f Das Kriegsende - die letzten Tage vor dem Zusammenbruch - Teil (I) ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Montag, 10. April 2017

Das Kriegsende - die letzten Tage vor dem Zusammenbruch - Teil (I)


Teil I - Als der Krieg in die Heimat kam - Ereignisse bis zum 10.04.1945

Das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt sich in diesen Tagen zum 72. Mal. Je weiter die Geschehnisse in die Vergangenheit rücken desto weniger Augen- und Zeitzeugen können noch vom Kriegsende berichten. Im Großen und Ganzen sind die geschichtlichen Zusammenhänge weitgehend bereits erforscht worden. Allerdings zeigen sich vor allem in der regionalhistorischen Betrachtung erhebliche Lücken. 

Wie war es, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging? Die Ereignisse fanden nicht mehr in der Ferne statt - sondern direkt vor der Haustür. In dieser kurzen Serie werden die letzten Kriegstage im Raum Celle schlaglichtartig aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. 

Heute vor 72 Jahren war das Ende des Krieges auch im Landkreis Celle deutlich spürbar. Besonders die verstärkten Aktivitäten der US Air Force sowie der britischen Royal Air Force setzten der Bevölkerung zu. Das zivile Leben war durch ständige Luftangriffe erheblich eingeschränkt worden. Dies belegt auch ein Auszug aus der Wathlinger Schulchronik vom 27. Februar 1945. 

Bild: Auszug aus der Wathlinger Schulchronik. Quelle: Hannah Fueß-Berichte. 

Celle selbst war bis auf leichte Beschädigungen bis Anfang März 1945 kaum durch unmittelbare Kriegseinwirkungen betroffen. Am 3. März änderte sich dies schlagartig - US Bomber brachten bei Altencelle, etwa in Höhe des Bahnübergangs an der Braunschweiger Heeresstraße rund 120 schwere Bomben zum Abwurf. Tags darauf arbeiteten 20 Mann an der Behebung der Bombenschäden, um die Straße wieder befahrbar zu machen. 

Die Beedenbostler Schulchronik berichtet, dass im März/April die umliegenden Brücken zur Sprengung vorbereitet wurden. So wurde in vielen Orten in der legend verfahren. Oft wurden eingesammelte Fliegerbomben auf / unter die Brücken gebracht. 

Anfang April berichtet die Cellesche Zeitung von "feindlichen Angriffen im Teutoburger Wald." Die alliierten Truppen umschlossen ab dem 1. April die Heeresgruppe B im sogenannten Ruhrkessel. Die 84. US Infanterie Division war bereits fast einen Monat zuvor bei Homberg nördlich von Krefeld über den Rhein gelangt - Mitte April sollte sie auch den Landkreis Celle erreichen. 

Die Cellesche Zeitung vom 4. April berichtete über "die starken Herzen - Deutsche Soldaten in der Abwehrschlacht...". Propaganda, die zu diesem Zeitpunkt vermutlich nur noch wenige ernsthaft glauben konnten. Allerdings fehlten hierfür offenbar auch die passenden Alternativen, denn bis in die letzten Kriegstage hinein blieben die politischen Instanzen straff organisiert. 

Bild: Auszug aus der Celleschen Zeitung vom 04.04.1945. Quelle: CZ. 

In den ersten Apriltagen nahm die Spannung in Celle spürbar zu. Größere Flüchtlingstransporte waren bereits eingetroffen. Die städtischen Notquartiere waren überfüllt, die Lazarette aufgrund der zurückflutenden Truppen ausgelastet und es herrschte allgemeines Bangen, wie die nächsten Tage verlaufen würden. 

Wie jede andere Stadt im Reichsgebiet hätte Celle eigentlich verteidigt werden müssen. Der kommandierende Generalmajor Paul Tzschökell verlegte auch einige der zur Verfügung stehenden Truppen aus den Celler Kasernen - u.a. der Nebeltruppenschule - in entsprechende Verteidigungsstellungen. Die Masse der Soldaten zog sich jedoch vor Ankunft der Alliierten Truppen in nordwestliche Richtung zurück. Tzschökells Ziel war seine eigene Kapitulation in der Göhrde. Die Soldaten, die er in Abwehrstellungen nach Rixförde, Ehlershausen und Wienhausen waren vermutlich nur zur Sicherung seines Rückzugs eingeplant worden. 

