Environs de Zelle - 1732. Und was hat das mit den Franzosen zu tun? (Environ = fran. für "Umgebung" --> Umgebungskarte Celle 1732)
Vorgeschichte
Am 01. Februar 2013 erschien in der Celleschen Zeitung (CZ) ein seitenfüllender Bericht über eine großzügige Spende des Celler Rotary Clubs an das Stadtarchiv. Gegenstand dieser Spende ist eine Karte aus dem Jahr 1769 die die Stadt Celle. Die Karte zeigt Celle als Festung mit dem Schloss und das angrenzende Stadtgebiet als wohl geordnete Siedlung. Besonders schön ist die genaue Bezeichnung der einzelnen Häuser und Flurstücke - insgesamt kann man von einer sehr aufwändigen Karte sprechen. Dass es sich bei dieser Karte wohl eher um eine "original Kopie" als ein grundständiges Original handelt wurde bereits im entsprechenden Beitrag behandelt (Die Kopie von der Kopie - ein Orignal?)
Allerdings wird auf der Karte von 1769 das Celler Umland völlig ausgeblendet. Ohnehin hat man das Gefühl, dass die Dörfer um Celle erst im Siebenjährigen Krieg und der damit verbundenen Besatzungs- bzw. Franzosenzeit kartografische Bedeutung erfahren. Nun habe ich einen Kartenfund gemacht, der das Gegenteil belegt: eine Karte des Celler Umlandes aus dem Jahr 1732. Ich habe diese Karte in digitalem Format an Herrn Voss, Leiter des Celler Kreisarchivs, weitergeleitet.
Ohne weiteres kann man sich über so einen Fund freuen. Dennoch möchte ich einige Fragestellungen in Zusammenhang mit dieser Karte aufgreifen und abarbeiten bevor ich sie in mein digitales Archiv verwinden lasse und erst bei der nächsten Gelegenheit wieder hervorhole. Dabei werde ich methodisch einige Punkte abklopfen und am Ende meine Ergebnisse zu einem resultierenden Fazit verdichten...
Bild: Kartenausschnitt "Environs de Celle 1732". Quelle: Französische Nationalbibliothek.
1. Beschreibung der Karte
Erst einmal ist es natürlich wichtig die Karte genauer kennenzulernen. Nur auf diese Weise lassen sich später sinnvolle Rückschlüsse auf den Inhalt ziehen. Daher werde ich jetzt kurz ein paar Fakten und Daten zur Karte erläutern.Quelle: Bibliothèque nationale de France, département Arsenal, MS-6465(714) Französische Nationalbibliothek.
Titel: Environs von der Stadt Zelle. 1732
Erscheinungsdatum: 1732
Themenschwerpunkt : militärische Topografie
Format: 1 carte : ms. aquarellé ; 46 x 58,5 cm
Collection: géographique du marquis de Paulmy
Region: Allemagne – Basse-Saxe Provenienz
Vorbesitzer: Argenson, Antoine-René de Voyer (1722-1787 ; marquis de Paulmy d')
Bild: Kartenausschnitt "Environs de Celle 1732". Quelle: Französische Nationalbibliothek.
Aus diesen Angeben lassen sich bereits wichtige Rückschlüsse herleiten. Aus diesem Grund möchte ich folgende Fragen aufwerfen, die als Leitfaden dienen sollen. Später werde ich diie folgenden Fragen wieder aufgreifen:
- warum existiert gerade vom (relativ unspektakulären) Umland Celles eine Karte - nicht aber von den angrenzenden Gebieten bzw. Städten im gleichen Bestand?
- welche Ähnlichkeiten hat die Karte (1732) zu der französischen Militärkarte (1757) bzw. Zur späteren Kurhannoverschen Landesaufnahme (um 1780)?
- diente die Karte (1732) möglicherweise als Grundlage der anderen Karten?
- warum wird die Karte (1732) generell in der Französischen Nationalbibliothek als militärische Karte einsortiert, wo sie doch nur das zivile Celle und die umliegenden Ortschaften zeigt.
- welcher Zusammenhang zum Siebenjährigen Krieg (ca. 25 Jahre später) bestehen?
- wer war der ursprüngliche Besitzer - der Marquis de Paulmy?
