interessantes Schauspiel bot das Legen einer Eisenbahnbrücke Nachts über den Allerfluß im Neustädter Holze bei Celle. Beim Scheine feldmäßiger Beleuchtung hantierten die Soldaten in ihren Arbeitsanzügen ameisenartig, im Hintergrunde ertönten die taktmäßigen Hammerschläge der Feldschmiede, welche das weißglühende Metall verarbeitete.[7] 

Bild: Brücke über die Aller. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Im Neustädter Holz nahm die Feldbahnstrecke eine scharfe Linkskurve und erreichte die Celler Neustadt südlich der Fuhse. Dort wurde ein behelfsmäßiger Feldbahnhof eingerichtet.

Bild: (Feld-)Bahnhof Celle. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Insgesamt wies die Feldbahnstrecke auf ihren 64 Kilometern Länge rund 400 Meter Brücken auf.[8] Mit Verzweigungen und Nebengleisen waren rund 70 Kilometer Gleise verlegt worden. Ein größeres Moor musste auf einer Breite von ca. 1,5 Kilometern überwunden werden – hierfür wurden unter anderem Roste in den Boden eingelassen, um das Gewicht der Bahnstrecke besser zu verteilen. 

An den Baumaßnahmen waren insgesamt 9 Eisenbahnbaukompanien beteiligt – der spätere Betrieb wurde durch 5 dieser Kompanien durchgeführt.[9] Während der Baumaßnahmen kam es zu kleineren und größeren Unfällen. Bei Hermannsburg stießen zwei Transportwagen zusammen, wobei zwei Soldaten zwischen die Wagen gerieten und starke Quetschungen erlitten.[10]

Bild: Kilometer 45 während des Betriebes. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Nach Abschluss der Bauarbeiten begann die eigentliche Übungsphase des laufenden Bahnbetriebs. Um die Tauglichkeit der Feldbahn für den Kriegsfall unter Beweis zu stellen, sollte insbesondere die Frequenz der Zugtransporte und die Logistik erprobt werden. Täglich fuhren rund 14 Züge auf der Feldbahn zwischen Celle und Uelzen – es wurde dabei zwischen Geschwindigkeiten von 10 – 15 km/h variiert.[11] Auf der Strecke kam insbesondere ein neuer Sanitätsversuchszug zum Einsatz.

Bild: Sanitätsversuchszug in Hermannsburg. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Aufgrund der gesteigerten Beachtung dieses Manövers – immerhin handelte es sich um den größten bis dahin je durchgeführten Feldbahnversuch – rechnete man mit einem Besuch des Deutschen Kaisers. Ein Salonwagen für die Befahrung der Feldbahnstrecke war bereits bereitgestellt worden.[12] Zu einem kaiserlichen Besuch kam es allerdings nicht – die Gründe sind bis heute unbekannt.

Bild: das Offizierskorps bei der Versammlung in Celle am 10. August 1892. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Stattdessen wurde die Feldbahn unter Anwesenheit hochrangiger Generäle in Augenschein genommen. So besichtigte der Generalmajor Max von Bock und Polach im August 1892 die Bahnstrecke. Bereits 1893 wurde von Bock und Polach zum Generalleutnant der 20. Division in Hannover ernannt. Ab 1897 war er General der Infanterie. Zeitgenössische Aufnahmen zeigen Max von Bock und Polach und das Offizierskorps bei einer Befahrung der Strecke. Es liegen Fotoaufnahmen vor, die von Bock und Polach bei der Abfahrt aus Celle und bei der Besichtigung der Station am Streckenkilometer 50 zeigen.

Bild: Besichtigung der Strecke durch Herrn General von Bock und Polach. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Bild: Besichtigungsfahrt seiner Exzellenz des Chefs des Generalstabs - Kilometer 50. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Bis Mitte August 1892 lief der planmäßige Übungsbetrieb auf der Feldbahn. Als dieser erfolgreich beendet war, rückten zunächst die bayrischen Eisenbahnkompanien wieder ab. Nachdem auch die Stäbe der Eisenbahnbrigade nach Berlin zurückgekehrt waren, wurde die einspurige Feldbahn komplett zurückgebaut. 