Der 8. April 1945 markiert einen Tiefpunkt der Celler Geschichte. Die Stadt war bereits am 22. Februar im Rahmen der "Operation Clarion" von Bomben getroffen worden. Hierbei wurde ein Truppentransport mit ungarischen Soldaten am Bahnhof getroffen. 140 ungarische Soldaten kamen dabei ums Leben. 

Die Ausmaße der Bombardierung am 8. April waren noch größer. Ziel waren auch bei diesem Angriff die Gleisanlagen im Bereich des Güterbahnhofs. 


Bild: Luftbild vom Angriff am 8. April 1945. Quelle: Archiv Altmann. 

Gegen Mittag des 8. April bombardierten einige Staffeln der 9. US-Luftflotte die Ölwerke in Nienhagen (mehr Informationen dazu: Die vergessene Mondlandschaft bei Nienhagen). Die Celler Bereitschaftsfeuerwehr rückte zur Hilfe aus. Niemand rechnete damit, dass Celle selber zum Ziel eines schweren Bombardements werden sollte. 

Um etwa 16:00 Uhr traf auf dem Celler Güterbahnhof ein Zug ein, der zuvor auf der Strecke Gifhorn-Celle unterwegs gewesen war. Er stammte aus dem KZ Drütte bei Salzgitter - einem Außenlager des KZ Neuengamme bei Hamburg. Da amerikanische Flugzeuge die Bahnstrecke überflogen, ließ der Bahnhofsvorsteher den Zug in den Güterbahnhof nach Celle einfahren. 

An Bord des Zuges waren vorwiegend entkräftete Häftlinge, die zur Rüstungsproduktion in den Herrmann Göring Werken eingesetzt worden waren. Es handelte sich um etwa 4.000 Menschen, die aus fast allen Teilen Europas stammten. Im Celler Bahnhof hielt der Zug, da die Lokomotive ausgewechselt werden musste. Bevor er, wie geplant um 18.15 Uhr weiterfahren konnte, gingen um 17:45 Uhr die Luftschutzsirenen los. Vom Flugplatz Wietzenbruch vernahm man erstes Flak-Feuer. 

Insgesamt wurde Celle an diesem Tag von 132 zweimotorigen Flugzeugen des Typs B-26 Marauder angegriffen, die in mehreren Angriffswellen eine Bombenlast von etwa 240 Tonnen Sprengbomben über dem Bahnhofsbereich abwarfen. 


Der KZ-Transportzug wurde schwer getroffen. Neben ihm hatte ein Versorgungszug der Wehrmacht gestanden. Unmittelbar nach dem Angriff ereigneten sich schwere Ausschreitungen gegen die fliehenden KZ-Häftlinge. Die Ereignisse gingen als "die Celler Hasenjagd" in die Geschichte ein. 

Weiter westlich rückte am 8. April die 84. US Infanterie Division über Bückeburg vor. Ihr nächstes Ziel war die Stadt Hannover. 

Bild: Vormarsch der alliierten Truppen am 8. April 1945. Quelle: War office. 

Am 10. April wurde Hannover schließlich durch Truppen der 84. US Infanterie Division eingenommen. Hierbei kamen auch die Infanterie-Regimenter 333., 334 und 335 zum Einsatz, die später in die Ortschaften des Landkreises Celle einrücken sollten. 

In Hannover trafen die Einheiten der 84. US Infanterie Division erstmals auf die "SS Kampfgruppe Wiking". Diese war mit schweren Kampfpanzern vom Typ Sd.Kfz 251 "Jagdpanther" in östliche Richtung unterwegs, um Anschluss an die eigene Truppe zu suchen. Am ehemaligen Bahnhof Hainholz in Hannover wurde einer der Jagdpanther durch US Panzerjäger abgeschossen...


Bild: Fotomontage - einst und heute. 
Quelle: JänzW / Montage: Hendrik Altmann. 


Der US Einmarsch in Hannover erfolgte aus nordwestlicher Richtung. Die Stadt konnte ohne größere Gegenwehr eingenommen werden. Dies lag unter anderem daran, dass der Volkssturm nicht wie geplant eingesetzt werden konnte. Das Kriegstagebuch der Wehrmacht erwähnt am 10. April 1945 "feindliches Vorgehen in nordöstliche Richtung" und Artillerie-Feuer auf das Zentrum Hannovers. 