Die Karte zeigt das Gebiet zwischen den Eckkoordinaten der Orte Wolthausen, Eschede, Nienhagen und Schwachhausen. Damit erfasst sie weite Teile des heutigen Landkreises Celle. Wie in einer topografischen Karte üblich werden Besiedlung, Flora und Fauna dargestellt. Auch Wege und Straßen sind abgebildet. Die Legende, d.h. Verwendung der Zeichen in der Karte (1732) ist sehr ähnlich zu späteren topografischen Karten, wie z.B. dem Plan der Französischen und Preußischen Truppen im Dezember 1757 (Karte 1757) und der bekannten Kurhannoverschen Landesaufnahme (um 1780).
Es würde zu weit führen alle Karten im Detail zu analysieren. Daher weise ich nur auf einige interessante Punkte hin. Sicherlich ist die Betrachtung später zu ergänzen...
Warum existiert gerade vom Umland Celles eine Karte?
Es ist merkwürdig, dass ausgerechnet vom Celler Umland eine solche Karte existiert. Obwohl die Gegend ganz hübsch ist und auch zum ein oder anderen Spaziergang einläd, rechtfertigt dies nicht die Existenz einer Karte aus solch alter Zeit.Sie ist, wie alle damaligen Kartenwerke, ist die Karte handgezeichnet. Das setzt nicht nur geografische Kenntnisse, sondern auch hohes zeichnerisches Geschick voraus. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand durch sehr unwirtliches Terrain (dichte Wälder & Sümpfe) quälte, nur um eine Karte aus Spaß anzufertigen. Da die Karte als "militärisch" eingestuft ist, ist es sehr gut möglich, dass die Karte auch genau solch einen Hintergrund haben könnte.
Welche Ähnlichkeiten bestehen zu anderen Karten?
Wie eingangs erwähnt bestehen deutliche Ähnlichkeiten zu späteren Kartenwerken. Genannt seien an dieser Stelle zwei weitere kartografische Nachweise des 18. Jh. Zum einen der Plan der französischen und preußischen Truppen bei Celle im Dezember 1757 (Digitales Archiv Marburg). Zum anderen sei die Kurhannoversche Landesaufnahme aus den Jahren um 1780. Die letztgenannte Karte gilt als die zuverlässigste Karte dieser Zeit.
Neben den formellen Ähnlichkeiten (Maßstab, Flächenabdeckung, Farbgebung, Legende) stechen auch materielle bzw. inhaltliche Übereinstimmungen ins Auge.
Als anschauliches Beispiel sei die Ansicht der Ortschaften Offensen und Schwachhausen angeführt:
Bild: Offensen/Schwachhausen in dem "Plan der Französichen und Preußischen Truppen bei Celle im Dezember 1757". Quelle: Digitales Archiv Marburg.
Die untere Karte (1757) ist nicht nach Norden ausgerichtet. Ansonsten ergeben sich nur marginale Unterschiede. In Schwachhausen fällt die Straßenführung ist Auge: die ist praktisch in beiden Kartenwerken identisch. Ebenfalls gleich ist der nach Norden führende Allerübergang in Schwachhausen. Dieser ist nach heutigem Stand als kartografischer Fehler zu deuten. Bisher spricht nichts dafür, dass es in dieser Zeit wirklich einen solchen Allerübergang gegeben hat. Dieser Fehler besitzt eine hohe Aussagekraft: möglicherweise wurde der Fehler in der Karte von 1757 aus der Karte von 1732 übernommen. Das wäre keine Seltenheit. Denn wegen des hohen Aufwands bei der Anfertigung neuer Karten wurde häufig auf frühere Werke zurückgegriffen. Dabei schlichen sich nicht selten Fehler ein...
So in etwa kennen wir die Ansicht der Orte heute. Der Allerübergang in Schwachhausen geht in Richtung Osten - nicht Norden, wie auf den beiden vorherigen Karten dargestellt. Der Grund für diese Abweichung ist in der Entstehung der Kurhannoverschen Landesaufnahme begründet. Sie ist nämlich eine völlig neue kartografische Erfassung gewesen und griff daher nur kaum auf vorherige Kartenwerke zurück. Ihre Entstehung verdanken wir dem englischen König Georg III. Er beauftragte seinerzeit das Hannoversche Ingenieurskorps mit der Anfertigung der Landesaufnahme.
Vertiefend zu diesem Thema empfehle ich das Beiheft der Kurhannoverschen Landesaufnahme für das Blatt 103 (Celle): Kostenloses Beiheft (LGLN).