Bild: Abfahrt des letzten fahrplanmäßigen Zuges von Hermannsburg nach Uelzen am 13. August 1892. QuelleDeGolyer Library, Southern Methodist University

Der Rückbau setzte von Hermannsburg aus in beide Richtungen gleichzeitig ein.[13] Hölzer, Bretter, Bohlen und Balken wurden anschließend zusammen mit sonstigem Baumaterial öffentlich versteigert. Darüber hinaus wurden die im Zuge der Baumaßnahmen entstandenen Flurschäden taxiert.

Bild: Spuren der ehemaligen Feldbahn im Bereich des Citronenbergs bei Miele. Quelle: Altmann, 2023. 

Aus Sicht des Militärs wurde das Manöver im Nachhinein als positiv bewertet. „Das Ergebnis der Feldbahnübungen ist, der Schwierigkeit des Geländes entsprechend, durchaus zufriedenstellend gewesen. Offiziere und Mannschaften haben sich dem schwierigen und anstrengenden Dienste mit Ausdauer unterzogen. Aus dem Verlauf der Übung hat sich auch ergeben, dass sich die Bahnspur von 60 Zentimetern in hohem Maße für den Ausbau von Kleinbahnen, selbst in den schwierigsten Geländegestaltungen, eignen dürfte (...).“[14] Einige Anwohner und Bauern bedauerten es offenbar sogar, dass die Feldbahnlinie zwischen Celle und Uelzen wieder vollständig abgebaut worden war. Durch diese hatte man sich wohl einen Aufschwung in den kargen Heidelandschaften erhofft.

Bild: Spuren der ehemaligen Feldbahn bei Miele. Quelle: Altmann, 2023. 

Heute sind von der ehemaligen Feldbahnstrecke nur noch wenige Spuren im Gelände zu erkennen. Es ist ohnehin beachtlich, dass davon überhaupt noch etwas zu sehen ist, denn immerhin liegen die damaligen Ereignisse bereits über 130 Jahre zurück. Im Bereich der Anhöhe des Citronenbergs bei Miele (südöstl. Severloh) ist noch ein tiefer Geländeeinschnitt parallel zur alten Heerstraße zu erkennen.

Bild: Spuren der ehemaligen Feldbahn bei Weesen/Hermannsburg. Quelle: Altmann, 2023. 

Bild: hier befand sich einst die massive Brücke der Feldbahn über die Aller südlich von Klein Hehlen. Quelle: Altmann, 2023. 

Rund einen Kilometer nördlich des Citronenbergs sind ebenfalls noch Reste der einstigen Feldbahnstrecke erhalten geblieben – gleichmäßige Dämme zeugen von deren Verlauf. Nordöstlich von Weesen lässt sich dieser nur noch in geringfügigem Maße im Gelände erkennen. Moderne Laserscanaufnahmen ermöglichen es jedoch auch in diesen Bereichen, den Streckenverlauf aufzuspüren. Restlos verschwunden ist dagegen die einstige Brücke der Feldbahn über die Aller bei Celle. Wo sich damals zeitweise der Zielbahnhof der Feldbahnstrecke befand, erstreckt sich heute der Celler Stadtteil Neustadt/Heese.

H. Altmann

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Stand: 03/2023

[1] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[2] Münchner Allgemeine Zeitung, Jg. 94. Nr. 192, 12.07.1892.
[3] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[4] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[5] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 61, S. 485.
[6] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[7] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 61, S. 485.
[8] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[9] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[10] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[11] v. Löbell, Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, Jg. 1895, S. 485.
[12] Allgemeine Militär-Zeitung, 1892 Nr. 59, S. 469.
[13] Deutsche Verkehrsblätter und Allgemeine Deutsche Eisenbahnzeitung, Jg. 1892, Nr. 35, 01.09.1892.
[14] Deutsche Verkehrsblätter und Allgemeine Deutsche Eisenbahnzeitung, Jg. 1892, Nr. 35, 01.09.1892.


3 Kommentare:

  1. In weesen gibt es noch den sogenannten Bahnhof

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  2. Vielen Dank für diesen Beitrag. Insbesondere die Details zum Umfang der Übung waren mir größtenteils noch nicht bekannt.

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  3. Unbekannte Details, sehr gut geschrieben;)

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