Heinz Friedrich war damals Richtschütze in einem der Jagdpanther der SS-Kampfgruppe Wiking. In den nächsten Tagen war die Kampfgruppe in der Lüneburger Heide unterwegs, wobei sie mehrfach den alliierten Vormarsch behindern sollte. Friedrich überlebte den Krieg vermutlich nicht - er gilt bis heute als vermisst. Seine ehemaligen Kameraden beschrieben die Ereignisse allerdings in Briefen, die sie nach Kriegsende an Friedrichs Eltern sandten.  Danach war die SS-Kampfgruppe Wiking der letzte Verband, der Hannover verließ... 

Bild: Einmarschroute der 84. US Infanterie Division in Hannover. Quelle: Draper, the 84. infantry division in the battle of germany. 

Hannover war zu diesem Zeitpunkt schwer durch die vorangegangenen Bombenangriffe gekennzeichnet. Einige Stadtteile waren durch die flächenmäßigen Bombardements schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. 

Bis heute werden bei Bauarbeiten regelmäßig Bildgänger aus dieser Zeit in Hannover gefunden... 

Bild: Hannover nach den Bombenangriffen. Quelle: US strategic bombing survey. 

Am 9. und 10. April stießen britische Verbände bei Schwarmstedt und Essel in Höhe von Hademstorf über die Weser und die Aller vor. Die deutsche Verteidigung erfolgte durch Marinesoldaten und den Hilfstruppen vom Reichsarbeitsdienst, die nur unzureichend ausgerüstet waren. In nördliche Richtung waren stärkere SS- und Wehrmachtsverbände vorhanden, die sogar noch über Panzer vom Typ Tiger I verfügten und einsetzen konnten. 

Dem massiven Ansturm der britischen Divisionen konnte jedoch nicht standgehalten werden, sodass die wichtigen Allerbrücken bei Bothmer fielen. Den Alliierten stand damit an dieser Stelle am 10. April 1945 ein erster Alleeübergang zur Verfügung. 

Auf Celle marschierten in Folge dieser Ereignisse dieser Ereignisse sowohl die britischen Truppen westlicher Richtung als auch die US Truppen aus südwestlicher Richtung. 

Bild: Die vorrückende 84. US Infanterie Division. Quelle: Draper, the 84. infantry division in the battle of germany. 

In nur zwei Wochen war es den Alliierten Truppen gelungen vom Rhein bis in Höhe der Weser und Aller vorzurücken. Das Bild auf deutscher Seite war fast in allen Orten ähnlich. Die Truppen der Wehrmacht fluteten zurück, man bereitete sich auf den Einmarsch vor. 

Noch kurz bevor die alliierten Truppen die Landkreisgrenze überschritten, erschien in der Celleschen Zeitung eine Bedienungsanleitung für Panzerfäuste. Diese fortschrittlichen Waffen zur Panzer-Nahbekämpfung konnten auch durch Zivilisten verwendet werden. 

Bild: Auszug aus der Celleschen Zeitung vom 04.04.1945. Quelle: CZ. 

Am 10. April war Hannover eingenommen worden. In den kommenden Tagen standen britische und US Truppen an der Grenze zum Landkreis Celle. 

Oft heißt es im Zweiten Weltkrieg sei in dieser Gegend bereits nicht mehr viel los gewesen. Das Gegenteil war der Fall. Besonders im Bereich der Aller stießen die US Truppen auf den stärksten Widerstand seit der Rhein-Überquerung. Fanatische Einheiten der SS und Teile der Wehrmacht hielten Ortschaften und wichtige Brücken über die Aller. 

In den weiteren Beiträgen dieser Serie wird der Einmarsch der Alliierten in den Landkreis Celle behandelt. Zum nächsten Teil: Hier (Klick)


H. Altmann
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2 Kommentare:

  1. Die einen nennen es Zusammenbruch - die anderen Berfreiung.
    Es wird von beidem was Wahres dran sein - alles eine Frage der Perspektive.

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    1. Moin Joachim,

      das stimmt wohl. Zumindest kann man vom Zusammenbruch des politischen Systems sprechen - also i.S.v. einem grundlegenden Umbruch, der natürlich für viele die lang ersehnte Befreiung von einem sehr ungerechten System bedeutete.

      Unter dem Strich kommt es schlichtweg darauf an, diese Zeit nicht zu vergessen. Um etwas zu vergessen müsste man es aber zunächst gekannt haben. Die einstigen Zusammenhänge sind aber alles andere als allgemein bekannt. Diese Beiträge haben daher auch das Ziel ein Stück weit Grundlagenforschung zu betreiben.

      Gruß
      Hendrik

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