Bild: Die Stadt in der Karte der "Environs de Celle, 1732". Quelle: Französische Nationalbibliothek.
Wie in den anderen Karten des 18. Jh. von Celle wird die Stadt auch in der Karte der "Environs de Celle, 1732" als Festung dargestellt. Im Grunde gleicht diese Darstellung sehr stark den anderen Kartenwerken.
Es ist anzunehmen, dass die Karte von 1732 den späteren Kartografen vorlag. Anders kann man sich die Ähnlichkeiten nicht erklären.
Warum wird die Karte als "militärisch" eingestuft?
Diese Einordnung ist etwas seltsam. Während in der Karte von 1757 (Plan der Französichen und Preußischen Truppen bei Celle im Dezember 1757) sichtlich Truppenteile eingezeichnet sind, fehlt in der Karte von 1732 jeglicher offensichtliche militärische Bezug. Natürlich kann man sagen, dass die Zeit nicht gerade friedfertig war. Der große 30 Jährige Krieg lag zwar schon gut ein Jahrhundert zurück, aber damit konnte keineswegs von sicheren politischen Verhältnissen die Rede sein.Eine andere Begründung für die Deklaration als militärische Karte kann in ihrer Herkunft gefunden werden. Sie stammt aus dem Nachlass des Marquis de Paulmy (1722-1787).
Wer war der ursprüngliche Besitzer - der Marquis de Paulmy?
Antoine-René de Voyer d'Argenson, Marquis de Paulmy (1722-1787) war der Neffe des Comte d'Argenson - eines französischen Kriegsministers. Paulmy interessierte sich sehr für Bibliotheken und besaß selber eine umfassende Sammlung historischer Werke. Bevor er starb verfügte er, dass seine Sammlung nicht zerschlagen werden sollte. Daher fielen letztendlich viele kulturhistorisch wichtige Dokumente und Werke an das Französische Nationalarchiv.
Es ist keine besonders abwegige Vermutung, dass die Bestände des Marquis de Paulmy generell in militärhistorischem Zusammenhang angesiedelt werden. Es ist also durchaus möglich, dass in der angeblichen Militärkarte etwas gesehen wird, was sie gar nicht ist. Diese recht plausible Theorie lässt sich natürlich weiter verfolgen. Logisch folgend ergibt sich folgende Fragestellung:
Welcher Zusammenhang besteht zum Siebenjährigen Krieg?
25 Jahre nach der Datierung der Karte, nämlich 1757, standen sich die französischen Truppen unter dem Marshall de Richelieu und die Preußen unter Herzog Ferdinand v. Braunschweig gegenüber. Die spannende Frage: verfügten die Franzosen dabei über die Karte der "Environs de Celle" aus dem Jahr 1732?
Würde man diese Frage bejahen, würde das bedeuten, die Franzosen hätten bestens bescheid gewusst, wie der Celler Raum militärisch zu behandeln war.
Darüber hinaus würde diese Theorie ebenfalls darauf schließen lassen, dass die Karte von 1732 durch eben diese Ereignisse im Jahr 1757 zu einer "militärischen" Karte wurde: eine zivile Karte, die vom Militär genutzt werden kann, wird zwangsläufig zu einer militärischen Karte...
Nun kann man natürlich noch viele weitere Fragen aufwerfen. Es wird in der Literatur immer wieder darauf verwiesen die französischen Truppen seien bei Winsen und Wienhausen/Schwachhausen durch die Aller gegangen, um in einer Zangenbewegung die Preußen bei Altenhagen einzukreisen. Ich habe in der Vergangenheit Bemühungen angestellt diese These zumindest für Schwachhausen zu klären. Abgesehen von vielen Musketenkugeln auf verschiedenen Ackerflächen und allgemeine Hinweise aus der Besatzungszeit der Franzosen kann ich die Behauptung, dass die Franzosen in Schwachhausen über die Aller gegangen sind nicht bestätigen. Sicherlich habe ich auch Funde gemacht, die auf die Anwesenheit von französischen Truppen schließen lassen, aber bei solch einer Armee-Stärke hätten sich bisher andere Ausmaße von Funden einstellen müssen, um die Theorie zu untermauern.
Bild: Bodenfund den ich im Flotwedel gemacht habe - ein französicher Zeltknopf.
