f Die Bürokratie vergisst nicht. ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Dienstag, 8. August 2017

Die Bürokratie vergisst nicht.



Es ist bereits einige Jahre her, dass der Historiker Bernhard Strebel im Auftrag der Stadt Celle sein Gutachten zu Straßennamen in Celle und personelle Verbindungen mit dem Nationalsozialismus am 30.11.2010 veröffentlichte. 

In seinem Gutachten beurteilte Strebel die Rolle des damaligen Landrats und späteren Oberbürgermeisters, Wilhelm Heinichen (1883 - 1967), grundsätzlich kritisch. Insbesondere wertete Strebel Quellen aus, die Maßnahmen belegen, wonach Heinichen Versuche unternahm, Juden aus dem Landkreis Celle nach "Buchenwalde" zu überstellen.  

Das Gutachten Strebels erfuhr (über-)regional Kritik und wurde schließlich durch ein Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte untersucht. In Auftrag gegeben hatte dieses Gegengutachten die Familie Heinichens (CelleHeute berichtete). 

Wilhelm Heinichen
Im Rahmen dieser Untersuchung wurden die Darstellungen Strebels teilweise als unbegründet verworfen. Das Gutachten des IfZ attestierte Heinichen, dass "seine Amtsführung zwischen 1933 und 1945 (...) keine Hinweise auf innere Nähe zum Nationalsozialismus (bietet)." Weiter führte das Gutachten aus, dass "aus den Akten eine Distanz, wie sie das sachliche, also vernehmlich unpolitische Ideal preußischer Verwaltungstradition kennzeichnet" hervorgeht. 

Das Gutachten resümiert, dass "ein ausführendes Organ eines verbrecherischen Staates (...) sich in Ausübung von Dienstpflichten notwendig zum Handlanger des Regimes (macht)." Heinichen habe "sich dem NS-Regime nicht angebiedert, sondern unauffällig sein Amt versehen." 


In den Nachkriegsjahrzehnten war es gute Tradition, sich auf die übergeordnete Befehlsketten zu berufen. Allerdings könnte man auf diese Weise auch problemlos die Massenerschießungen durch die Einsatzgruppen als bloße "Ausübung von Dienstpflichten" deklarieren. 

Allen bisherigen Gutachten zur politischen Einschätzung des ehemaligen Celler Oberbürgermeisters Heinichen ist gemein, dass die überwiegende Quellenlage in eine Zeit zurückdatiert, in der gemeinhin nicht offiziell vom systematischen Völkermord gesprochen wurde. Erst infolge der Wannseekonferenz am 20.01.1942 wird die Systematik der Verfolgung von Juden historisch betrachtet als Auftakt zum Völkermord verstanden. 

Umso interessanter ist daher ein Gesuch des damaligen Landrates (Heinichen) vom 31.10.1944 - also aus einer Zeit, in der die Verfolgung von Juden an der Tagesordnung war. Das Schreiben war an die Bürgermeister des Landkreises gerichtet und betraf "Juden und jüdische Mischlinge I. Grades". 

Das Schreiben trägt Heinichens Unterschrift und verdeutlicht die erschreckend bürokratische Systematik der damaligen Kreisverwaltung. In seinem Amt als Landrat musste Heinichen die Konsequenzen seines eignen Handelns abschätzen können. Wer gegen Ende des Jahres 1944 die datenmäßige Erfassung jüdischer Personen veranlasste musste - insbesondere aufgrund seiner gehobenen Amtsteilung - davon ausgehen, dass diese Erfassung nicht zum Wohle der betreffenden Personen erfolgte. Andernfalls hätte ein politisch und gesellschaftlich informierter Mensch seine Augen vollkommen vor der Realität des Jahres 1944 verschließen müssen. Das ist für einen Landrat aber sehr unwahrscheinlich. 


Bild: Schreiben des Landrats vom 31.10.1944. Quelle: Dokument aus Privatbesitz. 

Das vorliegende Schreiben legt nahe, dass der damalige Landrat und spätere Oberbürgermeister den nationalsozialistischen Rassengedanken grundsätzlich verinnerlicht hatte. Andernfalls hätte er von jüdischen Mitbürgern oder jüdischen Personen sprechen können. Dies tat er jedoch nicht - stattdessen würdigte er Juden ganz im Sinne der NS-Ideologie auf ihre rassische Abstammung herab ("volljüdisch" bzw. "jüdische Mischlinge"). 

Sofern das Gutachten des IfZ Heinichen, für "seine Amtsführung zwischen 1933 und 1945 (...) keine Hinweise auf innere Nähe zum Nationalsozialismus" attestiert, wäre zu hinterfragen, wie jemand in dieser besonderen Amtsstellung seine Unterschrift unter ein solches Schreiben setzten konnte, ohne damit gleichzeitig eine innere Nähe zum Nationalsozialismus zu bestätigen.  

H. Altmann




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