f Achtung – Überfall! ~ Heimatforschung im Landkreis Celle

Freitag, 15. April 2016

Achtung – Überfall!


Momentaufnahmen der ersten beiden Schützenfeste nach dem Zweiten Weltkrieg


Schwarzweißbilder. Sorgfältig in ein stoffbespanntes Album eingeklebt. Gut 60 Jahre sind vergangen, seit die Aufnahmen entstanden. Auf ihnen zu erkennen: Uniformierte mit Gewehren, Reiter mit Pferden, eine große Kanone und sogar ein Panzer. An einem Ortseingang brennt Stroh auf dem Straßenpflaster - im Straßengraben daneben stehen junge Männer mit Gewehren.




Weitere Aufnahmen scheinen nach dem „Kampf“ entstanden zu sein. Ein berittenes Gespann aus vier Pferden zieht eine große Kanone. Ihre Besetzung trägt Stahlhelme aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Reiter vorneweg trägt eine Offiziersuniform. 





Die skurrile Szene stammt nicht etwa aus den letzten Kriegstagen, sondern vom ersten Schützenfest nach dem Zweiten Weltkrieg in Offensen/Schwachhausen. Es war eine schwierige Zeit. Der Krieg war verloren – Deutschland war in Besatzungszonen eingeteilt. Etliche junge Männer waren nicht aus dem Krieg nach Hause zurückgekehrt. Andere waren in Gefangenschaft, oder bereits heimgekehrt und vom Krieg gezeichnet. Mein Großvater kehrte 1950 aus einem Arbeitslager aus der UDSSR auf den Hof nach Schwachhausen zurück. Die Welt hatte sich nachhaltig verändert. Trotzdem wurde im Jahr 1952 in den Orten Offensen/Schwachhausen wieder Schützenfest gefeiert. 

Vor dem Hintergrund des verlorenen Krieges ist es schon verblüffend, dass man überhaupt ausgelassen feiern wollte. Darüber hinaus wurden viele Bestandteile des Volksfestes beibehalten. Bis heute haben sich manche dieser Traditionen erhalten – Grund genug einen Blick darauf zu werfen. 

Das Schützenfest in den Ortschaften Wienhausen, Bockelskamp, Oppershausen und Offensen/Schwachhausen ist etwas Besonderes. Die Dörfer wechseln sich der Reihe nach ab und so findet das Volksfest zwar jedes Jahr statt – wird aber im Wechsel in den beteiligten Ortschaften ausgerichtet. 

Einer der Höhepunkte des Schützenfestes ist der große Umzug am Freitag nach Himmelfahrt. Mit bunten Wagen, Spielmannszügen und den Schützen zieht der Umzug in die beteiligten Ortschaften (Königreiche). Hier gilt es das jeweilige Königreich durch einen in Szene gesetzten Kampf am Ortseingang zu erobern. Der unterworfene König muss anschließend die Schützengesellschaft auf seinem Anwesen beköstigen. Natürlich ist das alles nur Spaß. Es geht nicht um Kampf und Krieg. Wer das nicht verstanden hat, der hat das Schützenfest nicht verstanden. 

Als die Deutschen Städte noch zu großen Teilen in Trümmern lagen, lebte im Jahr 1950 die Schützenfesttradition wieder auf. In Offensen/Schwachhausen wurde 1952 wieder ein ausgelassenes Schützenfest gefeiert. Ab dem Jahr 1936 gab es das Volksfest schlicht nicht mehr. Heinrich Marwede aus Oppershausen erinnert sich: „...ja wer hätte denn da auch hingehen sollen? – Die ganzen jungen Männer waren doch im Krieg...“ 





Als im Jahr 1956 das zweite Schützenfest nach Kriegsende gefeiert wurde, war mein Großvater Schützenkönig. Er hatte zur Kavallerie gehört und die Pferde hochrangiger Offiziere betreut. Die Bilder des Schützenfestes im Jahr 1956 zeigen, dass noch viele Pferde in den Umzug integriert wurden. Und so ritt mein Großvater als Schützenkönig in die Wienhäuser Gastwirtschaft „Bauermeister“ ein (Heute Klosterwirt) und ließ sein Pferd aus dem Spülbecken in der Küche trinken. Aus Erzählungen mit Zeitzeugen erahnt man, was das für eine spannende Zeit gewesen sein muss. 

- Eine spannende und zugleich aus heutiger Sicht nicht immer ganz leicht greifbare Zeit. Wie kam man auf die Idee, direkt nach dem Krieg Panzer und Kanonen auf dem Schützenfest zu präsentieren? 




Wir vergessen heute zu leicht, dass die damalige Generation sechs Jahre Krieg und rund zehn Jahre Militarisierung erlebt hatte. Die Erlebnisse mussten sich wohl erst setzen. Und wer genau hinsieht, erkennt dies – es ging nicht vorrangig um eine Verherrlichung des Krieges. 

Zu bemerken ist, dass die Schützenfesttradition bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Ähnlich wie beim Karneval war es immer guter Brauch das politische Geschehen auf die Schippe zu nehmen. So betrachtet gab es 1952/1956 einiges nachzuholen, was zu Kriegszeiten undenkbar gewesen wäre. 

Nicht ohne Grund hatte man im Nationalsozialismus das Schützenfest verboten – es passte nicht in die gleichgeschaltete Gesellschaftsordnung, denn es beinhaltete immer schon unbewusst grunddemokratische Werte. Jeder konnte sich frei für seine Kostümierung entscheiden und es herrschte quasi „Narrenfreiheit“ – während im NS-System strikte Ordnung und absoluter Gehorsam zu achten waren. 

Darüber hinaus stellte die Schützengemeinschaft einen Gegensatz zum Führerstaat dar. So herrschte während des Schützenfestes immer eine vorbildliche Gastfreundschaft und gleichsam eine solide Verbundenheit der Schützengemeinschaft. Dies passte einfach nicht zum Kontrollgedanken der Nazis. 

Die vorstehenden Bilder zeigen vielfach die militärischen Aspekte des Schützenfestes. Diese gehörten aber auch vor dem Zweiten Weltkrieg zum Schützenfest – ebenso wie die Verkleidungen und die lockere Heiterkeit, die an diesen Tagen die Dörfer zu „Königreichen“ werden lässt. So überrascht es auch nicht, dass andere Bilder eben diese Seite des Schützenfestes widerspiegeln und damit eindrucksvoll belegen, dass „Schützenfest“ mehr als ein „Fest der Schützen“ ist. 



Kaum anderswo im Landkreis Celle hat sich die ursprüngliche Tradition des Schützenfestes so konsequent erhalten wie in den Orten Offensen und Schwachhausen. Dies erklärt auch, warum es gerade dieses recht kleine „Königreich“ ist, das mehr Schützen aufbieten kann, als die umliegenden Nachbar-Königreiche. 

Auch in diesem Jahr soll wieder ein Schützenfest in Offensen/Schwachhausen gefeiert werden. Sicherlich werden einige der historischen Traditionen gepflegt. Trotzdem lebt das Schützenfest durch seinen stetigen Bezug zum aktuellen Geschehen und ist so jedes Mal auf’s Neue wieder einzigartig und erlebenswert. 

Aktuelle Informationen zum Programm des diesjährigen Schützenfestes finden sich unter anderem auf der Seite des Heimatvereins: 


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Hendrik