Die entscheidende Frage ist doch: wie kommt es zu der Annahme, dass die Franzosen Schwachhausen für den Allerübergang genutzt haben? Im Norden der Ortschaft, jenseits der Aller erstrecken sich die Allerdreckwiesen bis kurz vor Lachendorf. Damals war dieser Landstrich noch viel unzugänglicher als heute - es ergibt schlichtweg keinen Sinn eine Armee durch solch ein sumpfiges Gelände zu führen. So ein Vorgehen würde jeder Taktik der französischen Armee in dieser Zeit widersprechen.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Franzosen den Allerübergang in Wienhausen (nach Oppershausen) nutzten. Die Voraussetzungen für eine Allerüberwindung sind dort viel besser gegeben!
Zurück zur Frage, wie es zu der Theorie des Übergangs in Schwachhausen kommen konnte.
Möglicherweise griff man für diese Theorie auf die Karte von 1732 zurück und mutmaßte, dass Schwachhausen für den Übergang der französischen Truppen geeignet sei. Laut der Karte war Schwachhausen sogar überaus geeignet, denn man erkennt ja deutlich den Weg Richtung Norden. Dieser Weg existiert zwar in der Realität so nicht - sieht aber auf dem Papier natürlich erst einmal aus wie die perfekte Marschroute.
Zum Abschluss - noch eine interessante Betrachtung...
Möglicherweise griff man für diese Theorie auf die Karte von 1732 zurück und mutmaßte, dass Schwachhausen für den Übergang der französischen Truppen geeignet sei. Laut der Karte war Schwachhausen sogar überaus geeignet, denn man erkennt ja deutlich den Weg Richtung Norden. Dieser Weg existiert zwar in der Realität so nicht - sieht aber auf dem Papier natürlich erst einmal aus wie die perfekte Marschroute.
Zum Abschluss - noch eine interessante Betrachtung...
Bild: Das Waldgebiet "die Spache" bei Celle laut der Karte der "Environs de Celle, 1732". Quelle: Französische Nationalbibliothek.
Bis heute kann man nicht wirklich nachvollziehen in welcher Zeit die Bundesstraße durch die Sprache ihren Ursprung hat. Auf sehr alten Karten gibt es dort keinen Weg bzw. befestigte Straße. Auf späteren Messstichblättern (19./20. Jh.) taucht die Straße dann wie selbstverständlich auf. Hier in der Karte aus dem Jahr 1732 kann man einen Weg erkennen der das Waldgebiet schon halb durchquert. Könnte es sich dabei um einen Vorgänger der heutigen Straße Richtung Osten handeln? Wer weiß...
Fazit
Wir haben es bei der Karte aus dem Jahr 1732 mit einer neuen, vielen sicherlich unbekannten kartografischen Darstellung des Celler Landkreises zu tun. Ich habe die Karte im Französischen Nationalarchiv entdeckt und an das Celler Kreisarchiv weitergeleitet.
Die Karte ist meines Wissens eine der ersten topografische Karten des Celler Landkreises. Allerdings entstehen aus der Auswertung heraus einige Fragen in Bezug auf die Karte. Meiner Einschätzung nach steht sie in direktem Zusammenhang zum Plan der Aufstellung der Französischen und Preußischen Truppen um Celle im Dezember 1757. Neben formellen Kriterien sind auch materielle Begründungen dieser These gegeben. Vor allem anhand der Fehler erkennt man die inhaltliche Verknüpfung der beiden Kartenwerke.
Mit der bekannten Kurhannoverschen Landesaufnahme, die in den Jahren um 1780 entstand, hat die Karte (1732) höchstens formelle Gemeinsamkeiten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Kurhannoversche Landesaufnahme durch das Hannoversche Ingenieurskorps auf Veranlassung des englischen Königs Georg III. angefertigt wurde und nur unwesentlich auf bestehende Kartenwerke zurückgriff.
Eine interessante Frage ist, ob die französischen Truppen im Jahr 1757 auf die Karte zurückgriffen. Alle Anzeichen sprechen für diese These. Das bedeutet letztendlich, dass möglicherweise einige Theorien zu dieser Zeit überdacht werden müssen...
Resultierend lässt sich festhalten, dass diese Karte ein wertvolles historisches Dokument ist, welches sicherlich noch in einigen folgenden Betrachtungen zur Geltung kommen wird.
Viele Grüße,
Hendrik
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